01.07.1999

Mobbing aus anwaltlicher Sicht

Von Gerhard Felbinger

Gerhard Felbinger über den Versuch, soziales Verhalten am Arbeitsplatz juristisch zu regeln.

Zum Phänomen wurde Mobbing durch die Popularisierung und die damit verbundene Banalisierung des Themas. Unter Mobbing subsumierte zwischenmenschliche Konflikte werden künstlich aufgewertet und zumindest sprachlich in die Nähe deliktischen, strafrechtlich relevanten Verhaltens gebracht. Die Übertragung von strafrechtlich geprägten Begriffen (Täter/Opfer) im Zusammenhang mit der Bewältigung betrieblicher Konflikte ist jedoch unangebracht.
Das aus dem englischen Sprachbereich stammende Modewort umschreibt Verhaltensweisen am Arbeitsplatz, die in einem Ratgeber wie folgt definiert werden:

“Feindselige Handlungen gegen eine Person, systematisch und oft, über ein halbes Jahr und länger, mit dem Ziel oder dem Effekt des Ausstoßes” 
(Axel Esser / Martin Wolmerath: Mobbing. Der Ratgeber für Betroffene und ihre Interessenvertretung, 1997, S.17).

Eine präzisere Beschreibung gibt es in einer Studie von Heinz Leymann:

“Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verstanden, bei der die angegriffene Person unterlegen ist (1) und von einer oder einigen Personen systematisch, oft (2) und während längerer Zeit (3) mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis (4) direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet.” (Heinz Leymann (Hg.), Der neue Mobbing-Bericht, 1995, S.18).

Beide Definitionen machen deutlich, daß sich als Mobbing bezeichnetes Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich abspielt. Kennzeichnend ist, daß sich der Angegriffene als Opfer (“Mobbingopfer”) empfindet und der Angreifende als Täter bezeichnet wird. Insofern werden strafrechtlich geprägte Begriffe (Täter/Opfer) auf den Bereich zwischenmenschlicher Konflikte übertragen. Die Beschreibung einer typischen Mobbing-Situation hilft, das Problem zu verdeutlichen:

Der Arbeitnehmer ist seit mehr als zehn Jahren als Buchhalter in einem Unternehmen beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis verlief bisher störungsfrei. Nunmehr erhält das Unternehmen eine neue Leitung und der Arbeitnehmer einen neuen Vorgesetzten. Dieser kommt mit dem Arbeitnehmer nicht zurecht und beanstandet häufig dessen Arbeitsleistung und angeblich falsche Einstellung. Dem Arbeitnehmer wird verdeutlicht, daß er mit ständiger Überwachung zu rechnen habe. Der Betroffene hat Angst vor seinem Vorgesetzten, und sein Körper reagiert mit Schlafstörungen, Unwohlsein und schließlich Depressionen. Der Arbeitnehmer wird arbeitsunfähig. Es ist ihm nicht mehr möglich, seine Tätigkeit aufzunehmen. Das Resultat ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen.

An diesem Fall zeigt sich: Der Betroffene ist nicht in der Lage, einen Konflikt am Arbeitsplatz rational zu bewältigen. Es zeigt sich aber auch die Untauglichkeit der Einwirkung juristischer Mittel auf derartige Konflikte, da es sich hierbei um soziale Verhaltensweisen handelt, denen letztlich subjektive Empfindungen der Beteiligten zugrunde liegen. Diese müssen außerhalb der Sanktionsmöglichkeiten der Rechtsordnung liegen. Andernfalls wäre die juristische Überprüfbarkeit eines jeglichen menschlichen Verhaltens gegeben. Der Gesetzgeber hat es deshalb weise unterlassen, sich durch Schutzgesetze in diesen Bereich zwischenmenschlicher Konflikte einzumischen.

Die Popularität des Begriffes Mobbing erlebt ein Anwalt in der Beratungssituation: Ein Mandant schildert im Beratungsgespräch seine Situation am Arbeitsplatz. Sie wird als konfliktbelastet geschildert und erlebt. Der Mandant bezeichnet das, was mit ihm geschieht, als Mobbing und bittet um anwaltlichen Rat und Hilfe. Der Anwalt muß zunächst versuchen, herauszufinden, ob sein Mandant tatsächlich ungerechtfertigt bedrängt wird oder ob er lediglich mit seinen Arbeitskollegen nicht zurechtkommt – was nicht selten der Fall ist.

Kommt man zu dem Schluß, daß Mobbing vorliegt, kann man davon ausgehen, daß sich der Konflikt unmittelbar auf die arbeitsrechtliche Situation des Mandanten auswirkt. Zu unterscheiden ist hierbei, ob der Arbeitgeber bereits erste arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen die Person des Betroffenen eingeleitet hat, oder ob der Betroffene bislang lediglich Ziel von Angriffen (wie oben beschrieben) war. Diese sind derart vielgestaltig, daß der Phantasie keinerlei Grenzen gesetzt sind: Mit dem Betroffenen wird beispielsweise nicht mehr geredet, oder es wird versucht, seine berufliche Tätigkeit zu erschweren oder sogar seine Arbeitsergebnisse zu zerstören; oder über den Betroffenen werden Gerüchte verbreitet, die ihn diskreditieren und isolieren.

Solche Verhaltensweisen sind allerdings als sozialadäquat (und damit rechtmäßig) zu bezeichnen – auch vom Gesetzgeber. Das bedeutet, sie liegen unterhalb der Schwelle der straf- oder zivilrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten. Niemand kann sich rechtlich dagegen wehren, daß er von Kollegen geschnitten wird oder daß versucht wird, ihm seine Arbeit zu erschweren. 

Es ist des weiteren zu bedenken, daß solche Konflikte meist nicht einseitig begründet und oft schwer zu durchschauen sind. Insofern stellt sich auch die Beratung und Hilfe durch den Rechtsanwalt als schwierig dar. Der Anwalt wird den Betroffenen auf dessen Beschwerderecht hinweisen, was sich jedoch regelmäßig ohnehin als ein rechtlich stumpfes Schwert darstellt.

Das Beschwerderecht ist in § 84 I Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Der Betroffene hat danach die Möglichkeit, bei seinem Arbeitgeber vorstellig zu werden mit dem Ziel, daß dieser das gegen ihn gerichtete Mobbing abstellt. Wie der Arbeitgeber mit einer Beschwerde umgeht, bleibt allerdings ihm überlassen. Es besteht zudem die Gefahr, daß sich der sich Beschwerende verstärkt in eine Außenseiterposition begibt und damit auch den letzten Rückhalt verliert.

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf Schutz durch den Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht. Da die unter Mobbing häufig subsumierten Verhaltensweisen gerade von Vorgesetzten bzw. Arbeitgebern eingesetzt werden, kann man sich jedoch vorstellen, daß der Hinweis auf die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht oft kein sinnvolles Instrument ist. Effektivere gesetzliche Grundlagen zur Abwehr dieser Art des Mobbing-Verhaltens existieren nicht.

Die Mobbing-Situation am Arbeitsplatz stellt sich aus anwaltlicher Sicht einfacher dar, wenn der Arbeitgeber erste arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen den Arbeitnehmer eingeleitet hat. Hierunter ist der Ausspruch einer Abmahnung, die Versetzung oder gar die Kündigung zu verstehen. Bei solchen Fällen ist es für den Anwalt möglich, auf sein juristisches Instrumentarium zurückzugreifen und arbeitsrechtlich gegen den Arbeitgeber, der sich nunmehr als der Angreifer darstellt, vorzugehen. Daß auch dann nicht immer alles so rosig ausgeht, wie erhofft, zeigt ein weiteres Beispiel:

Ein Angestellter, seit acht Jahren im Unternehmen beschäftigt, engagiert sich für die Rechte der in der Filiale X beschäftigten Arbeitnehmer und will dort einen Betriebsrat gründen. Dem Arbeitgeber kommt dies zu Ohren, und er will sich des Arbeitnehmers entledigen. Kündigungsgründe sind nicht vorhanden. Die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Aufhebungsvertrag lehnt der Arbeitnehmer ab. Der Arbeitnehmer wird nunmehr in eine andere Filiale versetzt. Er bekommt dort nur untergeordnete Tätigkeiten zugewiesen. Der Arbeitnehmer lehnt es ab, die zugewiesene Tätigkeit auszuführen, und wird deshalb abgemahnt. Nach einem ähnlichen Vorfall folgt schließlich die Kündigung.

Der Anwalt hat in derartigen Fällen eine Handhabe, um mit Hilfe gesetzlicher Schutzbestimmungen vor den Arbeitsgerichten für seinen Mandanten tätig zu werden. Allerdings ist hier das Kind bereits in den Brunnen gefallen: Man kann zwar arbeitsrechtlich gegen die Abmahnungen, die Versetzung und die Kündigung vorgehen. Nur allzu häufig ist dies jedoch mit dem negativen und ungewollten Effekt verbunden, daß das Arbeitsverhältnis des Betroffenen – evtl. gegen Zahlung einer Abfindung – aufgelöst wird. Der Betroffene ist bereits zu einem “Problemfall” für seinen Arbeitgeber geworden, dessen der sich entledigen will. Ein Weg zurück in ein normales Arbeitsverhältnis ist für beide Parteien kaum noch denkbar.

Regelmäßig führt deshalb die arbeitsrechtliche Konfliktsituation wegen des Ausspruchs einer Abmahnung, Versetzung oder Kündigung zu einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Vielfach resignieren betroffene Arbeitnehmer schon vorher und kündigen ihr Arbeitsverhältnis, um der für sie unerträglichen Situation am Arbeitsplatz zu entfliehen.

Grundsätzlich festzuhalten ist, daß der Gesetzgeber ein juristisches Instrumentarium bereithält, wenn das Verhalten Dritter zivil- oder strafrechtliche Normen verletzt – bspw. wenn über den Betroffenen unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet werden. Hiergegen kann sich der Betroffene mit den üblichen Mitteln des Zivil- oder Strafrechts zur Wehr setzen (Strafanzeige, Ansprüche auf Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz). Ein derartiger Konflikt spielt sich jedoch typischerweise nicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab, sondern zwischen der Person A und der Person B.

Die verschiedenen Aspekte des Phänomens Mobbing sind für den arbeitsrechtlich tätigen Anwalt eine Quelle ständiger Beschäftigung. Eine erhebliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die anwaltlicherseits immer wieder erlebte Tatsache, daß es immer weniger möglich scheint, Konflikte zwischen den unmittelbar Beteiligten friedlich beizulegen. Ob bei Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Eheauseinandersetzungen: Zunehmend werden Anwälte mit den verschieden Ausprägungen zwischenmenschlicher Konflikte betraut. Für die Anwälte ist dies sicherlich eine erfreuliche Entwicklung; ob dies der Lösung von Konflikten zugute kommt, sei dahingestellt.

Ohne Zweifel gibt es am Arbeitsplatz ernst zu nehmende Konflikte. Unbestritten ist auch, daß Arbeitnehmern mitunter durch gezieltes, diskriminierendes Verhalten Dritter erheblicher Schaden, bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes, zugefügt wird. Doch solche Konflikte am Arbeitsplatz hat es immer gegeben. Relativ neu und problematisch sind hingegen die Bezeichnung dieser Verhaltensweisen als Mobbing und die hierfür vorhandene öffentliche Sensibilität.

Der Gesetzgeber hat es bislang bewußt unterlassen, Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmern gegen Mobbing zu ergreifen. Ein “Anti-Mobbing-Gesetz” wird es nicht geben, da hierfür kein rechtspolitisches Bedürfnis besteht. Sozialadäquate und damit noch rechtmäßige Verhaltensweisen kann der Gesetzgeber nicht verbieten. Die Konfliktregelung im zwischenmenschlichen Bereich innerhalb des Arbeitsverhältnisses sollte deshalb dem gesetzgeberischen Einfluß entzogen bleiben. Für die weiteren Aspekte ist das vorhandene rechtliche Instrumentarium ausreichend.

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