06.11.2009

Mein teurer Pass

Von Vasile V. Poenaru

Die unwahrscheinliche Odyssee einer somalischen Kanadierin

87 Dollar darf der Staatsbürger loswerden, um sich einen kanadischen Pass mit zehnjähriger Gültigkeit ausstellen zu lassen (oder 92, wenn man mehr „Ahornblätter“ für all die Stempel all der Behörden aus aller Damen und Herren Länder braucht). Das ist nicht viel, soweit der Pass seine Schuldigkeit tut und bei Bedarf dem erwartungsvollen Träger Ansehen und Schutz gewährt. Es ist nicht viel, soweit man im Ausland gegebenenfalls mit der Unterstützung kanadischer Vertretungen rechnen kann, etwa mit der Unterstützung der Canadian High Commission in Nairobi.

Als die somalische Kanadierin Suaad Haji Mohamud jedoch im Mai 2009 von Kenia aus in aller Ruhe den Rückflug nach Toronto antreten wollte, meinte ein gar nicht so netter Beamter, ihr Passbild wirke unüberzeugend, ja verdächtig, und kam dann schnell auf Identitätsklau und Gefängnis zu sprechen. Denn wer ein Verbrechen begeht, wird bestraft. Gefangen, gehangen. Die keines Vergehens schuldige und deswegen durchaus zuversichtliche Trägerin eines kanadischen Passes wurde im Handumdrehen offiziell zu Freiwild erklärt. An ihren fernen Wohnort in Kanada zurückzukehren? Undenkbar.

Das Flugzeug war pünktlich, die Insassen bereits (fast) allesamt an Bord. In Toronto freute sich ein Zwölfjähriger auf die baldige Ankunft seiner Mutter, ohne zu ahnen, dass diese jenseits des großen Wassers gerade von den Exponenten einer fragwürdigen Staatsgewalt festgenommen wurde. Was ihr die ganze Sache denn wert sei, wollte der nicht so nette nairobische Beamte noch wissen, gab Mohamud später bekannt. Denn man könne sich ja immerhin diskret einigen.

Aber die eingebürgerte Kanadierin wollte die „Chance“ nicht wahrnehmen, was rausspringen zu lassen und dafür unversehrt davonzukommen. Vielmehr beteuerte sie andauernd ihre absolute Rechtschaffenheit. Mohamud baute blindlings auf ihre kanadische Staasbürgerschaft. Es ging ihr nämlich ums Prinzip. Und schmieren kam eben einmal nicht in Frage – trotz der brenzligen Lage. Sie war sozusagen schon immer wegen Nichtschmierenkönnen aufgefallen. „Hm“, sagte der Beamte. Kein Schmiergeld, kein Rückflug. Sie müsse ins Gefängnis. Denn wer nicht gibt, darf nicht nach Hause gehen. Keine Ausflüchte. Mohamud sagte auch: „Hm“. Da sie in der Tat anders aussah als ihr Lichtbild, folgerte die auf ihr Ersuchen eingeschaltete Canadian High Commission in Nairobi prompt, es handle sich offensichtlich um eine Betrügerin. Keine Spur Toronto-look. Keine Rechtschaffenheit im Blick. Äußerst verdächtig. Die Justiz in Nairobi möge ihr immer nur ruhig auf die Schliche kommen.

Die rechtliche Frage am Beispiel Mohamuds: Wo ist man Kanadier? Wo darf man’s sein? Die Antwort der hohen Kommission: nur nicht in Nairobi. Führerschein, weitere kanadische Ausweise und die vom fassungslosen Opfer amtlicher Willkür angebotenen Fingerabdrücke wurden aus irgendwelchen Gründen von den überheblichen Entscheidungsfaktoren an Ort und Stelle wie zu Hause in Kanada erstaunlicherweise zunächst keineswegs berücksichtigt. Mohamud bestand jedoch auf einen DNA-Test, der dann nach langem Hin und Her schließlich auch durchgeführt wurde, da ihr Rechtsanwalt in Kanada Druck auf die kanadischen Behörden ausübte. 800 Dollar von staatlicher Seite kostete der Spaß. Und sieh einer an! Sie war, die sie war – mit an 99.99% grenzender Wahrscheinlichkeit. Anders gesagt: Die verpönte Somalierin durfte wieder eine anständige Kanadierin sein.

Kurz und bündig? Beinahe drei Monate in Kenia festgenagelt, weil ihr kanadischer Pass im Ausland offensichtlich wertlos war: Dafür wolle die vom Vater Staat fallen gelassene somalische Kanadierin die Regierung in Ottawa verklagen, hieß es dann Ende August. Um zweieinhalb Millionen Dollar. „Ihr Pass ist ein verflucht teurer Pass“, könnte Kanadas Premierminister Stephen Harper sagen – um es auf etwas unwirsch Amtliches ankommen zu lassen – und sich dabei von einem Bein aufs andere wiegen. Doch er lässt davon ab und lenkt ein. Ermitteln lassen will er die ganze Sache. Ja, jetzt, erst jetzt, lenkt er ein. Denn man könne sich ja immerhin diskret einigen. Die Klägerin will es freilich keineswegs etwa aufs Geld abgesehen haben, sondern es gehe ihr eben vielmehr wieder mal ums Prinzip. Also dann eben vor Gericht.

Zweieinhalb Millionen wegen eines unpässlichen Passbilds? Dass so eine Klage verrückt sei, meinte gar mancher waschechter, „patriotischer“ Kanadier – sei es nun ganz laut oder eben lieber leise. Der Fall Mohamud entfachte nämlich aufs Neue die andauernde, wenig erbauliche Diskussion rund um Ottawas skandalöse Aufopferung seiner Bürger in Not, besonders wenn diese an und für sich ja strenggenommen gar nicht so kanadisch aussehen.

Wäre der Mensch Anno 2009 endlich in der Tat das Maß aller Dinge, so hätte allerdings – in Ottawa wie in Naiorbi – das unbarmherzige Mühlrad der Bürokratie sein wohlfeiles Opfer überhaupt erst nicht ins Bild zwingen wollen, das sich der Durschnittsbeamte weltweit nach wie vor gerne vom Durchschnittsbürger macht: „Wird sich schon fügen müssen.“ Die Gerichte wären nicht genötigt worden, jetzt mitzumischen, um Anstand und Würde zu quantifizieren. Kanada würde nicht in den Schlagzeilen stehen. Wir hätten unseren guten Namen bewahrt. Wir hätten viel Geld gespart.

Pass beschlagnahmt und für null und nichtig erklärt, Trägerin hinter Schloss und Riegel, bestechlichen Beamten im Ausland der Rücken gestärkt: das bestmögliche Rezept, sich eine Blöße zu geben. What’s next? Der kanadischen Vertretung in Kenia dürfte es künftig wohl mehr ausmachen, wenn die Öffentlichkeit dergleiche Haltungen nicht hinnimmt. Liliane Khadour, First Secretary of the Canadian High Commission, die ihrer vollkommen unschuldigen Mitbürgerin mit ihren vollkommen unzeitgemäßen Prinzipien im Mai ohne viele Gewissensbisse den Rücken kehrte, musste Ende August zurück nach Kanada. „Aber nicht wegen ihrer Rolle im Fall Mohamud“, so das kanadische Auswärtige Amt. Damage control. Was die Welt davon hält? Dieser Pass ist ein wahnsinnig teurer Pass geworden, einer der teuersten Pässe, die man sich denken kann.

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