02.07.2009

Medien. Markt. Moral. Und:

Von Lena Wilde

Moment. Eine Sache ist nicht neu: Mit Medien wurde schon immer auch Geld verdient. Nicht nur, weil Produktionskosten wieder hereingeholt werden müssen, sondern auch, weil ein Medienunternehmer das Recht hat, sein unternehmerisches Risiko durch Gewinne auszugleichen. Soweit, so gut.

Eine Sache ist allerdings neu. Das „auch“ verschwindet. Seit einigen Jahren setzt sich die Tendenz durch, dass mit Medien ausschließlich Geld verdient werden kann. Der zusätzliche und eigentliche Zweck der Medien, ihre öffentliche Aufgabe zu erfüllen, aufklärend und sinnstiftend zu wirken, wird in den Hintergrund gedrängt, wo er mitunter bis zur Unkenntlichkeit verschwindet.

Was hinzu kommt ist, dass die unternehmerischen Gewinne zu großen Teilen nicht mehr in die Weiterentwicklung des Medienunternehmens und seiner Produkte oder in Rücklagen für schlechte Zeiten gesteckt werden, sondern an private Investoren ausgezahlt werden. So wird aus dem öffentlichen Interesse an Medien ein sehr privates Interesse an Gewinnen. 

Mythen.
Der ökonomische Wettbewerb wird aus der wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive als optimales Verfahren zur Gewährleistung sowohl der privaten als auch der allgemeinen Wohlfahrt angesehen. Das mag für Produkte wie Turnschuhe und Autos auch gelten. Für Medienprodukte gilt es aber ganz sicher nicht.

Medien müssen nicht nur im wirtschaftlichen Sinne gemanagt werden, sondern vor allem im publizistischen Sinne herausgegeben werden. Dass sie sowohl Wirtschaftsgüter als auch Kulturgüter sind, bringt sie in eine paradoxe Lage, die so alt ist wie die Medien selber und die man auch niemals vollständig wird auflösen können: Der wirtschaftliche Wettbewerb der Medien untereinander lässt die Strategie entstehen, sich mit den Inhalten an ein Massenpublikum zu wenden. Der publizistische Wert von Medieninhalten besteht aber darin, dass alle Aspekte der gesellschaftlichen Wirklichkeit, auch deren Randerscheinungen, veröffentlicht werden. Mit diesen Inhalten lässt sich aber in der Regel kein massenhaftes Publikum erreichen und damit auch keine hohen Kauf- und Werbeerlöse.

Dennoch konzentrieren sich die Medienunternehmen vorrangig auf den ökonomischen Wettbewerb. Um diesen bestehen zu können, werden mitunter auch radikale Entscheidungen wie Zusammenlegungen, Auslagerungen oder Kürzungen getroffen. Diese Entscheidungen, die nicht von vornherein negativ zu bewerten sind, werden allerdings ausschließlich zugunsten der Gewinne und zu Lasten der publizistischen Qualität gefällt. Als Begründung ist dann häufig von ökonomischen Zwängen die Rede. Man könne nicht anders, man müsse so handeln, heißt es dann. Die Globalisierung. Die Digitalisierung. Die Ökonomisierung. Die Begriffe und Phänomene werden immer größer und der Mensch, der mittendrin steht, immer kleiner und hilfsloser. Was folgt auf die notleidenden Banken? Die notleidenden Medien? Medienunternehmen sind, genau wie Banken, mächtige und gestaltungskräftige Akteure, die den Markt, auf dem sie sich bewegen, zu großen Teilen selber mitgestalten.

In dieser Begründung steckt also sowohl eine Illusion als auch eine Verschleierung von Tatsachen. Die Illusion besteht darin, an der Handlungsfähigkeit der beteiligten Menschen zu zweifeln. Die Verschleierung besteht darin, dass die angeblichen ökonomischen Zwänge keine allein von außen wirksamen Kräfte darstellen, sondern zum Teil überhaupt erst das Ergebnis von zuvor getätigten unternehmerischen Entscheidungen sind. Diese prägen den Markt in besonderer Weise und erzeugen so genau die „Zwänge“, von denen man dann nachher in negativer Weise „betroffen“ ist.

Mangel.
Die Tendenz zur Ökonomisierung der Medienbranche ist allerdings nicht isoliert zu betrachten. Ansonsten könnte der Eindruck entstehen, es handle sich um ein spezifisches Problem dieser einen Branche. Es ist vielmehr ein gesamtgesellschaftlicher Trend. In ohnehin schon immer ökonomisierten Bereichen verstärkt sich das ausschließliche Gewinnstreben und in Bereichen, die bis dato von einer Ökonomisierung verschont waren, wie Krankenhäuser, Hochschulen und eben Medienunternehmen, werden diese Entwicklungstendenzen ebenfalls sichtbar.

Seit einiger Zeit sind also auch die Medien in den Kreis der Güter aufgenommen worden, deren Potential zur Gewinnmaximierung mitunter die alleinige Existenzberechtigung darstellt. Zu diesem Zweck werden sowohl gewinnsteigernde als auch kostensenkende Maßnahmen eingesetzt. Diese beidseitige Beschneidung verknappt die inhaltliche Vielfalt der Medien. Denn zur Gewinnsteigerung werden ausschließlich massenattraktive Themen behandelt und zur Kostenreduktion wird an der Zahl der Mitarbeiter und der Ausstattung der Redaktionen gespart. Letzteres setzt die betroffenen Journalisten unter einen enormen Zeit- und Erfolgsdruck, der aufwändige Recherchen und eine wohldurchdachte Themenfindung erschwert.

Ein Blick auf die hohe Zahl der in Deutschland erhältlichen Medienprodukte mag kurzzeitig den Eindruck erwecken, dass es um die Vielfalt doch gar nicht so schlecht bestellt sein kann. Doch bei vielen Angeboten handelt es sich um schlichte Imitationen von bereits wirtschaftlich erfolgreichen Produkten. Man weiß was funktioniert und kopiert. Es gibt viel vom Gleichen, aber keine zufriedenstellende Vielfalt.

Menschen.
Dass die Medienwelt digitaler und die Welt globaler wird, ändert nichts an der Tatsache, dass Entscheidungen nach wie vor von Menschen vor Ort getroffen werden und dass es demzufolge auch immer noch Verantwortlichkeiten gibt, die sich nicht hinter Zwängen und Strukturen verstecken dürfen. Erst Recht nicht hinter solchen, an deren Entstehung sie selber mitbeteiligt sind.

Doch nach Verantwortlichkeit für unternehmerische Entscheidungen sucht man gegenwärtig nicht nur in der Medienbranche vergeblich. Ein anonymes Management hat die großen publizistischen Persönlichkeiten verdrängt, die mit ihrer Person und ihrem Namen für Entscheidungen und Standpunkte gerade gestanden sind – und das in der Regel auch mit vollem Einsatz und Begeisterung. In diesem Falle war es noch als legitim anzusehen, dass eine publizistische Persönlichkeit als Träger des Risikos auch große Teile des Gewinns einstreichen durfte. Doch mittlerweile sind Gewinn und Risiko voneinander getrennt worden. Das Risiko tragen die Mitarbeiter, die Gewinne werden nach oben weitergereicht.

Machen.
Die Frage, wohin die Medien in Deutschland steuern, verweist bereits auf die darin enthaltene Antwort: Es geht um ein aktives Steuern. Da die Medien nicht die einzige Institution sind, deren ursprünglicher Zweck bei der Ökonomisierung unter die Räder zu geraten droht, bieten sich insbesondere die Medien selber als Forum für die Diskussion über die Ökonomisierung an. Wenn es die meinungsbildende Pflicht der Medien ist, Debatten über die Frage zu führen, ob man Krankenhäuser und Hochschulen ökonomisieren sollte (und diese Debatten gibt es ja), dann darf die Frage, wie dies denn bei der eigenen Branche zu beurteilen sei, nicht fehlen.

Dem Medienjournalismus, der Berichterstattung über die Berichterstatter, gilt also ein besonderes Augenmerk. Und auch eine große Portion Mut, denn kritischer Medienjournalismus wird mancherorts immer noch als Nestbeschmutzung verurteilt. Dabei kann gerade diese Art des Journalismus als Möglichkeit der Medien angesehen werden, sich publizistisch zu verbessern und auf qualitative Alleinstellungsmerkmale hinzuweisen. 

Auch die unternehmerischen Akteure der Medienwelt müssen dringend einen neuen Fokus finden. Das Unternehmertum zeichnet sich dadurch aus, dass Entscheidungen getroffen werden, deren Folgen nicht absehbar sind, weil sie in der Zukunft liegen. Für dieses Risiko darf viel Geld verlangt werden, als persönliche Entlohnung und als mögliche Rücklage.  Die Methode, Gewinne privat abzuführen und gleichzeitig die Verantwortung von sich zu weisen, ist zutiefst un-unternehmerisch. Es geht also nicht nur um konsequent umgesetzte publizistische Entscheidungen, sondern auch um ein konsequenteres Unternehmertum.

Letztendlich muss auch das Publikum selber der Verflachung von Inhalten nicht ohnmächtig gegenüber stehen. Das Problem ist allerdings, dass die öffentliche Aufgabe der Medien der Öffentlichkeit selber in großen Teilen gar nicht bewusst ist. Die Qualität der Medien kann nicht eingefordert werden, wenn sie nicht erkannt wird. Die Problematik der Qualitätsreduktion und der Entmeritorisierung wird beinahe ausschließlich in fachlichen Kreisen diskutiert. Doch die Frage nach der Gewährleistung der öffentlichen Aufgabe kann nicht bei gleichzeitigem Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert und beantwortet werden. Wenn die Massenattraktivität das Problem bei der Bereitstellung von vielfältigen Inhalten ist, dann ist die Informiertheit dieser Massen über das Problem eine entscheidende Bedingung, um die Ökonomisierungstendenzen unter kontrollierten Bedingungen ablaufen zu lassen.

Bei all dem steht nicht die Suche nach einem Rezept im Vordergrund, das die Spirale der Ökonomisierung ein für alle Mal zurückschraubt. Das wird so nicht mehr möglich sein, denn dafür ist ökonomisches Denken und Handeln ein zu zentrales Merkmal unserer Gesellschaft – und davon profitieren wir bei rein ökonomischen Gütern in der Regel auch. Es geht vielmehr darum, meritorische Güter zu schützen und sie nicht einer ausschließlichen ökonomischen Verwertung auszuliefern. Die Meritorik der Medien ist ein viel zu wichtiges Thema, um es in den in sich geschlossenen fachlichen Kreisen zu lassen. Wir sollten es vielmehr ganz oben auf die Agenda setzen. Die Möglichkeit dazu haben wir.

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