30.07.2010

Love Parade: nicht abschaffen, besser machen!

Von Nathalie Rothschild

Die Todesfälle von Duisburg sind eine schreckliche Tragödie, aber deshalb muss nicht gleich alles zum Stillstand kommen.

Geschätzte 1,4 Millionen Menschen nahmen am letzten Wochenende an der 19. Love Parade in Duisburg teil. Die für ihren offenen Drogenkonsum, verrückte Kostüme und ohrenbetäubende Technomusik berühmt-berüchtigte Straßenparty wurde nach demselben Hippie-Grundsatz begangen wie die erste Love Parade 1989. Doch nach der Massenpanik vom vergangenen Samstag sind Frieden und internationale Verständigung das letzte, woran die öffentliche Meinung zu denken im Stande ist.


Videobilder und Augenzeugenberichte beschrieben ein fürchterliches Chaos, in dem Festivalbesucher verzweifelt um ihr Leben rannten. Sicherheitsberater, Stadtbehörden, die Polizei und die Festivalorganisatoren müssen sich nun den Anschuldigungen stellen. Noch immer wird debattiert, was den Ansturm verursacht hat und ob er hätte verhindert werden können. Dennoch sind anscheinend viele sehr schnell zu der Erkenntnis gekommen, dass das Festival niemals hätte stattfinden dürfen. Prompt haben die Veranstalter der Love Parade angekündigt, dass das Spektakel nie wieder stattfinden werde. Das wäre meiner Meinung nach ein großer Fehler.


Es ist offensichtlich, dass den Planern des Festivals einige ernsthafte Kalkulations- und Organisationsfehler unterlaufen sind. Lokalnachrichten zufolge war der Platz für das Festival, dessen einziger Zugang ein langer Tunnel war, für maximal 300.000 Menschen ausgelegt. Die von Kanzlerin Angela Merkel geforderte Untersuchung wird hoffentlich Aufschluss darüber geben, was zu den Todesfällen führte und warum das Festival überhaupt an diesem ungeeigneten Ort stattgefunden hat. Das Fazit sollte aber nicht „Nie wieder” lauten, sondern: „Beim nächsten Mal besser”! Schließlich hat die Love Parade Millionen Fans weltweit – warum sollten diese für die von den Organisatoren und Behörden begangenen Fehlern büßen?


Zudem würde das Abschaffen des Festivals, bei dem es in 21 Jahren nie zu vergleichbaren vorkommnissen kam, nur als Vorwand missbraucht, um andere Großveranstaltungen ebenfalls abzusagen oder zumindest deutlich einzuschränken. Ein Blick in die englische Presse zeigt, dass eine so gelagerte Debatte bereits begonnen hat. In der London Times vom 26.7.10 wurde die Love Parade mit der Tragödie vom Hillsborough Stadion in Sheffield von 1989 verglichen, bei der 96 Fußballfans ums Leben kamen. Die Times behauptet, dass „die britischen Behörden aus dieser Erfahrung gelernt hätten, wie katastrophal sich die Panik auf öffentliche Veranstaltungen auswirken könne“. Die Sicherheitsauflagen in Großbritannien sind mittlerweile so streng, dass 18 Festivals nicht mehr stattfinden können.


Der Vergleich zwischen Duisburg von Hillsborough ist bezeichnend: Hillsborough wird als Tragödie wahrgenommen, deren Ursachen teils der marode Zustand des Stadions und teils die ungenügende Massenkontrolle der Polizei waren. Zum 20. Jahrestag der Katastrophe schrieb Mick Hume in Sp!ked, dass es zur Tragödie kam, „da die Polizei Fußballfans nicht wie Menschen, sondern wie ein Problem für die öffentliche Ordnung behandelte”. Anders formuliert: Die Angst und Abscheu der Behörden gegenüber den vermeintlichen „Hooligans” führte zu den verschärften Maßnahmen, die diese Katastrophe erst ermöglichten. Tatsächlich aber wurde aus der Tragödie die Schlussfolgerung gezogen, dass mehr polizeiliche Überwachung und Einführung restriktiverer Richtlinien in Fußballstadien sowie für andere Festivitäten vonnöten seien.


Bei der Love Parade scheint eine ähnliche Entwicklung vonstatten zu gehen, seit sie von einem kümmerlichen Straßenfest mit 150 Teilnehmern, die um einen Lastwagen tanzten, zu der weltgrößten Tanzveranstaltung angewachsen ist. Seit ihren Anfängen kam es zu Querelen mit Behörden, die immer wieder versuchten, den Umfang der Love Parade in Grenzen zu halten und den Organisatoren mehr Verantwortung aufzubürden.


Da die Love Parade ursprünglich als politische Demonstration gemeldet war, war es die Pflicht der Behörden, sich um die Sicherheit zu kümmern und für die Aufräumarbeiten samt Kosten aufzukommen. Dennoch schafften es die Behörden, dafür zu sorgen, dass die Love Parade als kommerzielle Veranstaltung gemeldet werden musste. Daraufhin fiel sie mangels finanzieller Unterstützung 2004 und 2005 aus. Als sie 2006 wieder nach Berlin zurückkehrte, nahmen mehr als eine Million Raver an ihr teil, doch es kam erneut zu Problemen zwischen den Organisatoren und den Behörden. Die Love Parade wurde aus Berlin vertrieben und kurzerhand in das Ruhrgebiet verlegt. 2009 sollte die Love Parade in Bochum stattfinden, wurde aber aufgrund behördlicher Sicherheitsbedenken kurzerhand abgesagt.


Für einige Festivalbesucher waren die Polizei und die Sicherheitsdienste bei der Duisburger Love Parade Teil des Problems. Einige Augenzeugen gaben ihnen sogar die Schuld für den Ausbruch der Panik, die durch die Absperrung des Tunnels, dem einzigen Zugang zur Veranstaltung, zustande kam.


Was auch immer sie von der Raver Szene halten mögen: In unseren Zeiten der übertriebenen Risikovermeidung ist die Love Parade ein erfrischendes Gegengewicht und eine der wenigen Möglichkeiten für Menschen, sich für einen Tag einer ausgelassenen öffentlichen Party hinzugeben. Die Organisatoren der Love Parade sollten aus den Fehlern lernen und im nächsten Jahr ein noch größeres und besseres Festival veranstalten. Es wäre für die Gesellschaft eine Tragödie ungleich größeren Ausmaßes, sollte es künftig keine großen Konzerte, Fußballspiele oder Demonstrationen mehr geben – Veranstaltungen, bei denen es darauf ankommt, Teil einer großen Masse zu sein und Spaß zu haben.

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