01.07.2004
Lieber Klimawandeln als Schlafwandeln
Analyse von Joe Kaplinsky
Es bringt nichts, dem Klimawandel passiv und ängstlich zu begegnen. Warum versuchen wir nicht selbst, Schönwetter zu machen?
Wie sollen wir auf die Herausforderung Klimawandel reagieren? Eine Möglichkeit wäre, den Energieverbrauch, der für die Entstehung von CO2-Gasen verantwortlich gemacht wird, weltweit zu drosseln. Wir könnten uns jedoch auch an eine sich erwärmende Welt anpassen, indem wir die entstehenden Probleme lösen – wie etwa durch Hochwasserschutz – und die positiven Veränderungen zu unserem Vorteil nutzen.
Unter Umweltschützern ist eine solche Anpassung an den Wandel weniger populär als das Zurückschrauben des Energieverbrauchs zur Verhinderung des Wandels. Noch unbeliebter aber ist der Vorschlag, dass wir Wege finden sollten, um selbst ein besseres Klima zu schaffen.
Man könnte annehmen, das Problem mit einem solchen Konzept der aktiven Klimakontrolle sei, dass wir nicht wissen, wie eine solche funktionieren soll. Dieser berechtigte Einwand steht aber nicht im Zentrum der Klimadebatte. Stattdessen werden immer wieder grundsätzliche ethische Einwände gegen die Forschung in Stellung gebracht, die sich gerade bemüht, solches Wissen zu entwickeln.
Inzwischen liegt eine Reihe von Ideen und Vorschlägen auf dem Tisch, um die Klimatechnik voranzubringen. Die einfachste Idee ist die, Staub per Flugzeug oder mit Artilleriegeschützen in die oberen Atmosphärenschichten einzubringen. Der Staub würde dann einen Teil der Sonnenstrahlung reflektieren und somit die Erde abkühlen. Ein anderer Vorschlag zielt darauf, den Ozeanen Eisen zuzusetzen, was das Algenwachstum ankurbeln und somit der Atmosphäre Kohlendioxid entziehen würde.
Es gibt noch ehrgeizigere Pläne, darunter das Konzept, eine Linse mit einem Durchmesser von 2000 km zwischen Erde und Sonne zu platzieren, um etwa zwei Prozent des Sonnenlichts in den Weltraum zurückzuwerfen. Solch ein Projekt liegt zurzeit noch jenseits unserer Möglichkeiten, aber die Probleme sind eher technischer als wissenschaftlicher Natur. Es scheint keinen physikalischen Grund zu geben, warum sich diese Idee nicht umsetzen ließe.[1]
Doch solche visionären Konzepte finden zurzeit wenig Resonanz. Das veranschaulichte eine Konferenz für Klimatechnik im englischen Cambridge im Januar diesen Jahres. „Einige der vorgeschlagenen makrotechnologischen Möglichkeiten sind extrem und recht beunruhigend; manche muten sogar verrückt an“, sagt Professor John Shepherd, Direktor des Tyndall Centre for Climate Change Research. „Genau deshalb sollten wir sie baldmöglichst auswerten und gegebenenfalls manche fallen lassen, damit die Gesellschaft beschließen kann, welche als ernsthafte Optionen weiterzuentwickeln und bei Bedarf einzusetzen sind.“
Die Konferenz wirkte in vieler Hinsicht wie der Versuch, klimatechnologische Handlungsoptionen auszuschließen, bevor überhaupt jemand ernsthaft beginnt, sie als sinnvolle Reaktion auf den Klimawandel in Betracht zu ziehen. Technologische Ansätze zur Problemlösung wurden, wenn überhaupt, nur als allerletzter Ausweg aus der Klimakatastrophe gesehen.[2]
Dies war jedoch nicht immer so. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg dachten viele Wissenschaftler – unter ihnen der berühmte und brillante Mathematiker John von Neumann – , dass der wissenschaftliche Fortschritt auch die Beeinflussung des Wetters ermöglichen würde. Von Neumann war an der Entwicklung und dem Bau der ersten Computer beteiligt und ging fest davon aus, dass man mit Hilfe dieser neuen Maschinen das Klima modifizieren könne.
Im Jahre 1956 schlugen sowjetische Ingenieure vor, die Beringstraße mit Dämmen einzufassen. Sie hofften, dadurch den Wasserlauf zwischen dem Arktischen Meer und dem Pazifischen Ozean regulieren und durch die Veränderung von Meeresströmungen den tiefgefrorenen Norden Russlands erwärmen zu können. Die Sowjets waren schon lange von solchen Plänen begeistert, obgleich ihre marode Wirtschaft ihnen nie die Möglichkeit bot, sie in die Praxis umzusetzen. Auch dem damaligen US-Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy erschien es sinnvoll, diese Idee gründlich zu erforschen. Erst in den 70er-Jahren wurde sie verworfen.[3]
Warum haben wir unsere Vorstellungen von Klimatechnologie auf Eis gelegt? Eine Erklärung ist, dass wir uns der technischen Schwierigkeiten bewusster geworden sind. Sicher waren viele frühe Versuche nicht von Erfolg gekrönt. Ideen, die auf dem Papier gut aussahen, scheiterten an der Umsetzung. Zweifellos haben wir heute eine genauere Vorstellung von der Komplexität des globalen Klimas mit seinen Nicht-Linearitäten und Rückkopplungen.
„Was innerhalb der Linken als kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Formen des Einsatzes von Technologien begann, verwandelte sich zunehmend in eine prinzipielle Kritik an Technologie überhaupt.“
Aber die Geschichte lässt auch einen anderen Grund erkennen, weshalb man sich von diesem Thema abwandte. Der gesellschaftliche Klimaumschwung zuungunsten der Klimatechnologie begann in den 70er-Jahren. Das in dieser Zeit erwachende Umweltbewusstsein war mehr als nur eine Reaktion auf neue wissenschaftliche und teils alarmierende Erkenntnisse. Es wurde vielmehr von einer neuen moralischen Haltung getragen, die Natürlichkeit und Unberührtheit Priorität gab und menschliche Eingriffe in natürliche Prozesse problematisierte.
Diese neuen Formen ökologisch geprägter Gesellschaftskritik kamen aus der Linken und betrafen natürlich auch die militärischen Dimensionen der Klimatechnologie, die zu der Zeit noch eine wichtige Rolle in der Debatte spielten. Von Neumann befürwortete nicht nur öffentlichkeitswirksam die Fortentwicklung der Klimatechnologie, sondern sprach sich auch für den atomaren Erstschlag aus: „Wenn Ihr sagt, warum bombardieren wir sie nicht morgen, sage ich: warum nicht heute? Wenn Ihr sagt, heute um fünf Uhr, sage ich: warum nicht um ein Uhr?“[4] Zweifellos war die Möglichkeit klimatologischer Kriegsführung in der Zeit des Kalten Krieges nicht unbedeutend für die Entwicklung der Klimaforschung. So unternahm man während des Vietnamkrieges den (allerdings erfolglosen) Versuch, durch Produktion von Wolken über dem Ho Chi Min-Pfad die Versorgungswege der nordvietnamesischen Armee zu unterbrechen.
Die Kritik der Klimatechnologie entwickelte sich ähnlich wie die Kritik der Atomtechnologie. Was innerhalb der Linken als kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Formen des Einsatzes von Technologien begann, verwandelte sich zunehmend in eine prinzipielle Kritik an Technologie überhaupt. Als das Wirtschaftswachstum sich in den frühen 70er-Jahren verlangsamte, nahmen in den westlichen Eliten Skepsis und Zweifel am Sinn von Investitionen in große Projekte zu. Dahinter stand nicht nur eine ökonomische Flaute, sondern auch politische Stagnation und Verunsicherung. Vor diesem Hintergrund wurde der Ökologismus zu einer immer einflussreicheren Ideologie.
Dessen grundsätzliche Abneigung gegen menschliche Eingriffe in die Natur prägt heute den Umgang mit Fragen der Klimatechnologie selbst in den entsprechenden Fachkreisen. Stephen Schneider, einer der führenden Klimaforscher der Welt, zeigt sich sehr misstrauisch gegenüber dem, was er als „Geotechnologie“ bezeichnet. Obwohl er unzureichende Kenntnis der Zusammenhänge als Ursache dieser Skepsis anführt, sind seine Bedenken weniger wissenschaftlicher als moralischer Natur. „Es ist besser, Heroinabhängigkeit durch überlegte medizinische Versorgung zu heilen, die das Opfer langsam, aber sicher von der Drogensucht entwöhnt, als durch den massiven Ersatz von Methadon oder eines anderen, gefälligeren oder günstigeren Narkotikum“, sagt Schneider und gelangt zu dem Schluss, „Geotechnologie“ sei eine Art „planetarisches Methadon“ mit potenziell gefährlichen Nebenwirkungen.[5]
Schneider räumt selbst ein, seine Haltung sei stark durch persönliche moralische Überzeugungen geprägt. Das hindert ihn jedoch nicht daran, seine Fachkollegen davor zu warnen, die Möglichkeiten der Geotechnologie überhaupt in Betracht zu ziehen. Dahinter steht offenbar die Befürchtung, die Klimatechnologie könne echte Alternativen zur derzeitigen ökologischen Politik der Treibhausgasreduktion hervorbringen.
„Die Vorstellung, dass wir schon in eine anthropozäne Ära eingetreten seien, überschätzt den bislang erreichten menschlichen Einfluss auf die natürliche Umwelt.“
Ein hoch profiliertes Autorenteam – bestehend aus der EU-Kommissarin für Umwelt Margot Wallström, dem Gründungsvorsitzenden der Interregierungs-Kommission für Klimawandel Bert Bolin, dem Nobelpreisträger für Chemie Paul Crutzen und dem Vorstandsmitglied des Internationalen Geosphäre-Biosphäre-Programms Will Steffen – vertrat kürzlich die Ansicht, menschliche Eingriffe in die Natur hätten inzwischen gefährliche Ausmaße erreicht. „Die Erde ist in die so genannte Ära des Anthropozän eingetreten – die geologische Ära, in der Menschen ein bedeutender und bisweilen dominierender Umwelteinfluss sind“, erklärten die Wissenschaftler. Folglich hätten wir nun nur noch zwei Optionen: „Werden wir die Herausforderung annehmen, vorsichtig und zurückhaltend zu reagieren, oder warten wir, bis uns eine katastrophale und irreversible Klimaänderung trifft?“[6]
Die Vorstellung, dass wir schon in eine anthropozäne Ära eingetreten seien, überschätzt den bislang erreichten menschlichen Einfluss auf die natürliche Umwelt. Unser Vermögen, auf planetarischer Ebene zu intervenieren, ist zurzeit noch relativ wenig entwickelt. Dass wir eine menschliche Einwirkung auf das Klima nachweisen können, liegt nicht an unserer „Macht über die Natur“, sondern an der Empfindlichkeit unserer Messinstrumente und der Tiefe unseres theoretischen Wissens. Die globale Erwärmung mag Probleme bereiten und zum Teil vom Menschen verursacht sein – verglichen mit geologischen Kräften wie Vulkanausbrüchen oder Asteroideneinschlägen aber ist der Einfluss der Menschheit auf solche Prozesse eine vernachlässigbare Größe.
Davon auszugehen, dass die Menschheit in Zukunft ihren Einfluss auf die Erde erheblich steigern wird, ist allerdings durchaus realistisch. Wir können uns nicht mit den vorgeschlagenen Optionen – vorsichtige Zurückhaltung oder Passivität – zufrieden geben, sondern müssen uns technologisch weiterentwickeln. Unsere Umgebung auf lokaler Ebene, also durch Modernisierung der Lebensformen in Stadt und Land, weiterzuentwickeln, hat zu großen Verbesserungen geführt, was die Gesundheit, den Wohlstand und die allgemeine Kultur angeht. Warum sollte die Geotechnologie diesen Prozess nicht fortsetzen können?
Unser Wissen über das Klima ist noch nicht entwickelt genug, um planetarische Geotechnologie zu betreiben. Weder besitzen wir ausreichend präzises Wissen über die globale Erwärmung noch die Fähigkeit, die Auswirkungen eines globalen Eingriffs vorherzusagen. Doch das wird sich mit besserer Erforschung des Klimawandels ändern. Es ist daher sehr vernünftig, jetzt technologische Experimente – und entsprechende politische Debatten – aufzunehmen, damit die globale Technologie heranwachsen kann, die wir brauchen, um in Zukunft tatsächlich in eine anthropozäne Ära einzutreten.