09.05.2014

Lex Edathy: Moralstrafrecht aus der Mottenkiste

Kommentar von Sebastian Scheerer

Die als Reaktion auf den Fall Edathy geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts beschreitet den Irrweg einer Moralgesetzgebung und gefährdet die Therapie von Pädosexuellen, kritisiert der Hamburger Kriminologieprofessor Sebastian Scheerer

Noch ist die Edathy-Affäre nicht überstanden, noch der Untersuchungsausschuss zu dem Thema nicht eingesetzt, da liegt schon der Gesetzentwurf auf dem Tisch, der nicht nur die „Lücke“ im Sexualstrafrecht schließen soll, die der Vorgang angeblich offenbarte, sondern bei dieser Gelegenheit gleich auch noch eine Vielzahl weiterer Kriminalisierungswünsche aus der EU („Grooming“ [1]), aus Rheinland-Pfalz („Vertretungslehrer“) und anderen Quellen mit berücksichtigt. So ergibt sich ein Paperclip-Gesetz, das unter dem Hauptthema „Kinderschutz“ noch eine Menge anderer Dinge huckepack nimmt und all jenen gegenüber, die Aktionismus unangemessen finden, recht seriös wirkt, indem es sich als „Gesetz zur Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ darstellen kann (so der offizielle Titel des Referentenentwurfs), während es den nach hartem Durchgreifen Hechelnden als „neuer Maßstab im Kampf gegen die Kinder- und Jugendpornografie“ verkauft wird.

Tatsächlich steht der von der Großen Koalition offenbar zu ihrem Markenzeichen gemachte Kampf gegen Nacktbilder von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt und verdient auch das Hauptaugenmerk. Dabei geht es nicht um Vorgaben der EU, sondern um einen im negativen Sinne wohl tatsächlich neue Maßstäbe setzenden Alleingang Deutschlands, das in fast allen Bereichen des Sexualstrafrechts die EU-Vorgaben bereits übererfüllt hat und das nun das erste Land sein will, dass pure und simple Nacktbilder unter Strafe stellt.

„Man will im Grunde den für unzüchtig gehaltenen Umgang des Betrachters solcher Bilder bestrafen.“

Dabei geht es allerdings weder um den Kampf gegen Pornografie noch – wenn man in diesem Vokabular bleiben will – um die Entscheidungsschlacht gegen das sog. Posing (Posieren). Denn Kinder- und Jugendpornografie sind schon längst von A bis Z verboten, und doppelt verbieten geht nicht. Seit 2008 sind zudem auch nicht-pornografische Bilder, die nur durch die von den Abgebildeten eingenommene Körperhaltung einen sexuellen Reiz ausüben können/sollen, ebenfalls kriminalisiert. Indem man jetzt den Handel mit und den Erwerb von einfachen Nacktfotos unter Strafe stellt – und soweit geht sonst kein Land –, will man im Grunde den für unzüchtig gehaltenen Umgang des Betrachters solcher Bilder bestrafen, weil man argwöhnt, dass dieser, wenn er Geld für solche Bilder fremder Kinder und Jugendlicher bezahlt hat, diese wohl nur zur Beförderung sexueller Erregung angeschafft haben dürfte.

Dass es genau hierum geht, macht ein Parlamentarischer Staatssekretär des Justizministers in der Zeitschrift für Rechtspolitik deutlich, wo er den Gesetzentwurf erläutert und gegen Einwände zu verteidigen sucht: „Tatsächlich kann die verwerfliche Intention des pädosexuellen Täters beim Betrachten der Bilder allein strafrechtlich nicht erfasst werden“ [2], schreibt Günter Krings dort, und deshalb müsse das Strafrecht eben da eingreifen, wo ein objektiv fassbares Merkmal auftauche, also z.B. eine Gegenleistung, die für solche Bilder in der Form von Geld oder Tauschbildern etc. erbracht werde. Letztlich aber geht es eben um die „verwerfliche Intention [...] beim Betrachten der Bilder“, die nach Lage der Dinge ja wohl nur eine solche sein kann, wie sie zum umgangssprachlichen Ausdruck der „Wichsvorlage“ geführt hat. Ob durch die heimlich-lustorientierte Betrachtung wirklich ein Rechtsgut verletzt wird? Das ist schwer zu glauben.

„Heute führt die allgemeine Verwirrung um aufgelöste Grenzen zwischen privat und öffentlich zu ganz unverhohlenen Bemühungen der Restauration eines miefigen Moralstrafrechts.“

Hätte es vor Jahrzehnten schon eine solche Vorschrift wie die nun geplante gegeben: Sie wäre von der Strafrechtsreformbewegung um die sogenannten Alternativprofessoren unter Hinweis auf den Unterschied zwischen Immoralität und Illegalität hinweggefegt worden. Heute führt die allgemeine Verwirrung um aufgelöste Grenzen zwischen privat und öffentlich zu ganz unverhohlenen Bemühungen der Restauration eines miefigen Moralstrafrechts.

Dazu passt leider auch die hier zutage tretende Sichtweise auf Pädosexualität: Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, gehen in aller Regel verantwortungsvoll mit ihrer Veranlagung um und bemühen sich um die Vermeidung strafbaren Umgangs mit Kindern. Ihre Existenz entbehrt nicht einer Tragik, wenn man bedenkt, dass sie einerseits selbstverständlich ein Recht auf ihre eigene sexuelle Orientierung haben müssen – so wie Heterosexuelle und Homosexuelle, aber auch Bi- und Transsexuelle – dass sie andererseits aber auf Ersatzbefriedigungstechniken angewiesen sind, wollen sie nicht im Gefängnis landen. Sexualwissenschaftlern und Sexualtherapeuten ist die Tragik dieser Klientel wohl bewusst, aber in den weniger informierten Kreisen der Bevölkerung wird Pädophilie oft mit sexuellem Kindesmissbrauch gleichgesetzt, wird jeder pädosexuelle Mann also gleich für einen Straftäter gehalten.

„Experten schütteln über den Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas daher den Kopf“

Experten schütteln über den Gesetzentwurf von Heiko Maas (SPD) daher nur den Kopf, denn auch er setzt das pädosexuelle Begehren mit der Verletzung von Strafgesetzen gleich, und sein Staatssekretär (CDU) spricht im Hinblick auf den sexuell motivierten Umgang mit Nacktbildern nur von „Tätern“ und von „Tätergemeinden“, die angeblich immer neue Wege suchen, um „im Schatten der Gesetze ihrem kriminellen Handeln nachzugehen“ [3].

Damit wird die Arbeit der Sexualberater mit Pädosexuellen, die zwecks Kriminalprävention oftmals geradezu darauf ausgerichtet sein muss, die sexuelle Selbstbefriedigung mit „Wichsvorlagen“ zu fördern, nicht nur ignoriert, sondern auf riskante Weise konterkariert. Der sexualisierte Blick auf nicht-sexuelle Nacktbilder sollte unter kriminologischen Gesichtspunkten nicht moralisierend als „verwerfliche Intention“ von „Tätern“ gebrandmarkt, sondern als einer der wenigen legalen Auswege aus einem existenziellen Dilemma akzeptiert werden. Die Art und Weise, wie mit Edathy und wie anlässlich von Edathys Fall mit dem Thema umgegangen wird, kann Pädosexuelle statt in die Büros der Beratungsstellen in problematische Schmuddelszenen oder einsame Verzweiflungstaten treiben.

Das Sexualstrafrecht wird von der Politik missbraucht. Längst hat es sich eingebürgert, bei jedem Skandal eine Lücke im Gesetz zu behaupten, die dringend zu schließen sei. Allein seit 1997 gab es acht meist flickschusterhafte Lückenschließungsgesetze. Heiko Maas zimmert gerade das neunte und über kurz oder lang ist dann auch das Dutzend voll. Das ist keine seriöse Rechtspolitik – und es sind keine Unkenrufe, sondern ernstzunehmende Stimmen von Fachleuten, die davor warnen, ein Gesetz zu beschließen, das als Nebenfolge nicht nur absurde Konsequenzen für den Kunstmarkt und eine Einschränkung der Pressefreiheit („Bloßstellung“) zeitigen könnte, sondern sogar eine Zunahme von Sexualdelikten.

„Das neueste Projekt zur Verschärfung des Sexualstrafrechts ist das unnötigste Gesetz seit Langem.“

Das Sexualstrafrecht ist inzwischen so überdehnt, dass es sehr viel dringender einer Rückführung auf das Wesentliche bedarf als der geradezu peinlichen Suche nach weiteren Kriminalisierungsmöglichkeiten. So wäre zum Beispiel die Strafbarkeit der sogenannten fiktiven Kinderpornografie dringend zurückzunehmen und endlich wieder die wissenschaftliche Befassung mit Kinderpornographie auch und gerade durch Zugriffe im Netz ohne Einschränkung zu ermöglichen. Wenn es stimmt, dass – mit Montesquieu und Beccaria ­– jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, tyrannisch ist, dann trifft dieses Adjektiv auf weite Teile unseres heutigen Sexualstrafrechts zu. Und ganz besonders auf das neueste Machwerk aus der Mottenkiste christ- und sozialdemokratischer Moralapostel – das unnötigste Gesetz seit langem. Erforderlich ist eine grundlegende Reform, die das Sexualstrafrecht in das System des Rechtsgüterschutzes einfügt und es damit klar, gerecht, verständlich und handhabbar macht.

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