06.10.2009

Kriegen wir nie hin? Und ob!

Von Vasile V. Poenaru

Das Aufbegehren in Obamas Schlüsselsatz wird stillschweigend abgetan.

Die Krise ist vorbei, es lebe die Krise! Ein neues Lied, ein besseres Lied wollen die Finanz-Kraftkerle rund um die Wall Street antönen lassen. Das Echo vom Crash ist freilich überall spürbar. Ein Jahr später fließt das Geld, das wir nicht haben, weiterhin in die Löcher des fahrlässig betriebenen Bankensystems, werden die Haie im Mittelpunkt des Seins weiterhin mit deftigen Boni, die kleineren Fische an der Main Street hingegen bloß mit wohlklingenden Kundgebungen und halbwegs stimmenden Zwischenbilanzen abgefüttert. Das ist unsere Zeit.

Yes, we can! Wir: das Volk. Die Zukunft in Reichweite. Den Schlüssel zum Oval Office in der Hand (und natürlich das allgemein-verbindliche Schlüsselwort des unerschöpflichen Potenzials jederzeit sozusagen zur totalen Mobilmachung im Munde). Nagelneue Doktrinen auf Lager, althergebrachte Mythen im Sack. Von Opportunität und Wohlstand und Frieden. Von wundersam verwirklichten Visionen, hausgemachten Idealen und dergleichen mehr. Wir: Teile der Ganzheit.

Wer so alles zu uns gehört? Wer zu „denen“? Wie es dazu kam, dass wir uns seit Mitte 2008 allesamt immerfort im Können üben? Die Antwort muss politisch ausfallen. Am Anfang war der Traum. Ein Amerikaner, dem es nicht an der Wiege gesungen wurde, wollte das Zeug dazu haben, den mächtigsten Staat auf Erden grundlegend zu verändern. Und als erstes galt es natürlich, Vorurteile abzubauen. Von wegen! hatten seine Widersacher geschrien. Denn was nicht möglich sei, sei nicht möglich. Und doch.

Es war möglich. Alles ist möglich. Besonders im Land aller Möglichkeiten. How come? PR ist Trumpf. Das rechte Wort am rechten Ort: Barack Obamas historischer, weit ausholender Schlachtruf (oder wollen wir ihn Wahlkampfruf nennen?) wurde leider im deutschsprachigen Kulturraum erstaunlich unreflektiert durch ein jämmerliches „Ja, wir können!“ oder „Ja, wir können es!“ übersetzt. Freudige Bejahung? Positive, proaktive, zuversichtliche Einstellung? Damit ist es nicht getan. In diesem Satz steckt mehr drin als die zum Teil hoffnungslos in ihrer Jasager-Mentalität befangenen Experten der Meinungsbildung einräumen würden. Und schließlich gewinnt selbstredend keiner eine Wahl, indem er Ja sagt, sondern, ganz im Gegenteil, indem er sich nicht klein kriegen lässt.

Yes, we can! Die anhand des soziolinguistischen Kontexts im Original unverkennbare konzessive Modalität dieses programmatisch mobilisierenden Slogans geht in der gängigen wortwörtlichen deutschen Wiedergabe zwingend verloren. Dabei wäre es gar nicht so schwer gewesen, die paar Silben – unter Voraussetzung eines freilich nötigen Mindestmaßes an Sprachvermögen – richtig zu übersetzen: „Oh doch, wir können es!“ Noch besser: „Und ob wir das können! Eine ausgesprochen hartnäckige Herausforderung der bestehenden Paradigmen: die unwirsche Antwort der Unterdrückten, der sozial Benachteiligten, der Leute am Tellerrand. Wie ein trotziger Widerruf auf das endgültig gemeinte Urteil des Establishments: Kriegt ihr nie hin!

Und ob! Dies ist Obamas Philosophie in einer Nuss. Sein Gegenwort. Sein zwingend klarer Aufruf an die Vergessenen, wieder in die Geschichte hineinzuschlüpfen. Sein Argument für die Bereitschaft, für den Willen, für den aberwitzigen Mut, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, tief einzuatmen und zu hoffen. Diesseits wie jeneits des großen Wassers, das kommt: in Manhattan wie in Berlin. Ein Rezept für den Erfolg. Was wir daraus machen, ist natürlich eine andere Sache. Wenn wir wollen, machen wir daraus einen Geheimtipp.

Ja, wir können? Traduttore, traditore. Verrat am Text. Tausendfach. Weil die Multiplikatoren darauf reingefallen sind. Weil keiner sich mehr dafür interessiert, ob das Gesagte wirklich „Sinn macht“ oder ob man es eben schon allein deswegen bejubeln muss, weil andere es – in einem freilich möglicherweise bedeutungsvollen Kontext - „cool“ finden.  „Dass beinahe alles Große, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe“, hatte schon Thomas Manns Aschenbach in “Tod in Venedig” festgestellt. Und als ein Trotzdem steht auch die Wahl des 44. amerikanischen Präsidenten in der Geschichte der Neuen Welt da. Aus seinem Slogan wurde ein geflügeltes Wort. Man hört es immer wieder – als lose Gelegenheitsweisheit oder aber doch irgendwie kontextgebunden. Sowas kommt gut an, denn jeder will gerne können, was zu können sei.

Die Medien mit inbegriffen – stets gängige Phrasen aus der journalistischen Rotationsmaschine zur Hand, über langatmige Leitartikel einen Abdruck von Achilles Ferse im Hintergrund: keine Ahnung von Duden und Blasen. Obamas geflügeltes Wort landet nach wie vor auf einem wüsten Landstrich sprachlicher Verworrenheit. Es ist eine Notlandung, im deren Spannungsfeld Widerrede in Bestätigung entartet. Die Größen, nach denen es gemessen, nein, ermessen wird: Ignoranz und Epigonentum. Nicht können oder können? Das ist die sozialpolitische, das ist die rhetorische, das ist die linguistische Frage. Auch jetzt, gerade jetzt. Die Begeisterung für ein gelungenes Wort musste längst dem Unbehagen weichen. Zum Jahrestag des Wall-Street-Crash war die Welt um ein Jahr ärmer. Niemand scheint was dafür zu können.

Vorsichtiger Optimismus: Was kann ich denn? Was soll ich? Der Mann auf der Straße weiß ebensowenig mit dem Ausverkauf einer zaghaften Formulierung zeitgemäßer Missstände anzufangen wie der Politiker im Amt. Jede mögliche Antwort klingt da höchst verdächtig. Nicht einmal das einst über alles beliebte Schlüsselwort des Präsidenten hört sich mehr so gut an wie früher. Ein neuer Teleprompter ist vonnöten. Wir sind am Ende unserer Weisheit und unserer Finanzen. Ganz nüchtern soll es von nun an zugehen. Träume sind Schäume. Ein Modell geht unter, das neue kommt. Es boomt nicht, sondern es crasht an allen Ecken. Jeder will jedem die Leviten lesen. Du mir? Vielleicht ich dir!

Nein. Wir sind ja alle Freunde; auf gut Englisch: „We’re all friends here. You run the show.“ Das ist unsere Zeit: Weltwirtschaft bis dicht an den Abgrund heran getrieben. Rettungspakete geschnürt, Weltwirtschaft wieder ein bisschen vom Abgrund weg ... So!... Weiter geht’s. Mit denselben Leutchen. Wie als sei nichts geschehen. Wie als gäbe es weder Trotzdem noch Und ob. Das heißt, ein bisschen gekappt werden die Boni nun schließlich doch noch. Aufwärts? Von wegen! Ein Ende der Rutschbahn ist nicht in Sicht. Kann man nichts machen. Oder?

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