01.03.2003
Krieg der Hasenfüße
Kommentar von Mick Hume
Mick Hume fällt es schwer, zwischen Falken und Tauben zu unterscheiden.
Befürworter wie Gegner des Irak-Feldzuges ringen um moralische Autorität und öffentliche Unterstützung – doch offenbar ohne von ihren Standpunkten besonders tief überzeugt zu sein. Das gilt auch für die Falken in Washington. Obwohl viele die einschlägigen Präsidenten-Berater im Weißen Haus und Pentagon – darunter Paul Wolfowitz, Donald Rumsfeld und Richard Perle – für ausgemachte Kriegstreiber der aggressivsten Sorte halten, ist deren Kampagne für einen Krieg gegen den Irak eher halbherzig. Geht es ihnen lediglich darum, Saddam Hussein zum Prügelknaben zu stilisieren, um Amerikas globale Vormachtstellung zu festigen, wäre das ein eher dubioser Vorwand für einen Krieg. Nehmen sie aber ihre eigenen Worte ernst und glauben tatsächlich, dass der Irak unter Saddam Hussein eine gravierende Gefahr für die Menschheit darstellt, die unbedingt beseitigt werden muss, wäre das nicht eben beruhigender. Denn wenn die einzige verbliebene Supermacht sich von einem ruinierten und auseinanderbrechenden Staat um den Schlaf bringen und die eigene politische Agenda prägen ließe, zeugte das doch von einer tiefen Vertrauenskrise im Herzen der US-amerikanischen Elite.
„Die größten Widerstände gegen einen US-amerikanischen Erfolg am Golf sind selbstgemacht – sie liegen in den Köpfen des Washingtoner Establishments.”
Trotz ihrer oft bellizistisch anmutenden Rhetorik scheute sich die Bush-Regierung in den letzten Monaten vor entschlossenem Handeln. Man verhandelte stattdessen ununterbrochen mit den Vereinten Nationen und den Bündnispartnern. Kamen tatsächlich einmal ernsthafte Kriegsvorbereitungen in Gang, verhakte man sich rasch in Auseinandersetzungen über die militärische Strategie. Lange schien es, als verfolge das nervöse Weiße Haus für den Irak das gleiche Vorgehen wie schon in Afghanistan und dem Kosovo – Flächenbombardements aus größer Höhe ohne den eventuell verlustreichen Einsatz von Bodentruppen. Inzwischen ist wieder eine massive Invasion im Gespräch. Ob sie wirklich stattfinden wird, bleibt abzuwarten. Doch selbst dann wäre wieder das schon bekannte vom Vorsorgeprinzip geleitete Vorgehen zu erwarten – nach dem Motto: „Lasst sie uns mit aller Macht überrollen und vollständig dem Erdboden gleichmachen, damit wir so schnell wie möglich und ohne große Verluste wieder herauskommen.“
Die Widerstände gegen eine erfolgreiche Invasion des Wüstenstaates liegen nicht dort – auch wenn das Terrain und die extremen Klimabedingungen immer wieder als problematisch geschildert werden. Schon im letzten Golfkrieg waren die Streitkräfte Saddam Husseins kein wirklicher Gegner für die US-Armee. Heute wäre die entscheidend geschwächte irakische Armee um so leichter zu erledigen.
Die größten Widerstände gegen einen US-amerikanischen Erfolg am Golf sind selbstgemacht – sie liegen in den Köpfen des Washingtoner Establishments.
Die Unsicherheit innerhalb der amerikanischen Streitkräfte wurde zuletzt wieder deutlich, als Meldungen über angebliche Nebenwirkungen des Milzbrandimpfstoffes, der US-Soldaten gerade verabreicht worden war, für allgemeine Aufregung sorgten. So entsteht diesmal ein „Golfkriegs-Syndrom“ wohl schon, bevor ein Kriegseinsatz überhaupt beginnt.
„Die Argumente der Kriegsgegner gründen weniger auf wohldurchdachten Einwänden gegen den Waffengang am Golf als auf der Furcht vor den unabsehbaren Folgen.”
Auch den „Tauben“, den Kritikern eines Waffengangs am Persischen Golf, scheint es an Vertrauen in die eigene Sache zu mangeln. Obwohl Kriegsskeptiker und -gegner in aller Welt sich von der Grundsätzlichkeit ihres Anliegens überzeugt zeigen, sind sie bestrebt, ihre Einwände gegen einen Irak-Krieg in salonfähige Argumente zu kleiden, die eine grundsätzliche Kriegsgegnerschaft missen lassen. Viel ist die Rede vom Öl, von den Folgen eines Krieges für Israel und anderen Unwägbarkeiten des geplanten Waffengangs. Grundsätzliche Einwände gegen eine Intervention sind hingegen sehr selten zu hören. Überraschend ist das allerdings nicht, denn viele der prominenten wie auch weniger prominenten Kritiker der US-Regierung haben in den vergangenen Jahren Militärinterventionen unterstützt – wenn nicht sogar gefordert: zuletzt die im ehemaligen Jugoslawien zum „Schutz“ des Kosovo. Gerne versammeln sie sich unter dem blauen Banner der Vereinten Nationen, um ihr Unbehagen gegenüber Krieg in die Aura wohlmeinender Internationalität zu tauchen. Doch es gründet weniger auf wohldurchdachten Einwänden gegen den Waffengang am Golf als auf der Furcht vor den unabsehbaren Folgen.
„Nicht in meinem Namen“ – dieser allgegenwärtige Slogan der Kriegsgegner veranschaulicht diese Problematik. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein starker Standpunkt. Aber „Nicht in meinem Namen“ heißt nichts anderes als „Macht was Ihr wollt, aber ohne mich!“ Es ist keine politische Aussage, sondern eine persönliche Selbstdarstellung, mit der ausgesagt sein soll, dass man selbst mit der Sache nichts zu tun und somit Anspruch auf ein reines Gewissen habe. Wiederholt hat die Geschichte gezeigt, dass diese Art individualisierter Kriegsunmut schnell in Unterstützung für militärische Aktionen umschlagen kann, wenn es den „Falken“ gelingt, Angst und Unmut in andere Bahnen zu lenken.
Solange dieser moralische Attentismus die Stimmung prägt, wird das Thema Irak in Ungewissheit und Verwirrung gehüllt bleiben. Die US-Regierung pendelt zwischen widerstreitenden Positionen. Einerseits argumentiert man, der Fund leerer Raketenhülsen und alter Dokumente sei hinreichender Anlass loszuschlagen – Chefinspektor Blix musste sogar öffentlich daran erinnern, dass „Dokumente keine Massenvernichtungswaffen“ seien. Andererseits wird Saddam Hussein fast im gleichen Atemzug angeboten, er könne den Irak unbehelligt verlassen und in einem anderen Land Asyl suchen.
Mangels überzeugender Argumente auf beiden Seiten wird es weder eine breite Woge der Unterstützung für einen Krieg noch eine starke Opposition gegen ihn geben. In einem so hochgradig diffusen politischen Umfeld werden die meisten Menschen das Geschehen eher verunsichert und passiv verfolgen, ohne für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen. Das ist schon eine ungewöhnliche, ja einmalige Situation, bedenkt man, dass die Alarmisten auf beiden Seiten uns glauben machen wollen, wir stünden an der Schwelle eines historischen Konfliktes.