02.09.2016
Klimaschutz? Nicht mit Wind und Sonne!
Analyse von Peter Heller
Das Primärziel der Energiewende ist der Klimaschutz. Bislang hat es in dieser Hinsicht keine Fortschritte gegeben. Auch in Zukunft wird der Ausbau volatiler Quellen nicht helfen.
Zwischen 1990 und 2000 ging der energiebedingte Kohlendioxid-Ausstoß in Deutschland um fast 20 Prozent zurück. Effizienzsteigerungen in der industriellen Produktion, im Verkehr und in den privaten Haushalten haben dazu ebenso beigetragen wie die Modernisierung der ostdeutschen Wirtschaft.
Dann kam die Energiewende.
Seit das im Jahr 2000 verabschiedete EEG den ungezügelten Ausbau volatiler Energiequellen induzierte, stagnieren die Emissionen. Die für 2020 gesetzte Zielmarke wird voraussichtlich deutlich verfehlt, die für 2050 erhoffte Reduktion um 80 Prozent (gegenüber 2008) erweist sich als pure Utopie. Betrachtet man allein die Stromproduktion, wird besonders deutlich: Durch Sonnen- und Windenergie konnte noch nicht ein Gramm Kohlendioxid eingespart werden.
Abbildung 1: Energiebedingte CO2-Emissionen in Deutschland, BMWI-Energiedaten
Wenn er nicht zu jeder Zeit in jeder gewünschten Menge in immer gleicher Qualität verfügbar ist, hat Strom keinen Wert. Von diesem Grundsatz ausgehend sind Ökonomie, Ökologie und Technologie eines Elektrizitätsversorgungssystems durch die Gesetze der Physik untrennbar miteinander verwoben. Wer den einen Aspekt manipuliert, übt gleichzeitig auch auf die beiden anderen eine Wirkung aus. Im Verlauf der vergangenen hundert Jahre hat sich unser Stromnetz evolutionär entwickelt. Mutation durch Innovation und Selektion durch den Markt erzeugten einen optimalen Zustand. Jeder regulative Eingriff kann da nur zu einer Verschlechterung in mindestens einer Dimension führen. Die Energiewende produziert im energiepolitischen Dreieck aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit sogar in jeder Hinsicht ein Desaster:
Steigende Mengen an Zufallsstrom bedingen mehr Eingriffe in die Leistungsabgabe konventioneller Kraftwerke. Noch zu Beginn dieses Jahrtausends lag die Zahl solcher Redispatch-Anforderungen bei weniger als zehn im Jahr, in 2015 waren es mehr als 6000. Jede dieser Aktionen ist eine potentielle Fehlerquelle. War die Stabilität des Netzes früher Gegenstand einer meist passiven Überwachung, kann sie heute nur mehr durch andauernde Regelungsmaßnahmen gesichert werden. Noch ist der große Blackout nicht eingetreten, aber die Risiken für Versorgungsausfälle steigen.
Die Subventionierung von Windrädern und Solarzellen hat zu einem massiven Anstieg der Strompreise geführt, der private und gewerbliche Nutzer belastet. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht zu erwarten, solange die Energiewende fortgesetzt wird. Hinzu treten mittlerweile spürbare Erhöhungen der Netzentgelte zur Finanzierung der Redispatch-Operationen.
„Die Energiewende hat genau die effizientesten fossilen Kraftwerke mit dem geringsten Kohlendioxid-Ausstoß vom Markt verdrängt.“
Volatile Quellen leisten keinen Beitrag zur Systemstabilität. Sie können weder Trägheitsreserven noch Regelenergie bereitstellen. Dies begrenzt ihr Substitutionspotential gegenüber konventionellen Erzeugungstechnologien. In Deutschland wurden zudem im Jahr 2011 nach dem Störfall in Fukushima knapp neun Gigawatt Kernenergie vom Netz genommen. Dadurch entstand zusätzlicher Raum für Erdgas, Braun- und Steinkohle. Die Gesamtkapazität aller fossilen Kraftwerke beträgt heute immer noch knapp 90 Gigawatt, ganz wie zu Beginn der 1990er-Jahre. Und in Summe produzieren diese immer noch fast dieselbe Menge Strom wie damals. So kann sich an den Kohlendioxid-Emissionen nichts ändern. Nebenbei konterkarieren Windenergie und Photovoltaik auch aufgrund des erforderlichen Materialeinsatzes und ihres Flächenverbrauches alle umweltpolitischen Ziele.
Natürlich sind im fossilen Kraftwerkspark über lange Zeiträume durchaus Verschiebungen zu beobachten. In den letzten 25 Jahren stieg – bezogen auf die Kapazität – der Anteil der Erdgaskraftwerke von 20 auf 31 Prozent und der Anteil der Braunkohle sank von 32 auf 27 Prozent. Während mit Mineralöl befeuerte Anlagen hierzulande fast keine Rolle mehr spielen, liegt die Steinkohle mit 39 Prozent noch immer an der Spitze. In der Stromerzeugung konnte die Braunkohle ihre führende Rolle halten. Erdgas und Steinkohle leisten vor allem seit 2007 immer weniger Beiträge.
Abbildung 2: Bruttostromerzeugung fossiler Quellen in Deutschland; BMWI-Energiedaten, Energiekonzept 2010
Dies ist eine direkte Folge der Auswirkung des Zubaus von Windrädern und Solarzellen auf die Merit-Order an der Strombörse. Die Energiewende hat genau die effizientesten fossilen Kraftwerke mit dem geringsten Kohlendioxid-Ausstoß vom Markt verdrängt. Die ungewisse zukünftige Entwicklung verhindert zudem Investitionen in den Bestand. Gerade mal 40 Prozent Wirkungsgrad erreichen die mit Stein- oder Braunkohle befeuerten Anlagen im Mittel. Mit modernen Turbinen und ohne die ständigen effizienzsenkenden Laständerungen zum Ausgleich der Zufallsgeneratoren könnten es bereits 50 Prozent und mehr sein.
Anders ausgedrückt: Hätte man einfach nichts getan, hätte man auf die Einleitung der Energiewende verzichtet und nicht in das Wechselspiel zwischen technischem Fortschritt und Marktgeschehen eingegriffen, wären die Emissionen der Stromproduktion in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Stattdessen wurde viel Geld wirkungslos umverteilt.
Abbildung 3: Real erzielte Wirkungsgrade fossiler Kraftwerke; BMWI-Energiedaten
Aber so kann man doch das angestrebte Ziel einer möglichst weitgehenden Dekarbonisierung niemals erreichen, würde ein engagierter Klimaschützer nun einwenden. Man würde ja auf Dauer Kohle und Erdgas verwenden, statt diese durch emissionsfreie Technologien zu ersetzen. Im Rahmen seiner von ideologisch begründeten Moralvorstellungen geprägten Weltsicht läge er damit richtig. Es stellt sich also die Frage, wie denn eigentlich die von der gleichen Motivation getriebene Bundesregierung zum Erfolg kommen will.
Kurz gesagt: durch Einsparungen. Man gedenkt, den heimischen Strombedarf bis 2050 um 25 Prozent und die hiesige Stromproduktion um 50 Prozent zu reduzieren. Die verbleibende Lücke zwischen Nachfrage und Angebot sollen Importe schließen.
Nur dann können in großem Umfang Kohlekraftwerke bei gleichzeitigem Verzicht auf die Kernenergie stillgelegt werden. Nur dann kann zusätzlich in großem Umfang fossil produzierter Strom durch Wind und Sonne ersetzt werden, da ja die Systemdienstleistungen wie Trägheitsreserve und Regelenergie im Ausland eingekauft werden. Die in der Planung ab 2050 verbleibenden Erdgaskapazitäten von 20 Gigawatt sind nur noch für absolute Engpässe gedacht. Sie werden gemäß der Energieszenarien der Bundesregierung nur wenige Stunden im Jahr benötigt und produzieren daher kaum Emissionen. Die ab 2050 noch vorhandenen Kohlekapazitäten von 16 Gigawatt sind auch nur noch in einem geringen Umfang zur Bereitstellung eines Teiles der gesicherten Leistung erforderlich.
„Die Umsetzung der Energiewende bedeutet letztendlich für die Stromkunden, immer mehr Geld für immer weniger Strom bei steigenden Versorgungsrisiken ausgeben zu müssen.“
Politik kann nicht mit technischen Lösungen argumentieren, die noch nicht existieren. Sie hat immer von den bereits vorhandenen Möglichkeiten auszugehen. Daher, und das mag viele Leser überraschen, spielen utopische Stromspeicher in den Plänen der Bundesregierung ebenso wenig eine Rolle wie beispielsweise die Kernfusion. Stattdessen ist die Entwicklung des Stromverbrauches der wichtigste Indikator zur Bewertung der gegenwärtigen Energiepolitik. Wenn dieser sinkt, kann die Energiewende bei aller Unwirtschaftlichkeit zumindest technisch funktionieren. Geschieht dies nicht, werden die Emissionen nicht fallen, ganz gleich, wie viele Solarzellen und Windräder man noch aufstellt. Notwendig wäre zudem der Ausbau der Stromnetze innerhalb Deutschlands und an den Schnittstellen zu unseren Nachbarn. Die als dritte Bedingung Überkapazitäten aufbauen müssen, um uns mitzuversorgen.
Die Bundesregierung verfolgt diesen Plan, dessen wesentliche Aspekte ich bei Science Skeptical in einer kleinen Artikelserie dargestellt habe (beginnend mit Die Energiewende: Merkels grüner Populismus), stoisch und unbeirrt seit 2010. Jede Neufassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und auch die für dieses Jahr anstehende EEG-Reform dienen seiner Umsetzung. Natürlich gibt es noch 16 Bundesländer, von denen jedes seine eigenen Vorstellungen hat. Das erschwert die politischen Prozesse und führt häufig zu einander widersprechenden Aussagen und Entscheidungen auf den jeweiligen Ebenen.
Auch äußern alle sich an der Debatte beteiligenden Organisationen, ob Kirchen oder Gewerkschaften, ob Umweltaktivisten oder Wirtschaftsverbände, ihre jeweils ganz eigenen Ideen. Ganz wie beim Fußball, wo sich jeder Fan für den besseren Bundestrainer hält. Für die Diskussionen hier und für die kommenden Artikel zum Thema möchte ich festhalten: Als „Energiewende“ betrachte ich, was die Bundesregierung darunter versteht. Das Konzept aus dem Jahr 2010 und die diesem zugrundeliegenden Szenarien sind die geltende Beschlusslage. Deren Umsetzung für die Stromkunden letztendlich bedeutet, immer mehr Geld für immer weniger Strom bei steigenden Versorgungsrisiken ausgeben zu müssen. Um dadurch einen im globalen Maßstab völlig irrelevanten Beitrag zur Vermeidung einer potentiellen Erderwärmung zu leisten, deren Gefahrenpotenzial auch weiterhin unklar bleibt.
Dieser Artikel ist der letzte Artikel einer vierteiligen Serie zur Energiewende:
Teil 1: Auch die Energiewende hat ein Integrationsproblem
Teil 2: Die technischen Grenzen der volatilen Stromerzeugung