24.07.2012

Kleine Dosis, große Angst

Kommentar von Lutz Niemann

Ängste im Zusammenhang mit radioaktiver Strahlung sind unbegründet. Sie beruhen auf der Annahme, dass bereits kleinste Strahlungsmengen negative Wirkungen haben. Doch auch bei Radioaktivität gilt: Erst die Dosis macht das Gift

Seit 500 Jahren weiß die Menschheit durch Theophrastus Bombastus von Hohenheim, bekannt unter dem Namen Paracelsus (1493 – 1541): „Was ist das nit gifft ist? alle ding sind gifft, und nichts ohn gifft. Allein die dosis macht das ein ding kein gifft ist“ [1]. Dieser Satz gilt auch für Radioaktivität. Leider scheint er aber seit dem Reaktorunfall von Fukushima in Vergessenheit geraten zu sein.

Um eine mögliche Gefahr durch Radioaktivität einordnen zu können, muss man wissen, wo der gefährliche Dosisbereich liegt: Die Strahlenwirkung auf Lebewesen misst man in Sievert (Sv) und gefährlich wird es bei einer hohen Dosis von einigen Sievert (Sv). Sie führt in kurzer Zeit zur Strahlenkrankheit und eventuell zum Tode. Bei etwas geringerer Dosis darunter bis herab zu 200 mSv hat man eine erhöhte Krebsrate festgestellt (Überlebende von Hiroshima und Nagasaki). Ein Schaden tritt immer nur dann ein, wenn die Dosis hoch ist und wenn diese in kurzer Zeit einwirkt (zum Beispiel innerhalb eines Tages), wie bei den Bombenabwürfen geschehen.

Das wird durch einen Vergleich mit Alkohol verständlich: Eine Flasche Schnaps enthält die tödliche Dosis, in kurzer Zeit getrunken führt es zur Alkoholvergiftung und vielleicht zum Tode. Bei Verteilung der tödlichen Dosis auf ein Jahr schadet sie nicht.

Im Strahlenschutz wird als Lehrmeinung jeder noch so kleinen Dosis eine Wirkung zugeschrieben. Das ist die LNT-Hypothese (LNT = linear no threshold), wobei die Zeit in der Regel nicht beachtet wird. Es handelt sich um eine Annahme, die weder als richtig noch als falsch bewiesen werden kann, eben eine Hypothese. Aus der Annahme einer Wirkung noch bei der kleinsten Dosis folgt das Prinzip des Strahlenschutzes, jede noch so kleine Dosis zu vermeiden (ALARA-Prinzip = as low as reasonably achievable). Die Internationale Strahlenschutzkommission vertritt die LNT-Hypothese und das ALARA-Prinzip, die nationalen Regierungen folgen den Vorschlägen dieser Kommission und gestalten die Gesetze danach. Doch es gibt gute Gründe, die LNT-Lehrmeinung abzulehnen:

  • In der belebten Natur reagiert ein lebendes Wesen auf jede Einwirkung von außen. Bei kleiner Dosis unterhalb einer Schwellendosis gibt es keine Schäden, der Organismus kann sich erfolgreich wehren, das wusste schon Paracelsus.
  • Es gibt die „adaptive Antwort“, das heißt, eine kleine Dosis trainiert die Abwehrkraft des Organismus und stärkt sein Immunsystem. Ein gutes Beispiel dafür ist die Tatsache, dass Kinder auf Bauerhöfen weniger an Allergien leiden als Stadtkinder, weil sie mehr mit alltäglichem „Schmutz“ in Berührung kommen [2]. „Zu viel Sauberkeit ist ungesund“, allerdings wird diese unpopuläre Wahrheit nicht gern verbreitet.
  • Es gibt in der MAK-Liste (Maximale Arbeitsplatz Konzentration) 280 Positionen mit kanzerogenem Potential. LNT wird nur bei denen angewandt, die in die politische Diskussion geraten sind, wie Radioaktivität, Feinstaub [3], Nichtraucherschutz [4]. Wenn die LNT-Hypothese glaubwürdig sein soll, müsste sie folgerichtig bei allen Positionen der MAK-Liste zur Anwendung kommen.
  • Es gibt bei Radioaktivität eine biopositive Wirkung von geringen Strahlungsdosen (Hormesis-Theorie). Die International Commission on radiological protection hat die biopositive Wirkung nie als existent anerkannt, darüber wird nicht geredet.

Die Folge der LNT-Hypothese ist die Strahlenangst vor jeder noch so kleinen Strahlendosis. Diese Angst ist unbegründet, denn sie beruht auf einer bloßen Annahme. An Hand eines Zahlenbeispiels soll dieser Zusammenhang verdeutlicht werden: Der Bürger kann mit den Zahlen zu Aktivität und Dosis bei Radioaktivität nichts anfangen, sie verwirren nur, man braucht sinnvolle Vergleiche. Der Bürger hat einen sehr guten Maßstab bei Ethanol (= Alkohol), da jedermann dieses mit Bier, Wein, Sekt, Schnapspralinen schon konsumiert hat. Alkohol ist ebenfalls kanzerogen, nur wird darüber selten berichtet.

  • Radioaktivität und Alkohol haben beide eine Giftwirkung, nämlich die Strahlenkrankheit und die Alkoholvergiftung.
  • Bei Radioaktivität und Alkohol sind die Dosisabhängigkeiten des Krebsrisikos bekannt. Zusätzlich hat Alkohol Suchtpotential, ist fruchtschädigend, erbgutverändernd, brennbar, explosiv.
  • Die überzogenen Grenzen für Radioaktivität werden bei Kernkraft kaum überschritten, die ebenso überzogene Grenze bei Alkohol laut MAK-Liste wird täglich von einigen zig Millionen Menschen in Deutschland überschritten. Durch Radioaktivität kommt niemand zu Schaden, Alkohol fordert täglich Opfer.

Der quantitative Vergleich von Alkohol und Radioaktivität geschieht über das zusätzliche relative Krebsrisiko (ERR = „excess relative risk“), das in beiden Fällen gemessen wurde. Das hypothetische Risiko von 20mSv im Jahr – das Kriterium zur Evakuierung in Japan war – ist identisch mit dem hypothetischen Risiko von einer Likörpraline im Jahr, also gleich NULL [siehe Kasten unten]. Daneben gibt es weitere Punkte beim Vergleich von Radioaktivität und Alkohol zu beachten:

  • Die gefährliche beziehungsweise tödliche Dosis Alkohol steht in jedem Supermarkt 1000-fach bereit. Die gefährliche beziehungsweise tödliche Dosis von Radioaktivität befindet sich immer hinter dicken Mauern verborgen, für den Bürger unzugänglich, genauestens überwacht von 730 Mitarbeitern des Bundesamtes für Strahlenschutz.
  • Die Hormesis bei Alkohol, also die positive Wirkung bei kleiner Dosis ist überall zu beobachten. Alkohol in kleiner Menge erzeugt eine positive Grundstimmung des Menschen, erweitert die Blutgefäße und begünstigt den Kreislauf.
  • Bei Anwendung LNT-Rechenprozedur, die bei Radioaktivität zu großen Zahlen hypothetischer Opfer führt, kann auch bei Alkohol angewandt werden. Es ergibt sich so für das Münchner Oktoberfest in 2011 die erstaunliche Zahl von berechneten zusätzlichen 2000 Krebstoten durch Biergenuss (Rekord von 7,5 Millionen Besuchern und 7,5 Millionen Liter getrunkenen Bieres), natürlich in der Statistik nicht nachweisbar.

Wer gemäß der Rechenprozedur nach LNT hypothetische Tote berechnet, der sollte auch bereit sein, die hypothetischen Toten durch die hier aufgezählten Anwendungen im Vergleich zu nennen. Und wenn gegen die friedliche Nutzung der Kernkraft argumentiert wird, dann sollten die Folgen der konkurrierenden Verfahren wie Stromerzeugung durch Biomasse („Kornkraft statt Kernkraft“ nach Franz Alt) auch genannt werden [5].

Es gibt bedeutende Professoren aus dem Bereich Strahlenschutz, die eine ablehnende Haltung gegenüber der LNT-Hypothese haben; Namen wie Frank Wachsmann, Klaus Becker, Ludwig Feinendegen, Albrecht M. Kellerer, Zbigniew Jaworowski sind zu nennen. Prof. Jaworowski nannte die Anwendung der LNT-Hypothese sogar kriminell [6].

In Japan waren die Evakuierungen aus radiologischen Gründen nicht erforderlich, für die Menschen waren sie verheerend. In Deutschland boten und bieten sie Gelegenheit zu vielfältiger Angstmache. Die hauptamtlichen Strahlenschützer kennen das Problem, aber diese Fachleute werden in den Medien nicht gefragt, sie werden als Lobbyisten verunglimpft [7].

 

Überlebende von Hiroshima und Nagasaki ⇒ 1Sv in 3 Tagen ergibt ⇒ ERR ≈ 1 [8]
Das Krebsrisiko von Alkohol wird beziffert ⇒ 10 Liter in einem Jahr ⇒ ERR ≈ 2 bis 3 [9]

Berechnet wird das Krebsrisiko bei 20mSv pro Jahr, das laut Gesetz in Japan Evakuierung erforderte.

Wenn 1Sv in 3 Tagen ⇒ ERR ≈ 1 ergibt, dann bedeutet 1Sv in einem Jahr ERR ≈ 0,01

folglich bedeutet 20mSv in einem Jahr ERR ≈ 0,0002

Das Risiko ERR ≈ 0,0002 bedeutet bei Alkohol die Aufnahme von einem Milliliter reinen Alkohols im Jahr, also in etwa eine Likörpraline im Jahr.

Natürlich ist dieses eine Abschätzung mit Mängeln, dennoch gibt sie einen Eindruck von der Überzogenheit der Strahlenschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Reaktorunfall von Fukushima. Nur darum und um die dadurch verursachte Strahlenangst geht es hier.

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