01.05.1999

Kernfusion gegen Tanklaster

Kommentar von Peter Dinkelaker

Seit langem verteidigen Begrenztheitsideologen die Vorstellung, daß Machbarkeit ein Wahn sei, Einschränkung indes das einzig Wahre. Das ist haarscharf daneben. Von Peter Dinkelaker

Stellen Sie sich vor, das Magazin vor Ihnen bestünde aus Fusionsbrennstoff. Dann könnte man daraus soviel Energie gewinnen wie aus zwei Millionen Kilogramm Steinkohle. Man könnte daraus mehr Energie gewinnen, als eine vierköpfige Familie in 80 Jahren verbraucht – inklusive dem Aufwand für Auto, Industriegüter und der Produktion von Nahrungsmitteln. Aber es kommt noch besser: Die Hauptbestandteile des Fusionsbrennstoffs sind praktisch unbegrenzt verfügbar. Selbst bei einem tausendfach anwachsenden Energiebedarf der Menschheit reichen sie für Millionen von Jahren.
Deuterium ist in normalem Wasser enthalten. Der Fusionspartner Tritium kann während des Betriebs aus Lithium gewonnen werden, das als Alkalimetall in großen Mengen vorkommt. Deuterium und Tritium verschmelzen unter Freisetzung eines Neutrons mit hoher Energie zu Helium, das als Edelgas absolut ungefährlich für Mensch und Natur ist. Die freiwerdende Energie wird durch die Neutronen aus dem Plasma getragen und durch einen Wärmetauscher und Turbinen in Strom verwandelt. Das klingt einfach, ist aber technologisch gesehen überhaupt nicht ohne. Denn nur in einem elektrisch leitenden Plasma, das mehrere Millionen Grad heiß sein und von einem Magnetfeld zusammengehalten werden muß, können sich die Atomkerne so nahe kommen, daß sie ihre elektrischen Abstoßungskräfte überwinden und verschmelzen. Nach heutiger Einschätzung wird es wohl noch 50 Jahre dauern, bis man den Prozeß soweit hat, daß Strom aus Fusionskraftwerken kommerziell erzeugt werden kann. Es wird wieder Atomstrom sein, eine Art von Atomstrom jedoch, gegen den die Einwände von heute nicht mehr vorgebracht werden können. Es entsteht dabei kein langlebiger Atommüll, und es besteht keine Gefahr einer unkontrollierten Kernschmelze.
Lediglich die Stahlkonstruktion eines Fusionsreaktors würde durch die freigesetzten Neutronen im Laufe der Zeit radioaktiv. Doch diese Radioaktivität klänge vergleichsweise schnell ab. Schon nach 100 Jahren wäre die Strahlung so gering, daß die Bauteile sogar wieder mit der Hand berührt und bearbeitet werden könnten.

Trotz der zu erwartenden Vorteile der Kernfusion erfreut sie sich heute keiner großen Beliebtheit. “Statt Milliarden für den zweifelhaften Versuch zu verschleudern, auf der Erde die Sonne nachzubauen, sollte das Geld besser in die Nutzung der kostenlosen Energie der Sonne investiert werden”, meint Sven Teske, Greenpeace-Mitarbeiter in Hamburg. Die Bundestagsfraktion von B’90 / Die Grünen forderte, für die Fusionsforschung keine weiteren Gelder bereitzustellen. Auch der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine kündigte im Frühjahr des letzten Jahres an, daß nach einem Wahlsieg die Mittel für Kernfusionsforschung gestoppt werden sollen.
Nun könnte man meinen, dies sei eben wieder ein typischer Ausdruck rot-grüner Kleindenkerei, doch auch international geht es nicht so recht voran. So wurde das bislang größte Forschungsprojekt der EU, der USA, Japans und Rußlands, der International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER), abermals um drei Jahre verschoben, da die Finanzierung in Höhe von DM 22 Milliarden noch nicht gesichert ist.
Gleichzeitig tauchen nach Jahrzehnten der Forschung in der letzten Zeit neue Konzepte auf, die sich von der bisher dominierenden Tokamak-Technik des magnetischen Einschlusses, nach der auch der ITER konzipiert ist, lösen und auf anderem Wege schneller ans Ziel gelangen wollen. Die Fusionsforscher Norman Rostoker und Henk Monkhorst aus Kalifornien und Florida haben kürzlich angekündigt, mit Hilfe von privaten Investoren in zehn Jahren einen kommerziellen Kollisionsstrahl-Fusionsreaktor (Colliding Beam Fusion Reactor CBFR) zu bauen, der Bor als Brennstoff nutzen und klein, sauber und ungefährlich mitten in Wohngebieten stehen und eine Energieausbeute von 90% haben soll. Das Prinzip: Bor- und Wasserstoffstrahlen werden in den Reaktor geschickt und dort durch Magnete umgelenkt, wodurch die Kerne kollidieren und verschmelzen. Die Fusion würde dann energetisch geladene Partikel erzeugen, die direkt in elektrische Leistung umgewandelt werden könnten. In den nächsten drei Jahren wird eine Machbarkeitsstudie durchgeführt werden.

Vielleicht ist es die bloße Machbarkeit, die die Kritiker der Kernfusion am meisten fürchten. Fusionsenergie wäre ein harter Schlag für all die Begrenztheitsideologen. Seit langem verteidigen sie die Vorstellung, daß Machbarkeit eine Art Wahn sei, Einschränkung indes das einzig Wahre. Im “Factsheet” gegen die Kernfusion der “Anti-Atom-Initiative” lesen wir: “Kernfusion prolongiert den Mythos vom Energieüberfluß”. Das ist haarscharf daneben. Kernfusion prolongiert keinen Mythos. Die Fusion wird hoffentlich einen Mythos zerstören: den Mythos der omni-notwendigen Begrenzung.

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