22.08.2012

Julian Assange - Der gefallene Cyberengel

Von Patrick Hayes

Es gab eine Zeit, in der viele Internetaktivisten und Medienvertreter Julian Assange als eine Art Messias verehrten, der ihnen die Geheimnisse der Welt erklärt – heute denken sie nur noch, er sei ein sehr ungezogener Junge. Patrick Hayes über den tiefen Fall der ehemaligen Hackerikone

„Wir sind alle Julian Assange“, riefen die Demonstranten am Wochenende vor der ecuadorianischen Botschaft in London. Damit wollten sie dem Wikileaks-Gründer, der im Inneren Zuflucht gefunden hatte, ihre Solidarität zeigen. Es waren nur wenig Kameraleute und Filmteams anwesend und sogar noch weniger Demonstranten. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da hätten Massen von Netz-Aktivisten und Journalisten Schlange gestanden, um ihre Unterstützung für Assange lautstark zu verkünden.

„Assange war wie ein Rattenfänger, er scharte Massen von Anhängern um sich”, erklären zwei ehemalige Pro-Wikileaks–Journalisten des britischen Guardian in einem kürzlich erschienenen Buch. Es ist kaum zu überschätzen, wie groß der Rummel um Assange war. Wann immer Wikileaks eine neue Enthüllung veröffentlichte, druckten Zeitungen große Bilder von Assange mit seinen „langen silbernen Haaren [und] ... jungenhaft neckischen Grinsen“. Während dessen wurde in Hollywood aufgeregt darüber diskutiert, wer im nächsten Streifen Assange spielen werde. Neil Patrick Harris? Paul Bettany? Bill Hader? Vielleicht Tilda Swinton? Der New York Times-Kolumnist Bill Keller erzählte von einer Diskussionsrunde über Wikileaks in Berkeley, bei der Assange via Skype „wie der mächtige Zauberer von Ozz“ auf eine Kinoleinwand projiziert wurde. Dort sprach er davon, was die westlichen Medien tun könnten, um den amerikanischen Imperialismus zur Rechenschaft zu ziehen. Keller erinnert sich daran, es habe „nicht mehr viel gefehlt und die Hälfte des Publikums hätte ihre Unterwäsche auf die Leinwand geworfen.“

Ernst zu nehmende Schriftsteller schrieben Abhandlungen zum Thema „Warum liebe ich Wikileaks“, der Kampagnen-Journalist John Pilger ernannte Assange zum „Wahrheitssager”, Spiegel Online schrieb von einem „Helden der Wahrheit“. Ein Autor des New Yorker bezeichnete ihn gar als ein „Wesen, das auf die Erde kam, um dieser ungeahnte Wahrheiten zu bringen“. In den Augen vieler linksliberaler Kommentatoren konnte „St. Julian von Assange“ einfach nichts falsch machen. Bereitwillig verbreiteten die Nachrichtenagenturen sein Evangelium. Er war Zweiter bei der Wahl zur Person des Jahres des Time Magazine 2010 (und gewann mit hoher Mehrheit die Leserwahl). Der preisgekrönte Guardian-Reporter Nick Davies versicherte Assange persönlich, dass „wir Sie auf ein moralisches Podest stellen werden - so hoch, dass Sie eine Sauerstoffmaske brauchen werden. Sie werden dort zusammen mit Nelson Mandela und Mutter Teresa stehen… Man wird nicht in der Lage sein, Sie zu verhaften. Auch können sie Ihre Webseite nicht löschen.”

Doch nachdem sie Assange auf einen so hohen Sockel gestellt, ihn als eine digitale Gottheit gehypt hatten, die vor den Augen der ganzen Welt die neuen Kleider der imperialistischen Kaiser enthüllte, verloren die westlichen Medien plötzlich den Glauben an ihn. Gerade als er begann, sich wie der Messias zu benehmen, den sie aus ihm gemacht hatten, hatte Assange einen spektakulären Streit mit dem Guardian wegen dessen angeblich verleumderischen Bemerkungen über ihn. Er würde mit den Geheimdokumenten nicht gewissenhaft genug umgehen, hieß es damals. Und die Anschuldigungen, er habe zwei Frauen in Schweden sexuell genötigt, führten zu dem noch andauernden Auslieferungsprozess. Zunächst verteidigten die Medien Assange – abgesehen von einer Handvoll Feministinnen, die die Anklagen zu Vergewaltigung ausgeweitet sehen wollten. Aber heute wird man Mühe haben, einen Mainstream-Journalisten zu finden, der sich für den ehemaligen Helden stark macht.

Assange wird nun von dem gleichen Leuten ein Messias-Komplex vorgeworfen, die ihn erst zum Messias machten. Und wie er jetzt in seinem fensterlosen Raum in der ecuadorianischen Botschaft sitzt, wird er sich vielleicht verständlicherweise fragen, warum die Journalistin Heather Brook noch nicht zu ihm kam, um ihm wie Maria Magdalena die Füße zu baden – in einem Buch witzelte sie darüber, dass sie mal darüber geredet hatten, das zu tun. In der Welt vieler linksliberaler Journalisten war Assange einst der freundlicher Computernerd aus Australien, und er wäre es vielleicht noch immer, wenn sie nicht versucht hätten, ihn auf einen so hohen Sockel zu stellen, dass er - um bei Nick Davies Metapher zu bleiben - durch den Sauerstoffmangel schließlich ein wenig verrückt wurde. Die Wahrheit ist, dass eben diese Medienleute ihn zu dem irritierenden Größenwahnsinnigen machten, der er heute ist.

Der Untergang des Julian Assange bietet nicht nur Einblick in die Psyche eines überbewerteten Hackers; er zeigt auch den schäbigen und flatterhaften Charakter der heutigen Möchtegern-Radikalen. Ein Held wird von heute auf morgen gehypt, nur um ihn dann ebenso schnell wieder fallen zu lassen. Ein Kolumnist sagte, Assange habe der Wikileaks-Mission „in tragischer Weise geschadet”, als er nicht zu der Anhörung zu den Vergewaltigungsvorwürfen erschien. Sein „Heiligenschein wurde getrübt”, erklärte ein Leitartikel des Independent. Noch im vergangenen Jahr hielt Assange unter tosendem Applaus eine Rede bei Occupy London. Roboterhaft wiederholten die Demonstranten dabei seinen Slogan „Wir sind alle Individuen”. Nun sind sich die Überreste der Occupy-Bewegung selbst tief unschlüssig darüber, ob sie ihr einstiges Idol weiter unterstützen sollen.

Vor gar nicht langer Zeit meinten Guardian-Redakteure, „die Medien und die Öffentlichkeit spalte sich in die, die Assange für eine neue Art von Medien-Messias halten, und jene, die in ihm einen James-Bond-Film-mäßigen Bösewicht sehen”. Heute denken so gut wie alle, Assange sei ein dämonischer, Katzen streichelnder Bösewicht. Während sein Promi-Status immer noch groß ist – Steven Spielberg plant angeblich eine Filmbiografie über ihn, und die Rechte an zwei Büchern über Assange soll er sich schon gesichert haben – geht es jetzt nur noch um die Frage, wie das Ganze ausgeht. Es ist nicht einmal mehr von wirklicher Bedeutung, ob Assange aus alldem erfolgreich hervorgeht.

St Julian von Assange war nie ein Messias. Viele seiner weltbewegenden Enthüllungen waren nicht mehr als Klatsch. Aber wo einst Heerscharen von Aktivisten zu ihrem Anführer hielten und sich an seine Fersen hefteten, um auch jedes Wort von ihm mitzubekommen, lehnen sie ihn jetzt kurzerhand wegen ein paar ungeklärter Anschuldigungen ab. Wie Judas haben die Aktivisten und die Medien ihr ehemaliges Pin-Up verraten. Das geschieht immer häufiger. Assange ist nur ein weiterer Held unter vielen, der plötzlich von seinen Anhängern fallen gelassen wurde.

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