01.11.2003

Im Osten geht die Sonne auf

Essay von Thomas Deichmann

Die Grüne Gentechnik wird jetzt verstärkt in den neuen Ländern angesiedelt, um den Widerstand von Verbraucherschutzministerin Künast gegen die Biowissenschaften zu brechen. Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern wollen sich weitere Blockaden im Rahmen der anstehenden Novellierung des deutschen Gentechnikgesetzes nicht mehr gefallen lassen. Von Thomas Deichmann

Die OECD geht davon aus, dass die modernen Biotechnologien in den nächsten Jahrzehnten eine ökonomisch ähnliche Bedeutung wie derzeit die Informationstechnologie erlangen werden. Und nach der Delphie-Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wird bis zum Jahr 2020 etwa die Hälfte aller bedeutenden Innovationen nicht mehr ohne biotechnologische Verfahren möglich sein. Hierzulande ist von all dem noch wenig zu spüren – vor allem was die Pflanzenbiowissenschaften angeht. Doch das mag sich alsbald ändern, und als Folge könnten die Landschaften im Osten des Landes anders als je erwartet erblühen.Mehrere politische Initiativen der letzten Monate deuten nämlich darauf hin, dass die Grüne Gentechnik in nächster Zukunft verstärkt in den neuen Bundesländern angesiedelt wird. Länderchefs, Forschungsanstalten und Unternehmen wollen mit diesem Schritt den anhaltenden Widerstand der grünen Verbraucherschutzministerin Renate Künast und ihres Parteikollegen und Umweltministers Jürgen Trittin gegen die modernen Biotechnologien unterlaufen. Keine schlechte Idee, denn während die Stimmungsmache der grünen Bundesminister gegen transgene Pflanzen im Westen des Landes zwar auf immer weniger offene Ohren stößt, aber trotzdem noch einige Wählerstimmen einbringt, gelten Hightech und Forschung einschließlich der Gentechnik im Agrar- und Lebensmittelbereich im Osten weniger als Gefahr denn als Chance für eine nachhaltige und effiziente Landwirtschaft und als vielversprechende NewEconomy-Branche. Glückt die vor kurzem lancierte Biotech-Offensive im Osten der Republik, könnten die neuen Länder in ein paar Jahren nicht nur die Führungsrolle in Sachen Wirtschaftlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit des deutschen Ackerbaus übernehmen.Die Vorreiterrolle bei diesem Streben nimmt derzeit Sachsen-Anhalt ein. In einer Kabinettsitzung am 12. August hat die Landesregierung zuletzt eine Biotechnologie-Umsetzungsstrategie zur Nutzung und Entwicklung der Pflanzenbiotechnologien beschlossen. Die Grüne Gentechnik wurde neben der Pharmaproduktion als einer von zwei Förderschwerpunkten festgelegt. In den kommenden fünf Jahren werden insgesamt rund 150 Mio. Euro für die Entwicklung beider Sektoren bereitgestellt. Wirtschaftsminister Horst Rehberger (FDP) kündigte an, Sachsen-Anhalt zu einem „führenden, weltweit anerkannten Biotechnologiestandort auszubauen“. In kaum einem anderen Zukunftsbereich verfüge das Land über ein derartiges Potenzial, das Wirtschaftswachstum zu steigern und neue, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. In der Tat gibt es kaum eine andere Region in Deutschland, in der so wesentliche Teile der Agrarkette Pflanzenzüchtung, Ackerbau, Lebensmittelverarbeitung und Pflanzenbiotechnologie versammelt sind.

Um das Potenzial zu nutzen, ziehen in Sachsen-Anhalt die Ministerien für Wirtschaft, Umwelt, Landwirtschaft und Kultur an einem Strang. Darüber freut sich nicht zuletzt die Industrie, die in die Erarbeitung des Aktionsplans des Landes mit einbezogen wurde und nun darauf hofft, in absehbarer Zeit zunächst ost-, später auch westdeutschen Bauern und Verbrauchern ihre verbesserten Agrarprodukte (beispielsweise Maissorten mit gentechnisch erzeugten Resistenzen gegen Fraßschädlinge) schmackhaft machen und den deutschen Markt für ihre Produkte, die zum Teil schon bedeutende Weltmarktanteile erobert haben, öffnen zu können.

„Während die Stimmungsmache der grünen Bundesminister gegen transgene Pflanzen im Westen des Landes zwar auf immer weniger offene Ohren stößt, aber trotzdem noch einige Wählerstimmen einbringt, gelten Hightech und Forschung einschließlich der Gentechnik im Agrar- und Lebensmittelbereich im Osten weniger als Gefahr denn als Chance für eine nachhaltige und effiziente Landwirtschaft und als vielversprechende NewEconomy-Branche.“

Neben der Stärkung bereits bestehender regionaler Netzwerke, dem Ausbau internationaler Partnerschaften wie beispielsweise mit den Biotech-Regionen im niederländischen Wageningen und in Monterrey in den USA und der Verbesserung der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist die derzeit ehrgeizigste Maßnahme des Landes der Bau des Bioparks Gatersleben. Hier sollen sich alsbald Biotech-Firmen aus aller Welt ansiedeln – am liebsten auch die ganz großen im Geschäft wie Monsanto, Syngenta und Bayer Crop Science. Es ist vorgesehen, 35 bis 50 Prozent der Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen durch Fördermittel aufzufangen. Der 35 Mio. Euro teure Gewerbepark mit Laborgebäuden, Gewächshäusern und Anbauflächen soll auf einem zwölf Hektar großen Areal optimale Bedingungen für Unternehmen und Forschungsanstalten bieten – der Baustart ist für das Frühjahr 2004 geplant. Die Verhandlungen mit den Investoren laufen auf Hochtouren.

Von Sachsen-Anhalt unterstützt wird auch das InnoRegio-Projekt „InnoPlanta“ in der Region Nordharz / Börde– ein Verein, der im Mai 2000 gegründet wurde und auf den das Land sehr stolz ist, weil er beim InnoRegio-Wettbewerb des BMBF im Herbst 2000 sogleich den ersten Platz belegte und mit 20 Mio. Euro an Fördermitteln für den Zeitraum 2001-2006 die höchste jemals vergebene Prämie im InnoRegio-Wettbewerb erhielt. „InnoPlanta“ vernetzt vor allem bereits existierende Kompetenzen der Region, die beispielsweise am weltweit renommierten Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, der Bundesanstalt für Züchtungsforschung (BAZ) mit einem Sitz in Quedlinburg, der Universität in Halle, der Hochschule Anhalt in Berburg und einer Reihe lokaler Saatzuchtunternehmen wie der ZKW Züchtungsgesellschaft mbH in Wanzleben und der Nordsaat Saatzucht GmbH in Böhnshausen angesiedelt sind. InnoPlanta koordiniert die vielfältigen Projekte der Branche – darunter Forschungen an verbesserten Spargelsorten und die Züchtung von Kulturpflanzen mit neuen Inhaltsstoffen – und bindet sie in die Biotechnologie-Strategie der Landesregierung ein. Der Verein betreut derzeit 32 Einzelprojekte mit insgesamt 83 Partnern. Zukünftig soll er mit dem Netzwerk „Rephyna“, dessen Schwerpunkt bei der Isolierung von Arzneimitteln aus Pflanzen liegt, zusammengeführt werden.

Dreh- und Angelpunkt der Initiativen in Sachsen-Anhalt ist die BIOMitteldeutschland GmbH (BMD), deren Gründung im November 2002 von der Landesregierung beschlossen wurde. Sie ist aus der Bioregion Halle-Leipzig Management GmbH hervorgegangen und hat die Aufgabe, die Implementierung der Biotech-Offensive des Landes zu koordinieren und voranzutreiben. Als Geschäftsführer wurde Jens Katzek an Bord geholt, der zuvor den gleichen Posten bei der in Frankfurt am Main ansässigen Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) innehatte. Als er diesen im vergangenen Herbst kurzerhand an den Nagel hängte, um in den Osten zu ziehen, wurde das in der Branche als deutliches Signal dafür gewertet, dass Sachsen-Anhalt zukünftig auch in politischer Hinsicht von sich reden machen würde. Als DIB-Geschäftsführer hatte sich Katzek für die Entwicklung verlässlicher nationaler und internationaler Rahmenbedingungen für Entwickler und Anwender der Grünen Gentechnik eingesetzt, und er war deshalb nicht selten mit Ministerin Künast aneinandergeraten. In Sachsen-Anhalt hat er nun beste Voraussetzungen für sein Wirken. Zum Beschluss der Biotechnologie-Umsetzungsstrategie des Landes sagte er, Pläne zur Förderung der Biotechnologie gebe es zwar wie Sand am Meer, „aber eine umfassende, in sich schlüssige Strategie, wie sie die Landesregierung jetzt vorgelegt“ habe, finde man eher selten.

Ein wesentlicher Eckpunkt dieser Strategie, an der Katzek mitgefeilt hat, ist die politische Einflußnahme auf die nationalen und internationalen Gesetzgeber in Berlin und Brüssel. So hat der Bundesrat vor einigen Wochen nicht zufällig einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die von den EU-Behörden novellierte Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) unverzüglich und ohne deutsch-grünen Sonderweg, d.h. ohne erschwerende Hürden für hiesige Produzenten und Anwender, in nationales Recht umzusetzen. Initiator war in diesem Fall die Umwelt- und Landwirtschaftsministerin von Sachsen-Anhalt Petra von Wernicke (CDU). Bundesministerin Künast, die mit der Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie betraut ist und dafür das deutsche Gentechnikgesetz (GenTG) ändern muss, hatte kurz zuvor einen Referentenentwurf für das GenTG vorgelegt, in dem sie u.a. vorschlug, den Schwellenwert für die aus Gründen der landwirtschaftlichen Praxis nicht zu vermeidenden und völlig unbedenklichen Vermischungen „ökologisch“ produzierter und transgener Feldfüchte noch deutlich unter den EU-Wert von 0,9 Prozent zu drücken. Schon allein hierdurch würde der Grünen Gentechnik in Deutschland weiter das Wasser abgegraben. Doch damit nicht genug: Künast möchte außerdem, dass der bisher im GenTG aufgeführte Förderzweck für die Grüne Gentechnik gestrichen wird. Und Punkte wie die Wahlfreiheit für Konsumenten und die Transparenz sollen zu Gesetzeszwecken erklärt werden, was nach Aussage anderer Ressorts in ihrem Entwurf nichts zu suchen habe. Wissenschaftler monieren, dass an etlichen Stellen die in der EU-Freisetzungsrichtlinie genannten Anforderungen verschärft werden sollen. Doch Künast bräuchte zur Durchsetzung ihrer Ziele eine Mehrheit im Bundesrat. Angesichts der dortigen Mehrheitsverhältnisse gegen Rot-Grün und der jüngsten Initiativen in den neuen Ländern dürfte ihr diese versagt bleiben.

Um die Marschrichtung der neuen Länder in Sachen Pflanzen-Biotech in Zukunft besser koordinieren zu können, verfolgen Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen das Ziel, eine „Agenda Mitteldeutschland“ aufzustellen. In einzelnen Bereichen funktioniert die Zusammenarbeit bereits. So wollen die drei Länderchefs die von Künast und Trittin anvisierte Fortsetzung der deutschen Blockade der Grünen Gentechnik stoppen. Sie fordern deshalb eine 1:1-Umsetzung der EU-Beschlüsse in deutsches Recht. Für diese Zielsetzung wollen sie auch weitere Landesregierungen gewinnen. Zudem ist darüber nachgedacht worden, die gesamte mitteldeutsche Wirtschaftsregion, die mit Gebieten im In- und Ausland um Investitionen, Firmenniederlassungen und Arbeitsplätze konkurrieren muss, noch besser aufzustellen. Dabei sollen weitere ostdeutsche Bundesländer sowie Niedersachsen miteinbezogen werden. Diese Strategie erscheint sinnvoll, denn in Brandenburg beispielsweise sitzen mit dem Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm und der Potsdamer PlanTech Gmbh weitere bedeutende Kompetenzen. Und für solche regionalen Kompetenzvernetzungen hat die Europäische Kommission im Rahmen ihrer LifeScience-Strategie außerdem spezielle Fördertöpfe vorgesehen.

Um den ehrgeizigen politischen und ökonomischen Zielen Nachdruck zu verleihen und Künast bei der Novellierung des GenTG vorzeitig in die Schranken zu verweisen, debattierte der Landtag von Sachsen-Anhalt kurz vor der Sommerpause Anfang Juli auch schon über einen Regierungsantrag, den Biotechunternehmen und Forschungsanstalten im Bundesland ein Anbauprogramm für gentechnisch veränderte Pflanzen vorzuschlagen. Im Oderbruch in Brandenburg liefen in den vergangenen Jahren bereits erfolgreich Testanbauten von transgenem Mais. Und in Thüringen sollte dieses Jahr mit der erstmaligen Erprobung einer gentechnisch gegen Pilzbefall veränderten Weizensorte begonnen werden. Doch der Testanbau von Syngenta wurde von Biotechgegnern sabotiert, indem sie konventionelles Weizensaatgut auf der Testfläche verteilten. Solche Störaktionen betrachten die Landeschefs im Osten als unschöne „Westimporte“. Sie wollen sich aber nicht davon abhalten lassen, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. So ist zu erwarten, dass die im Herbst 2003 anstehende Novellierung des GenTG zu einem harten Schlagabtausch zwischen den politischen Gegnern und den Befürwortern der Pflanzenbiotechnologien führen wird.

Dass Künast sich nicht einmal unbedingt auf die eigenen Reihen wird verlassen können, zeigt das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, dessen sozialdemokratischer Landwirtschaftsminister Till Backhaus die Grüne Gentechnik ebenfalls fördert und zumindest in diesem Punkt mehr mit seinen ostdeutschen Landeskollegen der Union gemein hat als mit der grünen Landwirtschaftsministerin des Bundes. Auf einer Tagung des Vereins zur Förderung Innovativer und Nachhaltiger Agrobiotechnologien (FINAB e.V.) im vergangenen Mai bezeichnete er die Verweigerungshaltung Berlins hinsichtlich der Pflanzenbiowissenschaften als „falschen Weg“, der sich im globalen Welthandel ohnehin nicht einhalten ließe. Backhaus fungierte als Schirmherr der Tagung, die auf dem Gelände der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) in Rostock abgehalten wurde. Sein Ministerium misst den Aktivitäten von FINAB e.V. große Bedeutung zu.

Der Verein wurde im April 1999 gegründet mit dem Ziel, die agrarwissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte im traditionell landwirtschaftlich orientierten Nordosten Deutschlands zu vernetzen und die Tier- und Pflanzenzucht im Sinne einer naturschonenden Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern zu entwickeln. Dabei werden alle verfügbaren Technologien, von der Grünen Gentechnik bis hin zum ökologischen Landbau, vorurteilsfrei einbezogen und das im Westen der Republik politisch heiß diskutierte Konzept der gleichberechtigten Koexistenz verschiedener Anbausysteme in die Praxis umgesetzt. Augenfällig ist auch in Mecklenburg-Vorpommern die fruchtbare und vertrauensvolle Kooperation zwischen unterschiedlichen Ministerien, Forschungseinrichtungen und Agrarbetrieben, was maßgeblich auf das unermüdliche Engagement zweier Frauen zurückgeht: der FINAB-Vorsitzenden Inge Broer, Agrarökologin an der Universität Rostock, und einer ihrer Stellvertreterinnen, Kerstin Schmidt von der BioMath GmbH in Rostock.

In Sachen Infrastruktur ist Mecklenburg-Vorpommern einen Schritt weiter als Sachsen-Anhalt. Bereits im März 2002 erfolgte der erste Spatenstich für ein großzügiges Kompetenz- und Gründerzentrum für biogene Ressourcen in Groß Lüsewitz etwa zehn Kilometer vor Rostock. Das Kompetenzzentrum soll 30 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche umfassen, dazu werden Gewächshäuser und im angegliederten Gründerzentrum Büro- und Laborgebäude errichtet. Bei der Grundsteinlegung des „Bioaktiv“ getauften Projekts im September letzten Jahres überreichte Landwirtschaftsminister Backhaus einen Zuwendungsbescheid der Landesregierung über 5,34 Mio. Euro, die in den Bau des Zentrums fließen sollen.

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