01.09.2007

Hollywood-Pornos

Kommentar von Jürgen Wimmer

Moderne Actionstreifen und Pornofilme haben nicht den Sex gemeinsam, sondern den inhaltlichen Tiefgang.

Betrachten wir eine Szene aus Stirb langsam 4.0: Ein angeblicher Super-Hacker sitzt an seinem Rechner und quasselt in einem Chatroom. Da jubeln ihm Terroristen einen Virus unter, da er von Firewalls und dergleichen offenbar noch nie etwas gehört hat. Er weiß natürlich, wie er so ein Schädlingsprogramm gleich wieder los wird: Er drückt einfach die „Delete“-Taste, halleluja! Dadurch aber explodiert der Rechner; nicht etwa dergestalt, dass sich mit dezentem „poff“ das Motherboard verabschiedet. Nein, das ganze Haus fliegt in die Luft (mit unvermeidlichem Feuerball, denn Computer werden bekanntlich mit Benzin betrieben). Nun mag der scharfsinnige Zuschauer einwenden: Vielleicht haben die Terroristen den Rechner ja vorher präpariert. Möglich. Aber wozu dann die Sperenzchen mit dem Virus? Dann können sie die Bombe einfach so hochjagen.
Was ist also der Sinn dieser Szene (die so ähnlich sogar wiederholt vorkommt)? Völlig falsche Frage. Sie soll keinen Sinn haben und braucht im heutigen Kino auch keinen. Sie stellt lediglich die Grundversorgung des Publikums mit Explosionen sicher. Und dieses Prinzip folgt letzten Endes der Dramaturgie des Pornofilms.


Um das näher zu verstehen, werfen wir kurz den Blick auf das einschlägige Internetfilmchen A handy hunk and my husband, gedreht 2003 in Ungarn. Es spielen: Mia Stone (die Hausfrau), Frank Major (den Klempner) und Nick Lang (den Ehemann). Die Handlung: Der Klempner klingelt an der Haustür einer Villa, und die Hausfrau – bereits im durchsichtigen Netzhemd – bittet ihn herein. Zum angekündigten Pool-Service kommt es gar nicht erst; ohnehin sieht der blitzsaubere und nagelneue Blaumann des Handwerkers so aus, als sei darin noch nie gearbeitet worden.
Während der Klempner gerade mit der Hausfrau den Doggie-Style erprobt, kommt überraschend der Herr Gemahl nach Hause. Mäßig aufgebracht fragt er: „Who is dat man?“ Die Hausfrau macht nur ein paar Verlegenheitsgesten und gibt unzusammenhängende Laute von sich (weil man die ungarische Darstellerin mit englischem Dialog nicht überfordern will), während der Klempner gar keinen Grund sieht, innezuhalten. Der Gehörnte protestiert nochmals, aber seine Frau schält ihm schon den Reißverschluss herunter, weshalb er sich dann auch nicht weiter echauffieren mag und einfach mitmacht.


Das wirft die berechtigte Frage auf: Was hat dieser Schwachsinn mit dem Hollywood-Mainstream zu tun? Alles. Filme wie Stirb langsam 4.0 oder auch Pirates of the Caribbean 3 – Am Ende der Welt folgen exakt dieser Dramaturgie. Heißt: Nichts geschieht mehr, weil es Sinn ergibt, sondern weil es vom Zuschauer so erwartet wird, damit seine Gafflust befriedigt wird. Dabei wird jede Glaubwürdigkeit als störend empfunden.


Ein Blick zurück: Der erste Stirb langsam wurde gedreht, bevor das Gros des Zielpublikums von Teil 4 überhaupt geboren war (1988), und setzte neue Maßstäbe, was Tempo und Materialverschleiß anging. Sieht man den Film heute, wirkt er erstaunlich bedächtig. Denn unzählige Zerstörungsorgien, etwa aus der Hand von Michael Bay (Transformers) haben die Sehgewohnheiten inzwischen auf eine Art Minimalrezeption gedrillt. Heißt: Eine zusammenhängende Folge von schlüssig aufeinander abgestimmten Ereignissen gibt es immer seltener. In fast allen Besprechungen zum Pirates of the Caribbean 3 war die Rede davon, dass es unmöglich sei, in klaren Worten wiederzugeben, worum zum Henker es da eigentlich geht. Allenfalls für kleinste Filmpartikelchen lässt sich das rein äußerliche Geschehen noch darstellen: Johnny Depp tut dies, Keira Knightley sagt jenes, aber weder führt es irgendwo hin, noch bilden die Mosaiksteinchen hinterher ein Gesamtbild, das über weißes Rauschen hinausginge. Der ganz unmittelbare Schauwert, der isoliert für sich dasteht, bestimmt den Film. Und damit sind wir wieder beim Porno. Dass der Ehemann den Klempner verdrischt und seine Frau zum Teufel jagt – undenkbar! Das würde dem Zuschauer den (wenn auch zweifelhaften) Schauwert vorenthalten.


Das gilt auch für Stirb langsam 4.0, nur dass es hier eben Explosionen und kaputte Autos sind. Dabei war es keinesfalls nur das Geballer, was den ersten Teil 1988 zum verdienten Welterfolg machte. Bruce Willis war als beherzter Cop John McClane ein Actionheld anderen Schlages: einer, der selbst einstecken musste. Wer erinnert sich nicht an die Szene, wo er sich die Glassplitter aus der Fußsohle klaubt (sofern sie nicht, wie im Fernsehen, geschnitten ist)? Bei all den Explosionen und Schießereien legte das Original die Gesetze der Wahrscheinlichkeit zwar stets großzügig zu seinen Gunsten aus, ignorierte sie aber nie vollständig. Bei den Fortsetzungen von 1990 und 1995 war das schon anders. Besonders im dritten Teil war McClane am Ende wenig mehr als eine unzerstörbare Cartoon-Gestalt. Und in Teil 4 findet dieses Konzept seine Erfüllung, wenn McClane, ähnlich wie Clever & Smart, jede physische Deformation ohne nennenswerten Schaden übersteht.
Und da zeigt sich denn doch ein kleiner Unterschied zum Porno: Während das Klempner-Filmchen die Gesetze Newtons und Einsteins durchaus respektiert, braucht Stirb langsam 4.0 eine neue Physik mit neuen Gesetzen, etwa: Wenn Bruce Willis in ein Auto einsteigt, wird es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten zwei Minuten gerammt, von Kugeln durchlöchert, in die Luft gesprengt, durch die Gegend geschleudert oder sonstwie demoliert. Normalerweise wäre McClane nach spätestens einer halben Stunde tot. Denn hier geht es nicht mehr um ein paar Glassplitter im Fuß, was seinerzeit nur allzu realistisch war und schon beim Anschauen schmerzte. Heute sendet die Leinwand in kurzen Intervallen primitive Reize für Auge und Ohr aus. Explosionen, Geballer und Schlägereien addieren sich zum mittlerweile hollywoodtypischen Actioncocktail, bei dem es nur noch um die Befriedigung infantiler Zerstörungswut geht. Je mehr am Ende kaputt ist, desto besser der Film. Nach diesem Maßstab wäre Stirb langsam 4.0 dann immerhin ein Meisterwerk. Oder ein gelungener Porno.

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