01.01.2000

Gutes oder schlechtes Design – eine Frage der Moral?

Analyse von Alex Cameron

Ein kürzlich veröffentlichtes Manifest fordert ein ethisches Design. Grafiker Alex Cameron hingegen plädiert, dass Design weiterhin nur gestalten sowie vermitteln und nicht nach moralischen Kriterien vorsortieren soll.

Zum Ende des 20. Jahrhunderts haben es Design und Grafik wirklich geschafft: Einige Designer gelten heute als Popstars, und immer mehr Menschen wissen den “Wert” guter Grafik zu schätzen. Das ist soweit prima. Bei der Entwicklung unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten, in immer mehr Medien mit immer mehr Menschen zu kommunizieren, spielen Grafiker und Designer in der Tat eine wichtige Rolle. Es sollte daher vielleicht auch nicht verwundern, dass einige Designer den Einfluss ihrer Branche auf das Denken und Handeln von Verbrauchern überschätzen. Diese Selbstüberschätzung kann allerdings dazu führen, dass sich die Rolle von Grafik und Design ändert. Zwar können wir Designer mit Recht stolz darauf sein, dass wir die Welt bunter und manchmal auch potenziell besser gemacht haben. Aber der Glaube, Design könne die Welt verändern, ist verblasen. Die Unterzeichner eines neuen Design-Manifests scheinen dies aber entschieden anders zu sehen.
Ende 1999 wurde das Manifest “First Things First 2000” (FTF 2000) gleichzeitig in den Zeitschriften Adbusters (Kanada), EmigrÈ und AIGA (USA), Eye International Journal und Blueprint (England), Items (Niederlande) und Form (Deutschland) veröffentlicht. Als Grundlage diente das 1964 vom britischen Designer Ken Garland veröffentlichte und einflussreiche Manifest “First Things First” (FTF). FTF 2000 ist eine aktualisierte Version, die die damaligen Ideen updaten will. FTF 2000 entstand auf Initiative des ökologisch ausgerichteten Magazins Adbusters. Werbung wird in dem Manifest als übermächtiges Medium gesehen, das Denken und Handeln der ohnmächtigen Konsumenten formt und bestimmt. Selbstverständlich hat sich die Welt, seit der junge Garland 1964 sein Manifest verfasste, sehr verändert – man denke nur an das damalige Handwerkszeug eines Grafikers. Dennoch haben sich seither auch viele Ideen und Vorurteile nur wenig geändert. Die Verfasser des neuen FTF-Manifests haben, denke ich, den Geist von Garlands Manifest aufgegriffen, ihn jedoch total untergraben.


Während beispielsweise Garland und seine Zeitgenossen forderten, die “Prioritäten umzukehren, zugunsten der nützlichen und beständigen Formen von Kommunikation”, ist dergleichen den Verfassern von FTF 2000 zur moralischen Forderung geworden: “Designer, die ihren Arbeitsschwerpunkt vor allem in den Bereichen Werbung, Marketing und Markenentwicklung haben, unterstützen damit, mehr oder weniger bewusst, eine geistige Umwelt, die derart mit Kommerz übersättigt ist, dass sich dadurch Sprechen, Denken, Fühlen, Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit der Verbraucher, d.h. der Bürger, verändern.”
Entsprechend folgt der Auftritt des ethischen Designers, der antritt, die Welt zu retten. Ethisches Design fordert die Branche dazu auf, vor der Annahme eines Auftrags den Gehalt des Projekts kritisch zu hinterfragen. Der Gehalt – und dessen moralische Qualität – wird demnach zum Kriterium für gutes oder schlechtes Design.
Dieser neue Ansatz verändert grundlegend das Verständnis von Design und der Rolle des Designers innerhalb der Produktion. “Ethik” als Designelement kann auf vielerlei Art problematisch sein. Dass ich am “ethischen” Ansatz Anstoß nehme, mag befremden, vor allem, da ich mich selbst durchaus als Person mit ethischen Grundsätzen bezeichnen würde. Ich denke aber, dass ein Designer vor allem eines tun muss: seine Aufgabe, seinen Beruf ernst nehmen, d.h. gutes Design hervorbringen. Ob man dabei dem Gehalt des designten Dings zustimmt oder nicht, ist nachrangig. Als Vermittler ist die Aufgabe des Designers nicht unähnlich der eines Übersetzers vor Gericht. Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, muss der Übersetzer auf Distanz zu den Vorgängen um ihn herum bleiben; er muss in allererster Linie eine gute, stimmige Übersetzung abliefern.


Wir Designer sollten uns den bescheidenen Übersetzer zum Vorbild nehmen. Weder haben wir die Befähigung, uns als Moralgericht aufzuführen, noch ist dies überhaupt wünschenswert. Credo unseres Berufs sollte bleiben: Als Designer sind wir Vermittler.
Design funktioniert schon sehr lange, ohne dass irgendwelche ethischen Richtlinien notwendig gewesen wären. Eine nüchterne, handwerkliche Sicht der Rolle des Designers hat dabei der Qualität früherer Arbeiten nicht geschadet. Nur Designer, die ihr Handwerk als solches ernst nehmen, werden gute, nützliche, schöpferische und beständige Arbeiten hervorbringen.
Die Idee eines “ethischen Designs” zerstört die Rolle des Designers als Vermittler. Wenn ein Designer nicht mehr primär daran arbeitet, die gestalterischen Möglichkeiten eines Dings auszuloten und zu entwickeln, wenn er stattdessen ein moralisches Werturteil über das Ding abgeben soll, dann ist er Richter und eben nicht mehr Former, Vermittler und Handwerker.
Ethisches Design geht einher mit Grünem Design. Letzteres hat aber immerhin noch praktische Aspekte, geht es dabei doch auch um die möglichst effektive gestalterische Nutzung eines Materials. Hier können sich Ethik (Ökologie) und Design gelegentlich treffen. Eine solche verschiedentliche Übereinkunft ist jedoch nicht eins mit einer ethischen Forderung an die Designer – sei sie nun ökologisch, frauenfreundlich oder menschenrechtlich begründet.
Grünes Design drückte (als es in der 80-ern aufkam) vor allem ein Unbehagen mit unserer Industriegesellschaft, mit Entwicklung und Fortschritt aus. Ethisches Design geht einen Schritt weiter: Da in den 90-er Jahren das Vertrauen in Institutionen, politische Körperschaften, Politiker und sogar in Politik überhaupt so ziemlich ganz geschwunden ist, fällt es leicht, auch in ganz anderen Bereichen der Gesellschaft überkommene Formen und traditionelle Ansätze über Bord zu werfen. Das trifft die Sphäre der Politik ebenso wie die der Wirtschaft und des Handels – und eben auch des Designs.

“Der Einfluss, den Werbung auf die Menschen hat, wird von den ethischen Designern auf groteske Weise überschätzt”

Ethisches Design ist deshalb auch eine Reaktion auf das wachsende Gefühl politischer Ohnmacht. Da alles um uns herum von unverständlichen Kräften beeinflusst scheint, versuchen die Designer nun, in einem Kraftakt eine dieser vermuteten Kräfte – das Design – zum Guten zu wenden. Das ethische Design, das von FTF 2000 gefordert wird, ruft, will man es positiv sehen, die Designer dazu auf‚ für das “Gute” zu designen. Dahinter verbergen sich aber letztlich moralische Gebote für Designer – und für Konsumenten. Die entsprechenden Gebote werden zwar recht liberal als freie Willensentscheidungen präsentiert, aber wie weit ist es damit her? Die Notwendigkeit, ethisch zu designen, wird im FTF 2000-Manifest mit zwei sehr zweifelhaften Sätzen begründet – Annahmen, die für die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Richtung nichts Gutes ahnen lassen. Zum einen wird davon ausgegangen, dass Design das Handeln und Denken von Menschen entscheidend beeinflusst. Und zum anderen, dass Otto Normalbürger ohnmächtig und gänzlich verführbar ist.
Um Grafik und Design voranzubringen, ist es notwendig zu verstehen, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen. Gleichermaßen müssen Designer sich auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können, nämlich die Inhalte, Produkte und Ideen möglichst effektiv zu vermitteln. Die tatsächliche Auseinandersetzung über Inhalte und Ideen findet in der Öffentlichkeit statt – allerdings nur dann, wenn die entsprechenden Ideen dort auch ankommen.
Ethische Designer gehen davon aus, dass ihre Mitmenschen überhaupt nicht in der Lage dazu sind, sich richtig (oder sinnvoll) zu entscheiden. Deshalb wollen sie das Angebot einschränken und Ideen kindgemäß vorsortieren. Man könnte das auch Zensur nennen.

 

Der Einfluss, den Werbung auf die Menschen hat, wird von den ethischen Designern auf groteske Weise überschätzt. Für sie besteht der Großteil der Menschheit aus hundertprozentig manipulierbaren Konsumenten, aus Menschen, die keinem Werbespot widerstehen können, sich jeden Bauchmuskeltrainer und jedes Putzmittel kaufen und die, sehen sie ein Zigarettenplakat, sofort mit dem Rauchen beginnen. Dabei ist es in der Tat recht zweifelhaft, ob Werbung überhaupt einen wesentlichen Einfluss darauf hat, welche Zigarettenmarken geraucht werden. Designer oder Werbegrafiker können Menschen nicht dazu bringen, irgendetwas zu kaufen. Sie haben dazu ganz einfach nicht die Macht.
Menschen sind keine programmierbaren Maschinen. Menschen können Entscheidungen treffen – unabhängig davon, ob die Umstände, in denen sie Entscheidungen treffen, sich ihrer Kontrolle entziehen oder nicht. Eben diese Sicht des Menschen als zur Wahrnehmung fähiges, aktives, handelndes Individuum wird von den ethischen Designern über Bord geworfen. Dadurch unterscheiden sie sich von all ihren Vorgängern.

In der Einleitung zu seinem Buch Graphic Design: A Concise History formuliert Richard Hollis die Rolle des Grafikers so: “Die Bedeutung von Bildern und sprachlichen Zeichen hat wenig damit zu tun, wer sie produziert oder gewählt hat; sie drücken nicht die Vorstellungen der Grafiker aus. Die Botschaften des Grafikers stehen im Dienste des Auftraggebers, der dafür bezahlt. Zwar können die Formen durch die ästhetischen Vorlieben oder Abneigungen des Grafikers bestimmt oder beeinflusst werden, die Botschaft jedoch muss so ausgedrückt werden, dass das Zielpublikum sie erkennt und versteht.”
Wirklich problematisch am “ethischen Design” ist die Art und Weise, wie hier für uns eine Vorauswahl getroffen werden soll. Es geht dabei nicht einfach darum, wie und wofür Designer und Grafiker gerne arbeiten möchten. Wenn der Designer als Vermittler durch den Designer als Priester des Guten abgelöst wird, bedeutet das, das Publikum für dumm zu erklären und zu entmündigen. Angesichts dieser Gefahr ist es alle Mal vorzuziehen, wenn die Menschen ihre Entscheidungen selbst treffen – ungeachtet der Tatsache, dass der Designer diese Entscheidungen möglicherweise falsch findet.

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