01.11.1999
Grüne Rhetorik macht Ackerland platt
Analyse von James Heartfield
Der Vorschlag von Umweltschützern, die Produktion von Nahrungsmitteln zu drosseln, hat katastrophale Folgen für alle außer den großen Landwirtschaftskonzernen, meint James Heartfield.
Englische Bauern stehen vor dem Bankrott, weil sie ihre Schafe nicht verkaufen können. Indische Bauern begehen wegen sinkender Kornpreise Selbstmord. Vertreter nationaler Landwirtschaftsverbände meinen, dass die ländlichen Gebiete im Zuge der Landflucht zu Wüsten verkommen werden. Umweltschützer sagen, dass die industrielle Landwirtschaft die Nahrungskette verseucht, das Land zerstört und damit vielen Menschen den Lebensunterhalt nimmt.
Es lohnt sich, daran zu erinnern, welche Erfolgsstory die “grüne Revolution” in der Landwirtschaft war. In den 70er-Jahren holten die Umweltschützer die alten Theorien von Thomas Malthus aus der Mottenkiste und behaupteten, die Nahrung würde uns ausgehen und die wachsende Weltbevölkerung sei vom Hungertod bedroht. Doch neue Techniken in der Landwirtschaft, die Mechanisierung, neue Hochleistungssorten, synthetische Düngemittel und künstliche Bewässerung haben dafür gesorgt, dass die Lebensmittelproduktion dem Bevölkerungswachstum nicht nur standhielt, sondern die Produktion pro Kopf sogar wuchs. Im Jahr 1900 wurden 400 Millionen Tonnen Getreide erzeugt, heute sind es 1,9 Milliarden.
Darüber hinaus hat die grüne Revolution zu einem relativ verminderten Landbedarf geführt. Die bebaute Fläche ist seit 1981 von 732 Millionen Hektar auf heute 690 Millionen gesunken. Verbesserungen in der Nutztiererzeugung haben dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen Fleisch leisten können. In einem der grünen Standardwerke, dem “Report zur Lage der Welt” des Worldwatch Institutes, schätzt man, dass ein Bauer im Jahr 1900 sieben Personen ernähren konnte, heute produziert sein Enkel genug Nahrungsmittel für 96 Menschen.
Doch diese Erfolgsgeschichte ist gleichzeitig auch ein Problem für Landwirte und für in der Landwirtschaft Beschäftigte. Erhöhte Produktivität heißt, dass weniger Menschen mehr erzeugen. Daraus resultieren fallende Preise. Während einige Landwirte durch die grüne Revolution gut verdienten, gingen andere bankrott.
Jahrzehntelang subventionierten die Regierungen in Amerika und Europa die Landwirte, die sie als Quelle für Stabilität und treue Wähler der Christdemokraten bzw. Tories und Republikaner betrachteten. Doch während kleine Landwirte künstlich unterstützt wurden, setzten große Konzerne wie Cargill und Philip Morris die Maßstäbe für den Markt. In den USA stammen heute 50% der landwirtschaftlichen Erzeugnisse von nur zwei Prozent der Betriebe. Vice versa produzieren die kleinen Familienbetriebe, die 73% der Unternehmen ausmachen, nur 9 Prozent der Erzeugnisse.
In Asien sind die Ernten gestiegen und die Preise gefallen, was zu wachsender Armut in der ländlichen Bevölkerung führt. In Indien erzeugt die Landwirtschaft nur 27% des gesellschaftlichen Reichtums, beschäftigt aber 70% der Bevölkerung. In Thailand arbeiten 60% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, diese macht aber nur 11% des Bruttoinlandprodukts aus. In den 50er-Jahren entsprach das Einkommen auf dem Land 70% dessen, was in der Stadt verdient wurde, heute sind es nur noch 16%. Obwohl die Wirtschaft beträchtlich gewachsen ist, gelang es ihr nicht, die Armen vom Land an diesem Prozess teilhaben zu lassen.
“Auch auf Länder der Dritten Welt wird Druck ausgeübt, damit sie Naturschutzgebiete ausweisen, womit tatsächlich nur der Weg für Agrarexporte für die großen Konzerne der Industriestaaten frei gemacht wird”
Angesichts dieser sozialen Probleme, die mit der grünen Revolution einhergehen, scheint die Kritik von Umweltschützern Sinn zu machen. Früher sagten sie, es gebe nicht genug Nahrung. Heute kritisieren sie, dass es zu viel gibt. In den 80er-Jahren formierte sich der Umweltschutz neu als Protestbewegung gegen die industrielle Landwirtschaft.
Nach Ansicht dieser Umweltschützer muss die grüne Revolution rückgängig gemacht werden, und wir sollten zu “angemesseneren” landwirtschaftlichen Methoden zurückkehren. An die Stelle der großen, kapitalintensiven und industrialisierten Landwirtschaft soll wieder der kleinteilige, arbeitsintensive Landbau treten. Dies sei besser für die Ernährung, die Umwelt und die Bauern.
Eine solche Empfehlung umzusetzen hätte indes desaströse Konsequenzen. Der Ökolandbau macht heute in den entwickelten Ländern nur etwa 1 Prozent der landwirtschaftlichen Erzeugung aus, da nur wenige Menschen leicht verderbliche Ware zu hohen Preisen bevorzugen. Die Erträge liegen im Ökoanbau bei optimalen Konditionen noch immer um 20% unter den durchschnittlichen Erträgen bei konventionellem Anbau, die Kosten liegen weit darüber. Mit den Worten eines Bauern ausgedrückt: “Bei den Ökoflächen kann ich froh sein, wenn ich die Hälfte vom Normalen raus bekomme.”[1]
Um die Probleme der Landwirtschaft zu lösen, ist das Ökorezept unbrauchbar. Trotzdem werden die grünen Argumente gerne genutzt. Sie erweisen sich für die großindustrielle Landwirtschaft als sehr nützlich. Das Überangebot in der Nahrungsmittelerzeugung stellt für die Konzerne ein Problem dar. Die Großen müssen die Produktion verringern, indem sie ihre weniger produktiven Konkurrenten aus dem Markt drängen. Die Ironie ist, dass die grüne Rhetorik von einer kleinteiligen Landwirtschaft von den Regierungen genutzt wird, um die Produktion der kleinen Anbieter zugunsten der Konzerne zu reduzieren.
In zwei Jahren wurden über das “Organic Aid Progamme” in Großbritannien 169.213 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche mit einem Aufwand von rund 8 Millionen Mark auf den Ökoanbau umgestellt. Das ist keine Alternative, aber eine Methode, die betroffenen Bauern und ihre Produkte aus dem überfüllten Markt heraus zu bekommen. Noch deutlicher sind andere Direktiven: EU-Programme beispielsweise, bei denen dafür bezahlt wird, dass nicht produziert wird, oder das “Wilderness Program”, das Geld dafür gibt, dass überhaupt nie wieder produziert wird, und die Rentenangebote, mit denen in Schottland und Wales die Bauern in den Vorruhestand geschickt werden, um ganz draußen aus dem Markt zu sein.
Die BSE-Krise zeigt, was aus Sicht der Grünen mit der Landwirtschaft nicht in Ordnung war. Die Landwirte wurden beschuldigt, zuerst an den Profit und dann an Gesundheit und Sicherheit gedacht und die Nahrungskette vergiftet zu haben, indem sie Tierleichen zu Futter verarbeiteten. Aber die strikten Vorschriften, die als Reaktion auf BSE eingeführt wurden, trafen nicht die Großen, sondern die Kleinen. Sie drängten kleine Viehzüchter und Schlachtbetriebe in Familienbesitz aus dem Geschäft und machten den Weg für Big Business frei. Die Kritik der Umweltschützer wurde dazu genutzt, die Industrie zu rationalisieren und Überkapazitäten abzubauen, indem 890.000 Rinder vernichtet wurden. Die Kosten hierfür betrugen zwischen 1996 und 1999 drei Milliarden Pfund.
Ebenfalls mit Hilfe der Rhetorik der Umweltschützer wurden große Flächen Ackerland stillgelegt. Bei höheren Erträgen kann auf weniger Fläche mehr Getreide erzeugt werden, deshalb muss die Agrarindustrie Flächen reduzieren, um Überproduktion zu vermeiden. Aus Sicht der Regierungen ist das ideale Mittel hierfür die Einrichtung von Naturschutzgebieten, die für die Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. Die US-Regierung hat kürzlich 50.000 Morgen Zuckerrohrplantagen in den Everglades als Naturschutzgebiet erworben. Auch auf Länder der Dritten Welt wird Druck ausgeübt, damit sie Naturschutzgebiete ausweisen, womit tatsächlich nur der Weg für Agrarexporte für die großen Konzerne der Industriestaaten frei gemacht wird. Als Gabun 1,4 Millionen Morgen Tropischen Regenwald in Minkene zum Naturschutzgebiet erklärte, weitete es damit die gesamte geschützte Fläche in Zentralafrika auf 10.000 Quadratmeilen aus. Die Menschen, die dort bisher auf die Jagd gingen und Ackerbau betrieben, sind nun neue Kunden für Nahrungsmittelimporte aus den westlichen Überschüssen.
“Die UN blockiert konsequent alle Entwicklungsprogramme für Afrika, die den Einsatz von Düngemittel vorsehen, und lehnt moderne Landwirtschaftstechnik für den dortigen Einsatz generell ab”
Besonders verheerend ist das grüne Argument, man müsse so genannte angepasste Technologien verwenden. Es impliziert, moderne Agrartechnologie sei für Asien und Afrika nicht angemessen. Damit wird das Monopol des Westens auf diese hochproduktiven Technologien, deren Nutzung natürlich durch Weiße viel angemessener erscheint, unterstützt. Die UN blockiert konsequent alle Entwicklungsprogramme für Afrika, die den Einsatz von Düngemittel vorsehen, und lehnt moderne Landwirtschaftstechnik für den dortigen Einsatz generell ab. Folglich ist afrikanische Landwirtschaft gegenüber der westlichen nachhaltig benachteiligt. Die Umweltschützer behaupten, moderne Technologien würden dort zu weiterer Arbeitslosigkeit führen. Doch es ist absurd, so zu tun, als funktioniere afrikanische Landwirtschaft wie ein großes Zeltlager. In Wirklichkeit wird Afrika von den Nahrungsmittelüberschüssen der Industriestaaten überflutet, und dadurch werden die Arbeitsplätze der dortigen Bevölkerung vernichtet.
Subsistenzwirtschaft in der Dritten Welt ist keine Alternative zu industrieller Landwirtschaft. Der bengalische Wirtschaftswissenschaftler Rehman Sobhan erklärte, dass ” die kapitalistische Revolution die minifundistische Landwirtschaft nicht zu ersetzen scheint. Vielmehr stehen beide in einem funktionellen Dualismus zueinander”.[2]Subsistenzwirtschaft wird als Ergänzung zur modernen Landwirtschaft beibehalten. Sie als traditionell und besonders wertvoll darzustellen, ist nichts anderes als die Umdefinition von Arbeitslosigkeit zu einem kulturellen Wert.
Die aktuelle Krise der globalen Landwirtschaft zeigt, dass die Errungenschaften der Grünen Revolution für alle nutzbar gemacht werden müssen und nicht nur den Partikularinteressen des großen Agrobusiness dienen dürfen. Würde man sie in die Praxis umsetzen, wären die wahrscheinlichsten Folgen der grünen Alternativen zur industriellen Landwirtschaft Hunger und Hungertod für viele Millionen von Menschen. Als Argumentationshilfe für ein Herunterfahren der Produktion sind die Reden vom Ökolandbau lediglich dem Erhalt und der Festigung der Monopole der großen Agrarkonzerne nützlich.