24.09.2010

Grüne Gene machen blind

Analyse von Peter Heller

Stell Dir vor, es entsteht ein neuer, weltumspannender Markt für Spitzentechnologien – und Deutschland ist nicht dabei.

Gene sind scheinbar irgendwie riskant. Das schöne Wort „genfrei“ hat jedenfalls Hochkonjunktur. Ganze Regionen Deutschlands werden zu „genfreien“ Zonen deklariert und die „genfreie“ Nahrung wird durch die Kampagnen diverser Ökogruppen lautstark beworben (ist Mineralwasser gemeint?). „Genfrei“ haben auch Bücher zu sein, vor allem, wenn sie sich mit Integrationsthemen befassen und von Thilo Sarrazin stammen. Genetische Unterschiede zwischen räumlich getrennten Populationen der Art Homo Sapiens werden zum Tabuthema deklariert. Ganz unabhängig von der Frage, ob diese denn faktisch existieren oder, falls ja, auch nur für irgendetwas relevant sind.

Da freut man sich als liberaler Staatsbürger dann doch über gezielte Tabubrüche aufrechter Zeitgenossen, die sich der Diktatur des zeitgeistkonformen Gutmenschentums nicht unterwerfen wollen. Die sich zu ihren genetischen Wurzeln offen bekennen und klar die Unterschiede zu anderen Genotypen herausarbeiten. So sagte Cem Özdemir in einem Interview im Hamburger Abendblatt vor einigen Monaten:
„Der Atomausstieg ist für uns unverhandelbar. Das ist quasi genetisch bedingt, so wie die SPD niemals auf ihre Bergarbeiter-Lieder verzichten könnte. Die Grünen sind an den AKW-Bauzäunen dieser Republik gezeugt worden, manche von uns sogar sprichwörtlich. Wir können und wollen unsere Herkunft nicht verleugnen. Bei diesem Punkt sagen wir: bis hierher und nicht weiter.“ Und Renate Künast legte im aktuellen Spiegel in einem Interview noch einmal nach: „Der Kampf gegen die Atomkraft steht in der Geburtsurkunde der Grünen, die wird nicht geändert.“

Was in der Geburtsurkunde steht, muss wohl genetisch bedingt sein. Denn zu keinem Zeitpunkt seines Lebens ist das menschliche Individuum stärker von seinen Genen und weniger von Erfahrungen und Umwelteinflüssen geprägt als bei seiner Geburt. Und an den AKW-Bauzäunen dieser Republik haben offenbar spezielle Umweltbedingungen die Rekombination mütterlichen und väterlichen Erbgutes in eine bestimmte Richtung gelenkt (Strahlenschäden?).

Anmerkungen zur Kernenergie

Kernenergie (oder auch „starke Kernkraft“) ist die Bindungsenergie zwischen den Nukleonen im Atomkern. Diese kann durch den Prozess der Kernspaltung freigesetzt und in Wärme umgewandelt werden. Mit dieser Wärme ist es möglich, über ein Trägermedium (Dampferzeugung, Erhitzung von Gasen oder Flüssigkeiten) eine Turbine zur Stromerzeugung anzutreiben. Die Ausgangsmaterialien, die als Brennstoffe für die technische Realisierung eines geregelten Kernspaltungsprozesses infrage kommen, sind aufgrund physikalischer Grenzen die Schwermetalle der Gruppe der Actiniden (im Periodensystem die Ordnungszahlen 90-103). Es handelt sich dabei um so bekannte Stoffe wie Thorium, Uran und Plutonium (bzw. bestimmte Isotope derselben).

Die Nutzung der Kernenergie in Anlagen, die die Steuerung einer Kettenreaktion der Kernspaltung ermöglichen, hat die folgenden beiden entscheidenden Vorteile:
Zum einen die sehr hohe Energiedichte des Brennstoffes U-235 (und anderer denkbarer Kernbrennstoffe): Pro Kilogramm dieses Materials können etwa 8,2x1013 Joule gewonnen werden. Zum Vergleich: Bei Kohle sind es etwa 2,9x107 J/kg. Dementsprechend benötigt ein typisches Kernkraftwerk von 1000 MW Leistung etwa 3 kg Brennstoff am Tag, ein vergleichbares Kohlekraftwerk etwa 7 Millionen kg. Insgesamt ist Kernenergie die mit weitem Abstand effizienteste Methode, Wärme und Strom zu erzeugen. Von allen denkbaren Alternativen verspricht allein die noch nicht verfügbare Fusionstechnologie eine noch höhere Energieausbeute.
Zum anderen die Möglichkeit der Gestaltung des Prozesses der Kernspaltung: In den klassischen Leichtwasserreaktoren (LWR) der sogenannten „2. Generation“, die in Deutschland installiert sind, spaltet man U-235 Kerne mit sogenannten thermischen, sich langsam bewegenden Neutronen (was immerhin 7.200 km/h bedeutet). Pro Spaltung wird dabei mindestens ein weiteres Neutron frei. Und dieses ist zur Aufrechterhaltung der Kettenreaktion erforderlich, aber leider viel zu schnell. Es ist also mittels eines Moderators abzubremsen (in Leichtwasserreaktoren eben Wasser, daher der Name), um weitere U-235 Kerne spalten zu können. Dieser Prozess ist in einem hohen Maße variabel. Man kann mit geeigneten Moderatoren die Geschwindigkeit und Menge der Neutronen fast nach Belieben einstellen. Daher sind auch die zur Spaltung denkbaren Materialien vielfältig kombinierbar.

Es ist gerade dieser zweite Punkt, der in der Debatte über Kernenergie in Deutschland keine Rolle zu spielen scheint. Dabei sind die Nachteile unserer Reaktoren fast ausschließlich nicht prinzip-, sondern bauartbedingt. Und lassen sich dementsprechend durch technische Innovationen beheben.
So sind Reaktoren möglich, die (fast) keine Abfälle mehr produzieren und vor allem (fast) keine langlebigen Isotope. Weil solche, wenn sie in den Brennelementen entstehen, in die Kettenreaktion einbezogen werden können. Reaktoren dieser Typen, die statt thermischen eher schnelle Neutronen einsetzen, erbrüten quasi ihren eigenen Brennstoff während des Betriebes neu. Zum anderen sind Reaktoren möglich, bei denen es keinerlei Risiko einer Freisetzung radioaktiven Materials im Fall einer unkontrollierten Kernschmelze mehr gibt. Weil man durch eine entsprechende Gestaltung der Reaktionsprozesse sicherstellen kann, dass die Temperatur im Reaktorkern zu keinem Zeitpunkt den durch die Bauart vorgegebenen kritischen Punkt überschreitet.

Es gibt bei solchen Reaktortypen also keinen Bedarf mehr für größere Endlagerkapazitäten und keinen Bedarf mehr für umfangreiche Transporte abgebrannter Brennelemente zu Zwischenlagern, Endlagern oder Wiederaufbereitungsanlagen. Der geringe Restmüll, den solche Anlagen erzeugen, ist außerdem für Kernwaffen oder auch „schmutzige Bomben“ ungeeignet. Die Gefahr der Proliferation kann somit gebannt werden. Es gibt Reaktorkonzepte, die bis zu 30 Jahre laufen können, ohne Brennstoff nachfüllen zu müssen. Durch die Erbrütung neuen Brennstoffes im Regelbetrieb und die Möglichkeit der Verwendung von Alternativen zum Uran (etwa Thorium) ist gleichzeitig die Frage einer Verknappung natürlicher Ressourcen an Actiniden nicht mehr relevant.

Und damit nicht genug: Reaktoren neuartiger Bauweisen sind in großem Umfang skalierbar und einer modularen Bauweise zugänglich. Sie können daher mit erheblich geringeren Investitionskosten und angepasst an individuelle Bedarfe quasi in einer Art Massenproduktion hergestellt und installiert werden. Und neben der Stromerzeugung ist eine Vielzahl anderer Anwendungen möglich, die nicht zuletzt Umweltschützern gefallen sollten.

Die Gestaltung des Spaltungsprozesses durch Neutronen anderer Geschwindigkeiten und Einsatz anderer Brennstoffe ermöglicht deutlich höhere Prozesstemperaturen (850 bis über 1.000°) gegenüber herkömmlichen LWR (ca. 300°). Bei diesem Wärmeausstoß ist der Einsatz als Prozesswärme für die chemische Industrie möglich. Meerwasserentsalzung und die effiziente Herstellung von Wasserstoff in großem Maßstab sind dabei nur zwei denkbare Nutzungsarten.
Reaktoren, die diese Eigenschaften in sich vereinen, sind solche der „4. Generation“. Sie werden zurzeit von einem Netzwerk aller großen Industrienationen entwickelt. Es handelt sich dabei nicht um Phantasien, denn viele der ausgewählten 6 Konzepte, vom „bleigekühlten schnellen Reaktor LFR“ bis zum „Höchsttemperaturreaktor VHTR“ basieren auf Erfahrungen mit Prototypen und Demonstratoren, die in den vergangenen Jahrzehnten bereits eingesetzt wurden. Beispielsweise in russischen Atom-U-Booten und in (!) amerikanischen Flugzeugen. Auch Deutschland hatte mit dem „Hochtemperaturreaktor“ und dem „Schnellen Brüter“ einiges an Kompetenz aufgebaut. Hatte, denn das „Generation IV International Forum“  wurde nun leider im Jahr 2001 gegründet, als Deutschland eine rot-grüne Regierung zu erdulden hatte. Demzufolge ziehen alle Industrienationen – und auch einige große Schwellenländer – hier an einem Strang; alle, außer Deutschland. Wir sind noch nicht einmal indirekt beteiligt, die entsprechenden Euratom-Aktivitäten finden auch ohne uns statt.

Man hat große Fortschritte gemacht, mit dem Markteintritt der ersten beiden Typen dieser neuen Reaktoren wird bis 2020 gerechnet. Bis 2030 soll die Entwicklung auch bei den anderen vier abgeschlossen sein. Das ist deutlich innerhalb der Reichweite des Energiekonzeptes unserer Bundesregierung. Trotzdem werden diese absehbaren Innovationen nicht berücksichtigt. Mit Ausnahme eines versteckten Absatzes, in dem man die Planung bekanntgibt, nun doch irgendwie am internationalen Forum mitwirken zu wollen. Aber nur im Bereich der Sicherheitsforschung, nicht bei der eigentlichen Entwicklung.Da entsteht ein neuer, weltumspannender Markt für Spitzentechnologien – und Deutschland ist nicht dabei. Weil grüne Gene offenbar blind machen.

Mit Blindheit geschlagen

Man kann den Kernkraftgegnern also Reaktoren präsentieren, die alle bekannten und diskutierten Nachteile nicht mehr oder nur noch in geringem Umfang aufweisen. Endlagerproblematik, Transporte und Proliferation, Super-GAU und Rohstoffverfügbarkeit werden schon in wenigen Jahren technisch gelöst sein. Und trotzdem: Die Grünen wird das nicht interessieren. Sie werden weiterhin gegen Kernkraftwerke zu Felde ziehen, einfach aus Prinzip. Man kann alle ihre Bedenken aufgreifen und Lösungen entwickeln, es wird nichts nutzen. Weil es eben gemäß ihrer Selbstbeschreibung “in den Genen liegt”, weil also der Blick auf Innovationen bei der Kerntechnik grundsätzlich und unabänderlich gestört ist.

Die Grünen diskutiere in diesem Land Kernenergie anhand des technischen Standes der 1970er Jahre. Man ist nicht bereit zu akzeptieren, wie sich die Welt fortentwickelt hat. Man ist nicht bereit, Kernenergie auf dem technischen Stand zu betrachten, den wir heute und in Zukunft haben könnten, wenn wir denn wollten.
Nach Özdemir und Künast definiert sich „grün sein“ über eine bestimmte unabänderliche Grundhaltung, in der die reflexhafte, faktenunabhängige Ablehnung der Kernenergie eine tragende Säule darstellt. Durch die Kernkraftwerke der 4. Generation, wenn also die gefühlten Gefahren der Kernenergie auch bei besten Willen rational nicht mehr belegbar sind, könnte diese Säule bei vielen Menschen zum Einsturz gebracht werden. Und damit das Ende der grünen Bewegung einläuten, wie wir sie heute kennen.
Erfolgreiche Gene, so lehrt uns die Evolutionstheorie, sind solche, die Anpassung ermöglichen. „Grüne Gene“ aber bedeuten ein grundlegendes Wahrnehmungsdefizit. Das der Anpassung eher hinderlich ist. Also werden sie irgendwann zwangsläufig aussterben.

Bauzäune verstellen eben allzu oft die Sicht auf das Dahinterliegende. Und sich dort aufzuhalten, scheint den Blickwinkel gefährlich einzuschränken.

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