01.05.2005

Gibt es ein Recht auf irrelevante Informationen?

Analyse von Thomas DeGregori

Über den Sinn und Unsinn von Produktinformationen.

Das „Recht, zu wissen“, das in letzter Zeit häufig von Gegnern der Gentechnik gefordert wird, kann man nicht richtig bewerten, wenn man es nicht in Zusammenhang mit der Frage nach dem Nutzen der betreffenden Informationen betrachtet.
Das Recht zu wissen basiert in der Wissenschaft eindeutig auf der Notwendigkeit, etwas zu wissen. Ohne die vollständige Offenlegung können Forschungsergebnisse weder beurteilt noch reproduziert werden und haben somit keine Chance, Eingang in die gemeinsame Wissensbasis der Menschheit zu finden. Obwohl Wissenschaft für Laien unverständlich und mysteriös erscheinen kann, ist sie in Wirklichkeit die transparenteste Unternehmung der modernen Welt. Wissenschaftler akzeptieren nicht nur diese Offenheit, sondern unterstützen sie begeistert.
Die Forderung nach Transparenz durchdringt die moderne Gesellschaft. Auch die privatfinanzierte Industrieforschung wird zum großen Teil offengelegt. Dafür sorgt das Patentrecht, das im Gegenzug zur Freigabe der Informationen ein exklusives Nutzungsrecht für eine begrenzte Zeit gewährt. So wird dafür gesorgt, dass relevantes Wissen, das für andere von Nutzen sein kann, schnell geteilt wird.
Viele der führenden Fachzeitschriften verlangen noch eine Reihe anderer persönlicher Informationen, die man für notwendig erachtet, damit der Leser mögliche Beeinflussungen beurteilen kann. Leider scheinen dabei einige Redaktionen zu glauben, dass finanzielle Verbindungen der einzige Grund für Voreingenommenheit seien, während ideologisch motivierte Nichtregierungsorganisationen als rein und unbefleckt betrachtet werden.
 

„Möchten Sie auf der Brotpackung den Aufdruck lesen: ‚Kann Insekten, Rattenhaare und Exkremente enthalten‘? Oder interessiert Sie die Religionszugehörigkeit des Bäckers?“



Biotechnologie: Werden uns wichtige Informationen vorenthalten?
Manchmal aber wird auch dort das Recht auf Wissen eingefordert, wo kein Nutzen ersichtlich ist. So wurden in den letzten Jahren die „Wahlfreiheit“ und das Recht der Verbraucher auf Informationen als Begründung für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel angeführt. Auf den ersten Blick erscheint es vernünftig, dass Konsumenten in einer freien Gesellschaft das Recht haben zu wissen, was sie essen. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieses Argument jedoch als haltlos. Seit den Anfängen der Landwirtschaft war Getreide immer mit Insekten, Haaren von Nagetieren und Exkrementen verunreinigt. Moderne Vorratshaltung hat diese Kontaminationen zwar stark verringert, jedoch nicht völlig eliminiert. Doch wollen Verbraucher wirklich einen Aufdruck: „Kann Insekten, Rattenhaare und Exkremente enthalten“?


Pflanzen sind kleine Chemiefabriken und können über tausend verschiedene Substanzen enthalten, von denen viele giftig und einige als krebserregend eingestuft sind. Unsere Nahrungspflanzen sind das Ergebnis unterschiedlichster Züchtungsmethoden, einschließlich der Mutationszüchtung durch radioaktive Strahlung und erbgutverändernde Chemikalien. Wahrscheinlich mehr als 70 Prozent unserer Nahrungsmittel sind das Resultat moderner Züchtungsmethoden aus den letzten hundert Jahren. Bei den Pflanzen im ökologischen Landbau dürfte der Anteil sogar noch sein, da hier noch widerstandsfähigere Sorten gebraucht werden, um mit wenigen Pestiziden auszukommen.
Jedes Mal, wenn eine neue Methode in die Pflanzenzüchtung eingeführt wurde, hätte man Kennzeichnungen fordern und mit einer organisierten Kampagne die Verbraucher verunsichern können. Zum Glück aber werden die meisten der Methoden seit Jahrzehnten genutzt und haben sich als sicher erwiesen, so dass es nun zu spät ist, um uns noch Angst einzujagen.
Da es unendlich viele Informationen gibt, von denen Verbraucher in Kenntnis gesetzt werden könnten, ließe sich zu jedem Produkt eine CD-ROM einfordern, in der die Entstehungsgeschichte möglichst weitgehend dokumentiert wird. Das allerdings ist auch nicht absurder als die Forderung, dass auf Produkten vermerkt sein muss, dass sie mit Hilfe gentechnischer Methoden hergestellt wurden, während alle anderen Merkmale ihrer Züchtung, Erzeugung und Beschaffenheit ignoriert werden.
 

„Es gibt nicht nur das Recht auf Information, sondern auch unberechtigten Wissensdurst und daher die Notwendigkeit der Informationszurückhaltung. Wir nennen dies ‚Datenschutz‘.“



Was ist an der Gentechnik so besonders?
Warum ausgerechnet gentechnische Methoden kennzeichnen? Hier würde das Recht zu wissen dann Sinn machen, wenn es um gesundheitsrelevante Informationen ginge. Es gibt mit Nahrungsmitteln verbundene Risiken, da manche Menschen unter Allergien oder Unverträglichkeiten leiden. Hier ist eine Kennzeichnung sinnvoll und nützlich, beispielsweise, wenn ein Produkt bekannte Allergene enthält. Viele Risikofaktoren, wie z.B. Giftstoffe und Karzinogene, sind oft in so kleinen Spuren enthalten, dass eine Gesundheitsgefährdung ausgeschlossen werden kann. Dennoch ist es bei konventionellen Züchtungen auch schon vorgekommen, dass gesundheitsbedenkliche Giftkonzentrationen aufgetreten sind.
Der einzige Grund, weshalb die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln gefordert und eingeführt wurde, ist eine systematische Desinformationskampagne, mit der Ängste geschürt werden, während alle anderen Methoden der Pflanzenzüchtung außer Acht gelassen wurden.
Solange keine Gesundheitsbeeinträchtigung – also ein konkreter Grund für das Recht auf Information – indiziert werden kann, dürfte es auch keine Kennzeichnungspflicht geben. Wenn wir der Forderung nach dem Recht zu wissen dort nachgeben, wo es keinen Beleg für ein Risiko gibt, würden andere Gruppen ebenfalls ein Recht zu wissen für anderes einfordern können, so beispielsweise Hinweise auf andere Züchtungsmethoden, enthaltene Giftstoffe und deren Konzentrationen, oder sogar auf die Religion, ethnische Herkunft oder Rasse des Herstellers. Wenn in einer freien Gesellschaft ein Teil der Verbraucher spezielle Erzeugungsmethoden und/oder Reinheitsgrade nachfragt und bereit ist, dafür zu bezahlen, werden die entsprechenden Produkte angeboten, ohne dass Zwang ausgeübt werden muss. Die einzige Aufgabe der Behörden im Hinblick auf die Kennzeichnung als halal oder koscher sind Kontrollen zum Schutz gegen Betrug.


Feldzerstörungen
Der Wissensdurst der Gentechnikgegner geht über das Bedürfnis nach Produktkennzeichnungen hinaus. Sie verlangen nicht nur, darüber informiert zu werden, welche gentechnisch verbesserten Sorten angebaut werden, sondern auch, wo dies geschieht. Das erste Anliegen ist legitim, obwohl man im Hinblick auf die Beweggründe skeptisch sein darf. Doch selbstverständlich müssen Bürger das Recht haben, über Entscheidungen der Behörden informiert zu werden, um dann eine öffentliche Debatte über auf Angemessenheit dieser Entscheidungen oder Sicherheitsfragen initiieren zu können – auch wenn andere diese Sorgen für unbegründet erachten.


Zumindest einen eingängigen Slogan haben die Aktivisten geprägt: „Das Fehlen des Beweises eines Schadens ist nicht der Beweis des Fehlens eines Schadens.“ Doch eine obligatorische Kennzeichnung oder andere Maßnahmen, die auf dem Fehlen eines Beweises basieren, bedürfen einer allmächtigen Persönlichkeit oder Organisation, die bestimmt, was nicht bewiesenermaßen vielleicht gefährlich sein möge. Dies würde unsere Demokratie in eine säkulare Theokratie verwandeln (wenn man mir dieses Oxymoron gestattet).
Bei fehlendem Nachweis einer möglichen Gefährdung gibt es keinen sinnvollen Grund, erfahren zu wollen und zu dürfen, wo gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Ganz im Gegenteil: dass, wie die Vergangenheit gezeigt hat, einige Gentechnikgegner dazu neigen, Labore und Felder zu zerstören, ist ein realer und bedeutender Nachweis, dass aus der Bekanntgabe der Anbauorte eine Gefahr erwächst. Wir haben es daher nicht mit einem Recht auf Information, sondern mit der Notwendigkeit der Informationszurückhaltung zu tun.
Nach dem am 3. Februar 2005 in Kraft getretenen Gentechnikgesetz werden in Deutschland die genauen Anbauorte von gentechnisch veränderten Pflanzen bekannt gegeben. Ein im Internet frei zugängliches Register des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) führt Ort (mit PLZ), Flurstück und Flächengröße des GVO-Feldes sowie die jeweilige gentechnisch veränderte Pflanze auf.
Dies nun aber kann nicht damit begründet werden, dass durch den Anbau ein Risiko bestünde. Denn gäbe es einen Grund zur Annahme, dass eine Gefährdung vorliegen könnte, würde der Anbau durch die Behörden gar nicht genehmigt. Behaupteten nun Gentechnikgegner allerdings, die Behörden würden Gefahren ignorieren, dann wäre das angemessene Vorgehen, den Anbau per Einstweiliger Verfügung zu stoppen.


Einem Bericht des Bundeskriminalamts kann man entnehmen, dass die Informationen über Anbauorte für andere Aktivitäten benötigt werden. Die Bilanz ist eindeutig: „Im Jahr 2004 wurden Freisetzungsversuche an 16 Standorten durch- bzw. weitergeführt. Dabei kam es zu – sechs – Zerstörungen von Versuchsfeldern, bei denen den Betreibern nach eigenen Angaben insgesamt Schäden von mehr als 1 Mio. Euro entstanden sind.“
Am 29. März 2004 wurden zwei für die Aussaat von gentechnisch verändertem Weizen vorgesehene Versuchsfelder in der Nähe von Bernburg durch Mitglieder von Greenpeace mittels Ausbringens eines anderen Saatgutes unbrauchbar gemacht. Am 4. Mai 2004 wurde der bundesweit erste Freilandversuch mit gentechnisch verändertem Weizen auf einem Versuchsfeld bei Bernburg durch unbekannte Täter zerstört, indem die Weizenpflanzen zertreten und herausgerissen wurden. Am 23. desselben Monats zerstörten unbekannte Täter eine gentechnisch veränderte Mais-Freisetzung auf dem Gelände der Fachhochschule Nürtingen. Am 22. Juni wurde ein Freisetzungsversuch mit gentechnisch veränderten Kartoffelpflanzen des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm von Unbekannten zerstört. (Weitere Versuchsfelder in Deutschland wurden zerstört, die Liste ließe sich fortsetzen.)
Der Bericht kommt zu der Einschätzung: „Durch die Veröffentlichung des neuen Standortregisters wird es den Kritikern der Gentechnik erleichtert, gentechnische Felder zu finden und Aktionen durchzuführen. Gentechnikgegner werden keine Unterschiede zwischen Freisetzungs- und Inverkehrbringungs(Anbau-)flächen machen.“
Entsprechend positiv wurde das Register von den einschlägigen Organisationen aufgenommen. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) ruft auf seiner Website „alle Naturschützer auf, sich das Standortregister anzusehen und den kommerziellen Anbau kritisch zu begleiten“.
Dank einer Entscheidung des zuständigen Ausschusses des Bundestags vom März soll nun wenigstens dies ein bisschen erschwert werden. Hiernach wird künftig doch nicht jedermann die genaue Lage eines Feldes mit Gen-Pflanzen erfahren dürfen. Nur Ort und Gemarkung werden bekannt gemacht, die Angabe über das exakte Flurstück erfährt nur, wer „ein berechtigtes Interesse“ nachweisen kann.


Eine Regierung in einem demokratischen Land muss seine Politik an korrekter Wissenschaft orientieren. Dazu gehört auch Transparenz und das Recht auf Wissen. Doch wo die Forderung nach Freigabe von Informationen nicht begründet werden kann, darf ihr nicht nachgegeben werden. Auch Informationsverweigerung, die wir im Allgemeinen als Datenschutz bezeichnen, ist ein wichtiger Wert.

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