24.08.2011

Gaddafis Sturz: Revitalisierungskur für den humanitären Interventionismus

Von Karl Sharro

Libysche Rebellen haben Tripolis erobert. Gaddafis Regime ist gestürzt. Im Westen wird das als Bestätigung der Nato-Intervention gewertet. Karl Sharro kritisiert diese Interpretation und spricht sich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker aus – ohne westliche Einmischung

Bereits kurz nach den ersten Nachrichten über die Einnahme Tripolis durch libysche Rebellen wird deutlich, dass die Ereignisse im Westen vor allem als Rechtfertigung für die Militärintervention instrumentalisiert werden sollen. Zwar wurde die Sinnhaftigkeit der Intervention auch hier von vielen angezweifelt - vor allem als die Lage in Libyen in den vergangenen Monaten mehr und mehr auf ein Patt zwischen den Konfliktparteien hinauszulaufen schien. Doch dabei handelte es sich doch um einen eher unbeständigen und prinzipienlosen Anti-Interventionismus. Nun drohen die Interventionsbefürworter endgültig die Oberhand zu gewinnen. Bereits jetzt wird darüber spekuliert, wo der Westen denn als Nächstes eingreifen könnte.

In der Hitze des Gefechts wurde das eigentliche Argument für die Intervention in Libyen, nämlich die Zivilbevölkerung zu schützen, schnell vergessen. Gaddafis Militärapparat, der angeblich tausende Menschen in Benghazi abgeschlachtet hatte, war nirgends zu sehen, als Tripolis bemerkenswert schnell und ohne nennenswerten Widerstand fiel. Es mag banal sein, darauf hinzuweisen, dass diese Intervention letztlich einen Regimewechsel herbeigeführt hat. Aber das berührt die Frage der Legitimität des Nato-Einsatzes. Es ging der Nato immer um eine Parteinahme zu Gunsten des Transitional National Council (TNC) – einer amorphen Gruppierung, in der sich auch eine Vielzahl fragwürdiger Ex-Weggefährten Gaddafis tummeln.

Wer jetzt auf den Unterschied zwischen der Intervention in Libyen und denen im Irak und Afghanistan hinweisen möchte, hat vielleicht übersehen, dass die USA dort mit finanzieller und militärischer Macht eine parasitäre und korrupte Führung stützen. Natürlich besteht immer noch die Chance, dass das libysche Volk am Ende die Oberhand gewinnt, aber es wird es wohl jetzt vor allem mit einer international anerkannten Clique ehemaliger Gaddafi-Kumpane zu tun haben. Und das Kräftegleichgewicht in diesem Kampf wurde durch den westlichen Eingriff stark verzerrt.

Auch erinnert die Intervention in Libyen stark an die „guten“ Kriege gegen Serbien. Dieser Umstand könnte im Westen dazu dienen, die Probleme der Interventionen in Afghanistan und Irak unter den Teppich zu kehren, was ohne Zweifel weiteren Interventionen in anderen Ländern Auftrieb geben würde. Dabei ist die neue Nato-Strategie, möglichst ohne den Einsatz und somit Verlust eigener Bodentruppen auszukommen, sogar noch barbarischer als ihre Vorgänger, weil sie suggeriert, politischer Wandel ließe sich durch ferngesteuerte militärische Eingriffe erreichen - man müsse einfach nur kurz die gewaltige, verharmlosend als „chirurgisch“ bezeichnete Zerstörungskraft der Nato-Kriegsmaschinerie anwerfen. Leute wie Obama, Cameron und Sarkozy werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihre schwache Stellung im eigenen Land mit diesem „Sieg“ stärken zu wollen, und sie werden gewiss auch die “moralische Verantwortung” des Westens betonen, einzugreifen, wo er es für richtig hält.

Der Interventionismus äußert sich bereits wieder selbstbewusster: „Das wäre ohne die Intervention der NATO nicht möglich gewesen”, betonen viele Kommentatoren. Ich persönlich bin zwar sehr erfreut über das Ende von Gaddafis verabscheuungswürdiger Herrschaft. Doch seien wir ehrlich: wir werden nie wissen, wie sich die Dinge ohne den Eingriff des Westens entwickelt hätten. Es bleibt unklar, welche Form der libysche Aufstand ohne eine Intervention angenommen hätte und ob er dann nicht eine Führung ohne Verstrickung in der schmutzigen Vergangenheit des Gaddafi-Regimes hervorgebracht hätte. Sicher ist indes, dass das Recht auf Selbstbestimmung dem libyschen Volk aus der Hand genommen worden ist - und das ist keine Kleinigkeit. Wer immer noch vom humanitären Mehrwert der Intervention überzeugt ist, sollte sich mal dessen Wirkungen in Libyen selbst genau anschauen. Diese sind alles andere als „human”.

Schon im März war die Durchschlagskraft der „Argumente” der Interventionsbefürworter in Großbritannien und Frankreich groß genug, um die anfangs spürbare Zurückhaltung der USA zu überwinden. In Ermangelung klarer westlicher Interessen redete man sich ein, moralisch zu einem Eingriff verpflichtet zu sein. So ließ man sich letztlich von der eigenen Rhetorik überwältigen. Umso wichtiger ist es jetzt, die erbarmungslose Logik des liberalen Interventionismus bloßzulegen. Gerade jetzt geht es um eine entschiedene Verteidigung des Rechtes auf Selbstbestimmung. Statt sich von Gaddafis Sturz blenden zu lassen und zu denken, das sei es am Ende Wert gewesen, sollten wir lieber der Realität ins Auge sehen: Ein einheimischer Tyrann wird durch einen Verwaltungsapparat der Supermächte ersetzt. Wir sollten die Lektionen aus dem Irak nicht vergessen.

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