17.12.2008

Europäische Umerziehung für Neinsager

Von Sabine Reul

Auf seiner Sitzung Mitte Dezember beschloss der Europäische Rat, die Iren im Herbst 2009 nochmals zur Abstimmung über den Lissabonner Vertrag an die Urnen zu rufen.

Nach dem Nein zum Vertrag von Nizza im Jahre 2001 hatten die Iren im vergangenen Sommer das EU-Vertragswerk schon zum zweiten Mal und zwar mit einer noch größeren Mehrheit von fast 54% abgelehnt. Offenbar sollen sie so lange abstimmen, bis sie den Staatschefs der Europäischen Union das erwünschte Ja zum EU-Vertrag liefern. Frei nach Brecht möchte man dem EU-Apparat daher raten, er möge doch am besten gleich das Volk auflösen und ein anderes wählen.

Der ganze Vorgang illustriert die bizarre Welt der europäischen Politik. Da ist eine Abstimmung keine Abstimmung und ein Nein kein Nein. Politische Strukturen und Entscheidungen reflektieren hier nicht den Willen der Bürger, sondern die Bürger sind aufgerufen, vorgegebene Strukturen und Entscheidungen hinzunehmen. Da die Iren diesem Reglement nicht folgten, hat man sie seit dem Sommer entweder als unwissende Tölpel verunglimpft oder ihr Votum als Irrtum auszulegen versucht. Laut Jo Leinen (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für konstitutionellen Fragen im Europaparlament, war das irische Nein kein Nein, sondern lediglich eine „flatterhafte Aussage“. Und nun sollen die Iren einer konzertierten Umerziehungskampagne unterzogen werden, damit sie im Herbst 2009 das gewünschte Abstimmungsergebnis liefern. Eine größere Travestie demokratischer Sitten lässt sich schwer ausmalen.

Das Votum der Iren war deutlich: Sie waren der Meinung, der Lissabonner Vertrag sei schlecht. Auch wenn dafür bei verschiedenen Wählergruppen unterschiedliche Gesichtspunkte maßgeblich waren, lässt sich an diesem Befund kaum rütteln. Und natürlich hatten sie vollkommen Recht, denn dieses Vertragswerk zementiert den oligarchischen, demokratiefernen Charakter der aktuellen europäischen Politik. Axel Schäfer, ebenfalls Mitglied der SPD und Vorsitzender des Europaausschusses im deutschen Bundestag, meinte nach dem irischen Referendum im Juni vergangenen Jahres: „Es gibt kein anderes Europa außer diesen Vertrag.“ Das ist nicht wahr. Es gibt durchaus ein anderes, besseres und erfolgreicheres Europa. Doch das lässt sich erst verwirklichen, wenn sich zur ablehnenden Reaktion auf EU-Defizite auch positiv formulierte Forderungen für eine echte Neugestaltung Europas gesellen.

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