27.05.2009

Europa wählen - Ja,aber welches?

Kommentar von Sabine Reul

Europa macht seinen Bewohnern die Partizipation am politischen Prozess nicht leicht. Auf dem Kontinent präsentieren sich die Parteien in den Europawahlen nach wie vor in ihren nationalen Gewändern – und das auch noch ausnehmend öde. Sie reden nicht nur nicht über Europa, sondern eigentlich über gar nichts.

 „Mehr SPD für Europa“ sagt das großformatige Plakat vor meinem Bürofenster. Immerhin ist auf ihm ein Mann aus Brüssel zu sehen, von dem man vorher zumindest mal gehört hat: Spitzenkandidat Martin Schulz, Chef der Sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament. Auf seiner Webseite erklärt Schulz seine politische Position so: “Industrie-, Umwelt- und Energiepolitik dürfen nicht als voneinander losgelöste oder gar miteinander konkurrierende Politikfelder betrachtet werden. Nur wenn die drei Politikfelder zusammengebracht werden, kann eine moderne Industriepolitik entstehen”. Na wunderbar – so haben wir uns packende politische Konzepte schon immer vorgestellt.

Die Europawahlen, die nächste Woche in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union veranstaltet werden, sind eine gigantische verschwendete Gelegenheit. Hierzulande behandelt man sie zynisch als bloßen demoskopischen Testlauf für die kommenden Bundestagswahlen. Dabei könnte das Europäische Parlament zu einem wirklich bedeutenden Forum für den Ideenstreit über die Zukunft Europas werden. Aber dazu bedarf es erst einer gewaltigen institutionellen und kulturellen Erneuerung der Politik auf dem Kontinent.

Wer nächste Woche seine Stimme gegen die autistische Politik der EU-Apparate erheben möchte, wird sie Kandidaten geben wollen, die für diese Erneuerung zu stehen versprechen: das heißt, für die längst überfälligen europaweiten Volksabstimmungen über den EU-Verfassungsvertrag und für die Entwicklung einer europäischen politischen Öffentlichkeit mit europaweit aktiven Parteien. Doch das fällt einem nicht gerade leicht. Declan Ganleys „Libertas“ tritt mangels eigener personeller Verankerung in Deutschland im Bündnis mit der eher rechtskonservativ-christlichen Formation AUF (Arbeit, Familie, Umwelt) auf – mit Eva Hermann als Zugpferd. Auch die Gruppe „Newropeans“ tritt für Referenden und eine demokratische Reform der EU ein, existiert aber eher nur virtuell und hat in fast jeder anderen Frage ebenfalls unerfreuliche Positionen: man ist u.a. offenbar gegen Gentechnik und für stärkere Einwanderungskontrollen.

Was tun? Die EU-Bürokraten sind an geringe Wahlbeteiligungen gewohnt und können damit gut leben. Nicht wählen ist folglich keine besonders wirksame Maßnahme. Da die etablierten Parteien den undemokratischen Politikstil der EU – bei CSU und Die Linke mit gewissen Vorbehalten – stützen, äußern Demokratisierungsbestrebungen gerade in Deutschland zurzeit nur konservative Außenseiterformationen. Trotzdem wäre es europaweit ein wichtiges Signal, wenn die Befürworter von Volksabstimmungen über den Vertrag von Lissabon deutliche Zustimmung für sich verbuchen können, selbst wenn sie fragwürdige Positionen vertreten. Denn immerhin wollen sie diese ja zur Diskussion stellen und nicht einfach hinter verschlossenen Türen in Brüssel durchsetzen. Das Dilemma ist groß und ein klarer Reflex des überaus ungenügenden Zustands der Politik in Europa. Den wird diese Wahl wenig ändern – aber wählen kann man definitiv nur die Kandidaten, die die Bürger über die Zukunft Europas entscheiden lassen wollen.

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