13.04.2015

Eurokrise: Der letzte Akt im griechischen Drama

Kommentar von Heiner Flassbeck

Für einen Wachstumskurs in Griechenland fehlt jeglicher Plan. Die Politik der "Institutionen" hungert das Land aus. Allen voran Deutschland setzt seine Interessen mit dem Recht des Stärkeren durch, argumentiert der Ökonom Heiner Flassbeck in einem Gastbeitrag

Gibt es eine „Reformliste“ der Regierung in Athen oder nicht? Ist die Liste vollständig oder nicht? Sind die für die Geldgeber wichtigen Bereiche abgedeckt oder nicht? Sind die „Institutionen“ einbezogen oder nicht? Seit Wochen werden wir stündlich mit neuen halbfertigen Informationen darüber zugeschüttet, wie die griechische Regierung und die Gläubiger um einen „Kompromiss“ ringen, der keiner sein wird. Der einzige Punkt, an dem man der griechischen Regierung – und das sogar in der deutschen Presse – „substantiell“ entgegengekommen ist, scheint der Verzicht auf das Wort „Troika“ zu sein. Welch eine Kompromissfähigkeit auf Seiten der Gläubiger und welch ein Erfolg für die griechische Seite!

In der eigentlichen Frage, um die es spätestens seit der Wahl dieser Regierung hätte gehen müssen, nämlich, wie man die griechische Wirtschaft endlich rasch auf einen Wachstumskurs bringt, ist der Fortschritt genau gleich Null. Im Gegenteil, nach allem, was wir wissen, ist die Lage zuletzt schlechter geworden, was auch die Lage des Staatshaushalts Tag für Tag verschlechtert (wir haben das unter anderem im Artikel „Griechenland: Die Feier fällt aus“ [1] kommentiert). Die Entwicklung der Industrieproduktion, der wichtigste aktuelle Indikator der konjunkturellen Entwicklung, ist trotz des schon extrem niedrigen Niveaus noch weiter abwärts gerichtet (Abbildung).


Die Entwicklung der Industrieproduktion in Griechenland, Spanien und Portugal


Ein Staatshaushalt ist gerade in dieser Lage nicht eine Ansammlung von Zahlen, die man so lange durchrütteln kann, bis das gewünschte Ergebnis herausgekommen ist, sondern er ist vor allem Ausdruck der aktuellen Situation der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt. Bei beidem sieht es extrem düster aus in Griechenland. Die Verunsicherung der Menschen und damit der Konsumenten nimmt mit jeder Katastrophenmeldung weiter zu und die Frage, wie man einen Investor dazu bewegen will, in solchen Zeiten zu investieren, muss man schon nicht mehr stellen.

„Es gibt keinen Unfall, es gibt nur unverantwortliche politische Entscheidungen“

Auch der Unsinn, der fast jeden Tag über Graccident (also quasi einen Unfall, der zum Austritt führt) oder Grexit (also einen griechischen Austritt) verbreitet wird, muss die Lage weiter destabilisieren. Man mag es eigentlich nicht mehr kommentieren, aber es gibt keinen plötzlichen und zufälligen Unfall einer Gesellschaft insgesamt, es gibt nur unverantwortliche politische Entscheidungen, die chaotische Ereignisse nach sich ziehen können. Auch ein Austritt ist ohne die konstruktive Unterstützung durch die EU von einem einzelnen kleinen Land nicht zu bewältigen, ohne Chaos, Panik und womöglich Unregierbarkeit des Landes in Kauf zu nehmen.

Ein Szenario, bei dem Panik und Chaos ausbricht, wird aber auch ohne Grexit immer wahrscheinlicher. Die Weigerung der Gläubigerländer, das Scheitern ihrer Politik einzugestehen und einer Neuorientierung zuzustimmen, nimmt inzwischen groteske Züge an. Man fordert stereotyp weiter, was man immer gefordert hat, ohne jede Rücksicht darauf, ob es Erfolg verspricht oder nicht. Offenbar hat man sich vorgenommen, nicht anders als bei einer mittelalterlichen Burgbelagerung, das Land quasi auszuhungern und dadurch zur Aufgabe zu bewegen. Und die Gerüchte über den Zeitpunkt der endgültigen Kapitulation kochen hoch mit immer neuen Daten, die vor allem in den deutschen Medien für die „Pleite“ genannt werden. Ich habe schon vor Wochen Anfragen von Journalisten bekommen, ob ich bereit wäre, mich über ein Wochenende quasi abrufbereit zu halten, um den endgültigen Niedergang zu kommentieren.

Dass man mit diesem würdelosen Gezerre den Glauben der Menschen an die Demokratie und an Europa zugleich zerstört, fällt offenbar niemandem mehr auf. Warum konnte man nach der ersten allgemeinen Einigung der Syriza-Regierung mit der Eurogruppe Ende Februar dieser Regierung nicht die Chance geben, zu zeigen, ob sie in der Lage ist, mit ihren Mitteln – und mit einem großzügigen Kredit versehen – eine Wende in der griechischen Wirtschaft zu erreichen? Das darf nicht sein, man stelle sich vor, das könnte gelingen und die Troika widerlegen!

Stattdessen geht es genauso weiter wie bisher. Wieder maßt man sich von Seiten der Gläubiger an, jedes Detail der Wirtschaftspolitik in den nächsten Jahren von außen vorzuschreiben. Die Financial Times schrieb zu einer der vielen Listen in den letzten Tagen: „Mit der Liste versucht Athen, den Bedenken der Eurozone entgegenzukommen, … verfehlte aber einige Punkte, die von den Institutionen gefordert worden waren, einschließlich einer Überholung des griechischen Rentensystems und einer größeren Arbeitsmarktflexibilisierung.“ [2]

„Mit dem Recht des Stärkeren schreibt man souveränen Ländern ihre Lebensverhältnisse vor“

Diese Chuzpe muss man sich vorstellen: Das Land, das seit 2010 mehr Lohnflexibilität als irgendein anderes gezeigt hat, wird gemahnt, seinen Arbeitsmarkt zu liberalisieren! Absurder geht es nicht mehr. Um diesen Irrsinn zu rechtfertigen, behauptet man entweder ganz frech, es sei in Griechenland in den letzten sechs Jahren einfach nichts passiert (so Carsten Knop in der F.A.Z. [3]) oder man stellt gegen die Fakten schlicht die Behauptung, die „Reformen“ hätten Griechenland (und vor allem Spanien und Portugal) auf den richtigen Weg gebracht (so Nikolaus Blome vom Spiegel [4]). Die Behauptungen des Mächtigen (und der sie verteidigenden staatstragenden Medien) sind einfach immer richtig, weil sie für richtig erklärt werden.

Die kompromisslose kalte Machtausübung gegen jede Vernunft mag in diesem Fall viele Väter (und Mütter) haben, doch von den Machtlosen wird sie in erster Linie Deutschland als wirtschaftlicher Supermacht zugerechnet. Das schürt genau die Vorurteile, deren Überwindung sich nach den zwei Kriegen des vergangenen Jahrhunderts kluge Politiker auf allen Seiten zum Ziel gesetzt hatten. Diese Klugheit aber gibt es nicht mehr. Kluge Politik ist abgelöst worden von plakativen Dogmen und primitiver Parteipolitik über die Grenzen von Ländern hinweg. Man maßt sich nicht nur mit dem bloßen Recht des Stärkeren an, souveränen Ländern ihre Lebensverhältnisse vorzuschreiben, man tut das offensichtlich sogar mit Blick auf die parteipolitischen Machtverhältnisse dort und scheut nicht davor zurück, die Ergebnisse von freien Wahlen rückgängig zu machen. Man dementiert den Willen des Volkes und demontiert im Namen Europas die Demokratie. Die Geister, die es auf diese Weise ruft, wird Europa nicht mehr loswerden.

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