01.04.2001

EINSPRUCH: BSE:Europäisches Panik-Rodeo ohne Rind

Von Michael Fitzpatrick

Über die Creutzfeld-Jakob-Krankheit ist noch immer so gut wie nichts bekannt – nicht einmal ob sie wirklich über den Verzehr von Rindfleisch übertragen wird. Nicht ins Bockshorn jagen lassen, empfiehlt Michael Fitzpatrick.

In der kaum verborgenen Schadenfreude der britischen Medien darüber, dass nun auch Deutschland und Frankreich ihre BSE-Krisen haben, schwingt im Wesentlichen die Hoffnung mit, Großbritanniens Paria-Stellung innerhalb Europas möge hierdurch aufgehoben werden. Die Reaktion der Europäischen Union – das Verbot, Fleisch und Knochenmehl zu verfüttern sowie das Fleisch von Rindern, die älter als 30 Monate sind, zu Nahrungsmitteln zu verarbeiten – wird die Steuerzahler EU-weit allerdings an die zehn Milliarden Mark kosten. Das durch die Krise ausgelöste Verbrauchermisstrauen gegen Rindfleischprodukte wird zudem Tierzüchter in Großbritannien ebenso treffen wie die Produzenten in anderen Staaten der EU. Man muss sich nur ins Gedächtnis rufen, dass im Jahr 1996, als die BSE-Krise in Großbritannien begann und die EU-Länder den Import von britischem Rindfleisch verboten, der Verkauf von Rindfleisch in Deutschland noch stärker zurückging als in Großbritannien.

Nirgendwo in Europa spielen Themen des Verbraucher- und Umweltschutzes eine größere Rolle als in Deutschland – und Deutschland ist Europas größter Markt. Der Rücktritt mehrerer Minister auf Bundes- und Landesebene und die als Reaktion auf die BSE-Krise erfolgte Reorganisation des Landwirtschaftsministeriums als Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährungssicherung und Landwirtschaft zeigen, von welch großer Bedeutung solche Themen in der deutschen Politik sind.

“Die meisten angeblichen “Erkenntnisse” sind reine Spekulation.”

Angesichts der neuesten BSE-Krise sollte man sich daran erinnern, dass die Wissenschaft über BSE und die mit der Rinderseuche in Verbindung gebrachte neue Form der Creuzfeld-Jakob-Krankheit (vCJD für “variant CJD”) fast nichts weiß und es daher so gut wie keine Fakten gibt, auf deren Grundlage sich die jetzt getroffenen Maßnahmen rechtfertigen ließen. Fast jede Einzelheit der viel zitierten These, BSE und vCJD seien durch Prionen übertragene Krankheiten, die durch Tiermehl und Ähnliches Rinder und über das Rindfleisch wiederum Menschen infizierten, ist sehr umstritten. Die meisten angeblichen “Erkenntnisse” sind reine Spekulation; bewiesen wurde noch nichts, selbst fundierte Arbeitshypothesen fehlen.

Ungeachtet all dieser Unsicherheiten ist es vertretbar, als Vorsichtsmaßnahme die Verfütterung von Tiermehl zu verbieten und das Fleisch infizierter Rinder nicht mehr zur Produktion von Nahrungsmitteln zuzulassen. Sehr zweifelhaft jedoch ist der Nutzen der Massenschlachtungen (in Großbritannien wurden bislang fünf Millionen Rinder getötet), die in Europa durchgeführt werden.

Die Theorie, vCJD entstehe beim Menschen durch den Verzehr von BSE-infiziertem Rindfleisch, ist weit verbreitet. Selbst die minutiöse Untersuchung jedes bisher bekannten Falls von vCJD lieferte dafür aber keine Belege. Es gibt demnach auch keinerlei Fakten, die den weit verbreiteten Ängsten eine reale Basis geben könnten.

Bei der Untersuchung der fast hundert vCJD-Erkrankungen in Großbritannien konnten bisher in keinem der Fälle Indizien dafür gefunden werden, dass die Krankheit auf einem der folgenden Wege übertragen worden war:

  • Verzehr von Rindfleisch, Hamburgern, Rindfleisch mit Knochen oder anderer Rindfleischprodukte
  • Verzehr von Lammfleisch
  • Bluttransfusion (mehrere an vCJD erkrankte Personen waren Blutspender)
  • Impfung gegen Kinderlähmung (eine Firma benutzte zur Herstellung des Impfstoffes aus britischen Rindern gewonnenes Serum)
  • Operationsbesteck

Viele Politiker und Journalisten benutzen den Rinderwahnsinn als Argument, mit dem sie in der Außenhandelspolitik gegen Konkurrenten oder innenpolitisch gegen Rivalen Punkte zu machen hoffen (je nach politischer Couleur kann sich diese Intention in Großbritannien einmal gegen Irland, ein andermal gegen Deutschland und Frankreich richten).

Die Menschen in Europa sollten sich davon aber nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern bedenken, wie gering die Zahl der vCJD-Fälle in den letzten vier Jahren selbst in Großbritannien war. Viele medizinische Körperschaften, Verwaltungen und Ministerien sind schnell mit Katastrophenszenarien bei der Hand. Tatsächlich beobachte man in Großbritannien in den vergangenen vier Jahren lediglich eine Zunahme von weniger als 20 vCJD-Fällen pro Jahr. Einer Statistik der britischen “CJD Surveillance Unit” zur Folge steckten sich möglicherweise nur an die 200 Briten mit der Krankheit an. Will man vernünftig auf eine derart seltene Krankheit reagieren, sollte man die Wissenschaftler vCJD weiter erforschen lassen und uns mit grundlosen Panikmeldungen verschonen.

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