01.05.2000
Eine Ohrfeige für den Feminismus
Von Jan Macvarish
Jan Macvarish über Cathy Youngs Buch Ceasefire.
Die Allgegenwart feministischer Texte bis hin zu Populär-Psychologie macht den “Kampf der Geschlechter” zu einem Thema, das man nicht mehr ignorieren kann. Was zeichnet das Buch Ceasefire von Cathy Young in dieser Debatte aus? Ihre amerikanischen Kolleginnen hassen die Autorin für die Behauptung, der “Krieg der Geschlechter” stelle keinen von langer Hand geplanten Angriff auf Frauen dar. Young wurde als Agentin des Patriarchats bezeichnet. Anders als die populäre Psychologie interessiert sich Young nicht für die täglichen zwischenmenschlichen Spannungen und Konflikte. “Männer und Frauen nehmen sich nicht viel, wenn es darum geht, sich gegenseitig schlecht zu behandeln”, sagt sie.
Young beschäftigt sich damit, welchen Einfluss der Geschlechterkampf auf die akademische Welt, die Gesetzgebung, die Erziehung, die Gesundheits- und Sozialpolitik sowie die gesellschaftliche Kultur hat. Sie behauptet, feministische Ideen seien mit traditionellen konservativen Ideen verschmolzen und als altmodische, sich auf geschlechtliche Stereotypen beziehende Ideologie wieder geboren worden, die Frauen als Opfer natürlich-männlicher Brutalität sieht. Dies habe der Idee Vorschub geleistet, dass es einen fundamentalen Interessensgegensatz zwischen Männer und Frauen gibt, der – so sieht es Young – der Beziehung zwischen den Geschlechtern nur schaden kann.
Young kam 1980 aus der Sowjetunion in die USA und hatte ein feministisches Selbstverständnis mit großen Erwartungen an die freie moderne Welt. Aber sie merkte schnell, dass die amerikanischen Feministinnen sich mehr mit Geschlechtsunterschieden und den essentiellen männlichen und weiblichen Eigenschaften beschäftigten als die Konservativen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die ursprüngliche, auf Gleichheit basierende Perspektive des Feminismus der neuen, frau-zentrierten Sicht Platz gemacht. Diese neue Sichtweise sah den Kampf für Gleichheit – die Fähigkeit von Frauen, es in der Männerwelt zu etwas zu bringen – als Unübertreffbarkeit frauenspezifischer Qualitäten. Männlichkeit und die Qualitäten, die man gemeinhin damit verband, wurden verunglimpft und angesichts weiblicher Tugenden bemitleidet. Themen wie Gewalt gegen Frauen, die als das Produkt typisch männlicher Verhaltensweisen gesehen wurde, standen im Zentrum der Diskussionen und wiederholten die traditionellen Stereotypen des brutalen Mannes und der verletzlichen Frau durch die Sprache des Feminismus. Heute sind die Konsequenzen deutlich: Wenn Männer und Frauen im Wesentlichen biologisch, intellektuell und moralisch unterschiedlich sind, können persönliche Beziehungen im besten Falle in einem immer neu zu verhandelnden Waffenstillstand, im schlimmsten Falle aber in einem brutalen Krieg enden. Die kleinlichen Konflikte, die es in allen Beziehungen gibt, wurden als Ergebnis eines fundamentalen Unterschieds, der weit über einen bestimmten Charakter eines Individuums hinausgeht, umdefiniert. Nach Auffassung von Young kann aber nicht davon ausgegangen werden, “dass jedes Mal, wenn ein Mann eine Frau schlecht behandelt, es sich um eine Manifestation des Patriarchats handelt.”
Ceasefire beschäftigt sich damit, wie Kampagnen über häusliche Gewalt und Vergewaltigung diese privaten Konflikte politisiert haben. Im Gegensatz zum alten feministischen Slogan argumentiert Young, dass das Persönliche nicht politisch ist und dass Versuche, es zu politisieren, destruktive Folgen für private und persönliche Beziehungen haben. Young meint, dass es heute notwendig ist, die Frage der Gleichheit neu aufzuwerfen und sich gegen die Politisierung des Privaten zur Wehr zu setzen. Sie ist sich aber auch der Tatsache bewusst, dass das Klima von heute dieses Ziel nicht unbedingt einfacher macht.
Young zentriert ihre Kritik zwar auf den Feminismus, aber sie weiß, dass feministische Ideen nur deshalb erfolgreich sein können, weil das gesellschaftliche Klima einen guten Resonanzboden bietet. Es gibt “eine Tendenz, sich ein risikofreies Leben zu wünschen und Schutz nicht nur vor Gefahren, sondern auch vor Unannehmlichkeiten” einzufordern – vor unanständigen Witzen auf der Arbeit oder verbalen Beschimpfungen im ehelichen Konflikt. Im schwierigen Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen falle es leicht, Frauen in die Rolle des Opfers zu schieben. Auf diese Weise werde aber das emotionale Chaos im Privatleben und wirklich brutale Fälle von Gewalt in einen Topf geworfen. Young kritisiert, dass Männer heute für Schubsen und Grabschen verhaftet werden können, und ein sexuelles Zusammentreffen unter Einfluss von Alkohol hinterher als Vergewaltigung bezeichnet kann.
Die heutige Bereitschaft, die “versteckten” Gefahren im Privatleben zu betonen und den Opfern das Hauptaugenmerk zu widmen, hat zu einer zunehmenden Akzeptanz subjektiver Vergehensdefinitionen geführt. In Ceasefire präsentiert Young eine logische Folge dieser Subjektivität: “Wenn die Verkehrspolitik nach dem Muster der Belästigungsgesetze geplant worden wäre, gäbe es keine Stoppschilder oder Geschwindigkeitsbegrenzungen. Man würde eine Geldstrafe bekommen, weil man nicht angehalten hat, wo der andere dies erwartet hat, oder weil man ein Tempo drauf hatte, das einem anderen Fahrer Unwohlsein bereitete.” Das zugrunde liegende Konzept von Gesetz und Gerechtigkeit ist unter dem Gewicht der subjektiven Definitionen zusammengebrochen. Dies hat, so Young, eine Situation geschaffen, in der das scheinbar hilflose Opfer “neue und manchmal perverse Macht bekommt, wie z.B. einen Mann fälschlicherweise der Vergewaltigung zu beschuldigen”.
Die Ironie ist, dass dieser Geschlechterkrieg zu einem Zeitpunkt geführt wird, in dem Frauen und Männer größere Gleichberechtigung als je zuvor erfahren und von den alten Beschränkungen der sexuellen Moral befreit werden. Aber diese Befreiung, wenn definiert und reguliert durch feministische Annahmen von männlicher Brutalität und weiblicher Verletzbarkeit, ist ein moralischer Sumpf geworden, der mindestens genauso zerstörerisch wirkt wie das, was überkommen wurde. Wenn, wie Young sagt, “die Debatte über richtige sexuelle Normen automatisch in eine Debatte über Vergewaltigung mündet, wissen wir, dass wir in einer Zeit leben, in der Männer und Frauen immer unsicherer im Umgang miteinander sind und in der Misstrauen gegenüber intimen Beziehungen die Norm ist. Hier muss der Waffenstillstand beginnen.”