01.07.2004

Eine Lobby für die Biowissenschaften

Interview mit Rudi Balling

Im Frühjahr wurde der Verband biowissenschaftlicher und biomedizinischer Gesellschaften (VBBM) gegründet. Thilo Spahl sprach mit Rudi Balling, dem ersten Präsidenten des VBBM.

Novo: Herr Prof. Balling, der neue Verband wurde ausdrücklich mit dem Ziel gegründet, eine effektivere Lobbyarbeit machen zu können. Werden die deutschen Biowissenschaftler zukünftig mit einer Stimme sprechen?

Prof. Balling: Ich bin fest davon überzeugt, dass uns das gelingen wird. Wir haben die großen Fachgesellschaften für unsere gemeinsamen Ziele gewonnen. Schon jetzt kann der VBBM für 17.000 Biowissenschaftler sprechen. Ganz wichtig ist mir, dass auch der Verband Deutscher Biologen und biowissenschaftlicher Fachgesellschaften von Anfang an dabei war und sich ebenfalls aktiv an der VBBM-Gründung beteiligt hat. Wir werden gemeinsame Strukturen schaffen und dadurch gemeinsam stark sein.

In Deutschland hat die Biotechnologie keinen leichten Stand. Es fehlt vor allem an Rückhalt in der Politik. Sind andere Länder besser dran, weil die Wissenschaftler dort besser organisiert sind? Oder gibt es andere Gründe?

Das muss man differenziert betrachten. In der roten Biotechnologie – also der Anwendung für die Medizin – ist die Akzeptanz sehr gut, die Politik hat sich stark dafür eingesetzt. In anderen Bereichen wie der grünen Biotechnologie sieht das anders aus. Wir müssen dort jetzt die Chancen deutlich herausarbeiten. Dies muss von einem zentralen Ansprechpartner in der Biologie geleistet werden, der die einzelnen Fachexpertisen koordiniert und ein klares Mandat hat, für alle Fachdisziplinen zu sprechen. Der VBBM wird diese Aufgabe schultern: In den Fachgesellschaften liegt die erforderliche Kompetenz. Um sie zur Geltung zu bringen, werden wir die erforderlichen Strukturen aufbauen.

„Kommt das Verbandsklagerecht, haben Tierschutzverbände ein Instrument in der Hand, um biomedizinische Forschung in Deutschland zum Stillstand zu bringen.“

In der öffentlichen Debatte dominieren einige große Themen wie Stammzellforschung, „Gen-Food“, Klonen und Präimplantationsdiagnostik (PID) die Auseinandersetzung um die Biowissenschaften. Sind das auch die Themen, zu denen der VBBM sich äußern wird?

Selbstverständlich werden wir uns zu allen großen Themen äußern. Wäre schon früher eine gemeinsame Interessenvertretung der Biologie existent gewesen, dann hätten wir beispielsweise auch in der Diskussion um die Novelle des Gentechnikgesetzes mit mehr Nachdruck einen Beitrag leisten können. So wie das Gesetz jetzt aussieht, besteht die Gefahr, dass sich Deutschland aus der grünen Biotechnologie verabschiedet – in der Forschung ebenso wie in der Produktion.

Selbstverständlich werden wir uns zu allen großen Themen äußern. Wäre schon früher eine gemeinsame Interessenvertretung der Biologie existent gewesen, dann hätten wir beispielsweise auch in der Diskussion um die Novelle des Gentechnikgesetzes mit mehr Nachdruck einen Beitrag leisten können. So wie das Gesetz jetzt aussieht, besteht die Gefahr, dass sich Deutschland aus der grünen Biotechnologie verabschiedet – in der Forschung ebenso wie in der Produktion. Aus den Fehlern müssen wir lernen und unsere Fachkompetenz gebündelt einbringen. Dabei sind wir jetzt schon aktiv: So sind wir in die Diskussion um das neue Verbandsklagerecht im Tierschutz massiv eingestiegen. Kommt das Verbandsklagerecht, haben Tierschutzverbände ein Instrument in der Hand, um biomedizinische Forschung in Deutschland zum Stillstand zu bringen. Das kann kein vernünftiger Mensch wollen, und deshalb werden wir konstruktiv Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit und in der Politik leisten.

 

Gründungsmitglieder des VBBM:

Deutsche Botanische Gesellschaft
Deutsche Gesellschaft für Biophysik
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie
Deutsche Gesellschaft für Immungenetik
Deutsche Gesellschaft für Immunologie
Deutsche Gesellschaft für Proteomforschung
Deutsche Gesellschaft für Zellbiologie
Gesellschaft für Genetik
Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie
Deutsche Phytomedizinische Gesellschaft
Gesellschaft für Virologie
Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie
(Weitere Informationen unter www.bio-bund.de)

 

Welche Aspekte der Biowissenschaften werden Ihrer Meinung nach zu wenig beachtet, welche Argumente zu selten gehört?

Biowissenschaften sind eine der Schlüsseldisziplinen für die Zukunft. Da braucht es eine starke Grundlagenforschung. Häufig wird jedoch nur auf den kurzfristigen Erfolg geschaut, sei es an der Börse oder bei der Forschungsförderung. Die wirklichen Innovationen kommen jedoch aus einer freien Grundlagenforschung. Da nützen keine hundert Milestones und jährlichen Evaluationen, sondern wir brauchen intelligente Köpfe, deren Kreativität nicht durch ein Übermaß an Bürokratie abgetötet wird.

Können viel beschäftigte Forschungsmanager wie Sie die öffentliche Debatte noch nebenbei führen? Oder müssten mal ein, zwei führende Köpfe aus dem Forschungsalltag aussteigen, um sich ganz dieser Sache zu widmen?

Wir müssen fest in der Wissenschaft verankert bleiben. Nur so bleibt der Bezug zum letzten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis bestehen. Genau diese Chance bietet ja gerade der VBBM: Wir werden jetzt Strukturen aufbauen, die das Know-how aus den Wissenschaften systematisch in die politische Diskussion und den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Da setzen wir uns gerade für die notwendigen Ressourcen ein.

Vielen Dank für das Gespräch.

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