01.11.2000

Ein Volk gegen Rechts!

Ein Volk gegen Rechts! Von Helmut Ortner

Wir erinnern uns noch: die Shell-Tankstellen haben wir seinerzeit trotz der Brend-Spar-Sauerei nur halbherzig boykottiert, bei diversen Lichterketten gegen allerlei Böses in der Welt unentschuldigt gefehlt und auch bei den in Mode gekommenen Trillerpfeifen-Demos sah man uns selten. Nein, das neue deutsche Demonstrations- und Wutgefühl wollte schon damals partout nicht auf uns überschwappen. Zugegeben, manchmal plagte und schon ein wenig das schlechte Gewissen: beispielsweise als eine Protest-Crew des Frankfurter Privatsenders »Hitradio FFH« mit ihrem Katamaran spontan zu einem Betroffenheits-Segeltörn gegen die Atomversuche im fernen Muroroa aufbrach und gegen harten Seegang, atomare Strahlen und Sonnenbrand ansegelte. Wenn die mutigen Reporter via Satellit ihre Frontberichte ins Heimatland funkten, mutierte der Dudelsender zum Durchlauferhitzer für das gute Weltgewissen. Ganz nach dem hauseigenen Slogan »Einfach näher dran!«. Gemeinsam gegen das Böse, wo immer es lauert in diesen Zeiten. Derzeit dort, wo der Daumen recht ist. »Bürger, seid gegen Rechts!« – das fordern dieser Tage der Bundeskanzler, Herr Thierse, Herr Rau und Herr Stoiber.
Und so erklärt derzeit so ziemlich jeder anständige Bürger, dass er gegen rechte Gewalt ist und Rassismus und Terror gegen Ausländer verabscheut. Das ist natürlich gut und richtig so. Und es ist auch nicht falsch, wenn Pädagogen und Soziologen, Psychoanalytiker und Sozialpsychologen – kurz: die ganzen üblichen Verdächtigen –  nützliche Hinweise geben auf den Zusammenhang zwischen Gewaltbereitschaft und der sozialen Lage von rechten, jungen Schlägern. Aber: Geht es nicht in vielen Teilen der Welt Leuten nicht viel, viel schlechter als in Eberswalde oder Magdeburg, ohne dass sie ihre Mitmenschen jagen, prügeln und tottreten?
Neuerdings wünschen sich der Bundeskanzler, Herr Thierse, Herr Rau und Herr Stoiber, wir sollen noch mutiger sein. Zivilcourage sollen wir üben und uns den mit Baseballschlägern und Springerstiefeln bewaffneten Irrläufern in den Weg stellen und wenn es sein muss, auch mal in Kauf nehmen, das uns diese zweibeinigen Kampfhunde den Schädel einschlagen. Da fragen wir uns doch: Ist das nicht eigentlich der Job für die behelmte Polizei? Hat die ebenfalls dafür zuständige Justiz gerade Wichtigeres zu erledigen?
Vor wenigen Tagen fand sich ein Flugblatt in meinen Briefkasten: »Aufstehen gegen Rechts!« Genau, durchzuckte es mich, das ist es: Aufstehen gegen den Terror, nicht einfach sitzen bleiben und Tee trinken! Anschließend vielleicht Rasieren für den Frieden, Frühstücken gegen George Bush, Zeitungslesen gegen Korruption und Schwarze Kassen – so zeigt sich Zivilcourage. Oder?

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