01.07.2000

“Ein Ausstellungsgebäude mit Nachnutzung zu koppeln, ist absurd”

Analyse von Marie-Theres Deutsch

Die Architektin Marie-Theres Deutsch über Gründe und Hintergründe des architektonischen Dilemmas auf der EXPO.

Novo: Schon im Vorfeld der EXPO 2000 wurde an vielen Pavillons rumgenörgelt. Ist auch den Architekten die Lust auf Großprojekte vergangen?

Marie-Theres Deutsch: Nein, wenn es darum geht, solche Megastädte zu bauen, gilt bei Architekten eigentlich das Motto “Je größer, desto herausfordernder”.

Bei Weltausstellungen in der Vergangenheit haben verschiedentlich Architekten die Show gestohlen. Gigantische Vorzeigeobjekte wie das Atomium oder der Eiffelturm scheinen in Hannover aber gänzlich zu fehlen.

Solche Urteile greifen zu kurz und sind zu oberflächlich. Wir befinden uns heute mit der Architektur auf einer ganz anderen Entwicklungsstufe als beispielsweise noch in den 70er- oder 80er-Jahren. Es geht heute nicht mehr primär um die Faszination des Materials. Die Bautechnologien wurden sehr rasant entwickelt. Wir wissen heute, dass im Prinzip fast alles möglich ist: Ein Tragwerkssystem ist immer überbietbar, eine Tragwerkshaut ebenso. Die Glasbauentwicklung ist ein gutes Beispiel für diesen Wandel: Fassaden aus Ganzglas galten noch vor einigen Jahren als bautechnisch revolutionär. Heute sind sie Standard. Man darf also die Qualität von Architektur nicht nur an der Höhe der Gebäude messen.um?

In Hannover scheint sich aber auch zu dokumentieren, dass architektonische Innovation von Zukunftsangst gebremst wird. Nehmen wir den berühmten Architekten Frei Otto: Auf der EXPO 1967 in Kanada stellte er seine gigantische Zeltdachkonstruktion vor, die dann für das Olympiastadion 1972 in München umgesetzt wurde. Frei Otto ist auch auf der EXPO 2000 vertreten: diese Mal aber als Mitwirkender am japanischen Pavillon, der aus Papier gebaut ist. Steckt dahinter nicht ein gravierender Gesinnungswandel?

Das Olympiadach in München ist zu einer Zeit entstanden, als es um die Faszination des Tragwerks ging: Der Architekt als Ingenieur und umgekehrt. Frei Otto bezog sich bei seinem damaligen Projekt direkt auf Gaudi, der schon um die Jahrhundertwende ähnliche Hängekonstruktionen entworfen hatte. Für die EXPO in Hannover hat sich Frei Otto an ein Ökoprojekt eines jüngeren japanischen Architekten gehängt. Er ist fasziniert vom neuen Baumaterial und den Möglichkeiten des Flächentragwerks aus Papier. Der japanische Pavillon ist eine riesige Halle, überspannt mit Papierkonstruktionen. Bei Otto dominiert also immer noch die Faszination am Beherrschen von Material – ganz egal, welches es ist. Er präsentiert sich jetzt zwar marktgerecht als Planer, der mit Papier arbeitet. Das muss aber einen Architekten, der in Kategorien des Flächentragwerks denkt, gar nicht weiter stören.

Auch dieser EXPO-Pavillon basiert wie andere auf umstrittenen Prämissen, beispielsweise der Endlichkeit von Ressourcen. Nur wer die geschluckt hat, kann plötzlich auf die Idee kommen, aus Papier bauen zu wollen. Sollte die Architektur da nicht eher rabiat dagegenhalten?

Natürlich handelt es sich bei Nachhaltigkeit und dem Ökobauen um Schlagwörter, die Architekten entlarven sollten. Der japanische Pavillon wird nachher einfach wieder eingestampft, vielleicht wird daraus Zeitungs- oder Klopapier. Was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun? Man verschweigt gerne, dass der Energieaufwand in Form von Arbeits- und Maschinenkraft, die benötigt werden, um so ein Gebäude herzustellen, ungleich höher ist als die Aufwendungen zur Bereitstellung des Materials, also des Papiers. Das ist beim Bauen immer so und schlägt sich auch dergestalt nieder, dass die Arbeitszeit beim Bauen das Teuerste ist. Man rechnet heute mit maximal 10% der Gesamtkosten des Bauwerks für das Material. Die übrigen 90% und der damit verbundene Energie- und Ressourceneinsatz werden anderweitig verbraucht. Das Papier im japanischen Pavillon mag also billig sein, und die Verwendung von Papier als Baumaterial mag als nachhaltig bezeichnet werden. Aber nur, wenn die Ressourcen, die durch den Bauvorgang umgewandelt und verbraucht werden, verschwiegen werden. Das gleiche zeigt sich übrigens an dem neuen Hochhaus in Frankfurt von Norman Foster. Das wurde den Bürgern als Ökohochhaus angedreht, ist aber streng genommen natürlich das genaue Gegenteil. Aber mit diesem Schlagwort hat Foster den Wettbewerb gewonnen.

Ist es also Pragmatismus, der Architekten auf die Ökowelle gebracht hat?

Ja, natürlich auch. Das sind Schlagwörter, die gut ankommen und sich hervorragend verkaufen lassen.

Aber war es nicht gerade auch der Befreiung von solchen Konventionen zu verdanken, dass die Architektur großartige Bauten hervorbrachte?

Das ist sicher richtig, aber ein Problem mit der EXPO würde ich eher in deren Konzeption sehen. Die Architekten wurden nämlich aufgefordert, für die Bauwerke ein Nachnutzungskonzept vorzulegen. Das ist für die Planung eines Ausstellungsgebäudes eine sehr absurde Maßgabe. Natürlich kann man sich Gedanken machen, wie die Nachnutzung eines Gebäudes aussehen könnte. Es darf aber nicht so enden, dass man schon vorher festlegt: aus diesem Pavillon wird hinterher ein Kino für eine bestimmte Anzahl von Besuchern mit entsprechenden Sitzplätzen usw. Das kann unmöglich funktionieren. Ausstellungspavillons zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nur für sich selbst stehen und erst einmal keine andere Funktion haben, als sie selbst darzustellen. Es sind Denkmäler ihrer Architekten.Gute Architekturergebnisse bei früheren Weltausstellungen zeigen das. Der großartige Pavillon von Mies van der Rohe, der 1929 in Barcelona präsentiert wurde, stand nur für sich selbst. Weil man bei der EXPO in Hannover die Gebäudeplanungen aber mit Nachnutzungskriterien überfrachtete, war es vorprogrammiert, dass dort am Ende viele vorwiegend normale Messehallen stehen würden.

Waren die Architekten überfordert?

Natürlich sollte ein guter Architekt beides hinkriegen. Aber das kann eigentlich nicht Sinn der Übung bei der Ausschreibung eines Ausstellungsgebäudes sein. Wenn man dem holländischen Architektenteam MVRDV gesagt hätte, ihr müsst einen Nachnutzungsvorschlag berücksichtigen, wäre ihnen das sicher gelungen, weil sie gute Architekten sind. Aber sie haben sich erst gar nicht um Nachnutzung gekümmert. Auch Peter Zumthor, der den Schweizer Pavillon gestaltet hat, hat sich nicht von der Nachnutzungsvorgabe beeindrucken lassen. Das finde ich gut, und die Resultate sprechen für sich: Beide Pavillons sind gelungen, und sie werden hinterher wahrscheinlich einfach wieder abgebaut.

Man hat also mit diesem Konzept für Hannover die architektonischen Möglichkeiten eingeschränkt?

Auf jeden Fall. Diese Kopplung der Anforderungen ist absurd. Das findet bei Großprojekten aber leider immer häufiger statt. Ein Beispiel dafür ist die denkmalgeschützte Großmarkthalle in Frankfurt am Main. Es gibt jetzt eine Ausschreibung für einen Wettbewerb unter Investoren. Diese verlangt vom künftigen Träger, dass ein neuer Großmarkt gebaut wird. Sie verlangt aber gleichzeitig, dass für die alte Halle Funktionskonzepte erstellt werden und dass sie schließlich saniert und nachgenutzt wird. So etwas muss schief gehen, weil die Entwürfe nur noch von der Wirtschaftlichkeit geprägt sein werden. Das hat mit Architekturentwicklung nichts mehr zu tun. Das soll aber natürlich nicht heißen, dass sich Architekten nicht um die Funktion und die Funktionalität ihrer Bauten kümmern sollen. Das tun sie ohnehin. Es gibt aber eben einen gewaltigen Unterschied zwischen einem EXPO-Pavillon und einem normalen Büro- oder Wohngebäude. Bei letzterem geht es auch immer zu 50% um die Funktionalität, die erfüllt werden muss. Ein guter Architekt weiß das und bleibt trotzdem konzeptionell.

Die Architekten von MVRDV haben zwar auch einen “grünen” Pavillon auf das EXPO-Gelände gestellt, ...

Die ironisieren das ganze Ökogehabe mit einer frechen Antwort…

...aber sie widersprechen mit ihrer Konzeption aufeinander geschachtelter Etagen gleichzeitig der Mystifizierung von Natur. Sie zeigen, dass der Mensch die Natur beherrscht und thematisieren damit, dass ein nicht unerheblicher Teil Hollands auf künstlichem Land gebaut ist.

Man merkt an der Ironie von MVRDV, dass hier junge Leute dahinterstehen. Die haben den Vorteil, dass sie bekannt sind und solche Projekte finanziert bekommen. Ein unbekannteres junges Team könnte keine acht Geschosse übereinander stapeln mit dem Argument, Architektur verdichten zu wollen.

Ihr Pavillon hebt sich erfrischend ab vom “Pavillon der Hoffnung” in Form eines gestrandeten Walfischs und natürlich auch vom “größten Briefkasten der Welt” der Deutschen Post

Das sind Bauten von Architekten, die haben irgendwann einmal etwas von konzeptionellem Entwerfen gehört und setzen dann irgendwelche Formen plakativ um. Da wird gar nichts transformiert, das sind platte Übersetzungen, und da muss man durchaus schon einmal lachen. Aber die Rankingliste goutiert das ja leider. Dieser “Pavillon der Hoffnung” ist nach einer Umfrage von Bunte und ZDF zum Wahrzeichen der EXPO 2000 gewählt worden.

Den deutschen Pavillon halten auch Sie für missraten?

Schlechter kann man eigentlich nicht bauen.Man hat zunächst versucht, für die erste EXPO in Deutschland einen Pavillon nach Mies van der Rohe zu finden. Es gab einen Wettbewerb und einen Entwurf des Stuttgarter Architekten Florian Nagler. Der musste sich aber immer wieder vom Investor und Nachnutzer ins Konzept hineinreden lassen. Irgendwann sagte Nagler, jetzt ist Schluss damit, weil mein Konzept immer mehr verwässert wird. Die EXPO GmbH meinte daraufhin, er sei nicht kooperativ. Das war natürlich eine derbe Enttäuschung und zugleich eine riesige Schweinerei. Alle Entscheidungen wurden fortan vom Investor und seinem angestellten Architekten Josef Wund getroffen. Der Bauträger versprach natürlich ein wunderbares Bauwerk, lobte die Anstrengungen und die aufwendigen Glasfassaden, die in Wirklichkeit vor jedem Kaufhaus stehen könnten. Die sind weder was Besonderes, noch sind sie innovativ; sie sind einfach nur großkotzig. Aber das ist leider ein Zustand, an dem die deutsche Architektur nicht selten gemessen wird: Ein Investor sagt, was gute Architektur ist, und alle spielen brav mit. Mit wirklich guter Architektur hat das natürlich nichts zu tun. Dafür muss man sich Zeit lassen.

Im EXPO-Themenpark “21. Jahrhundert” wird unter anderem die Städteplanung thematisiert. Ökologische Themen dominieren auch hier: Verkehrschaos, Umweltverschmutzung, Bevölkerungsexplosion, Klimakatastrophe. Städtebauliche Science-Fiction-Modelle wie auf der EXPO 1970 in Osaka fehlen.

Damals war die Technologiediskussion noch positiv besetzt, und daraus sind natürlich auch Fantasien entstanden. Es gibt aber auch heute avantgardistische Ansätze, die sehr erfrischend mit diesen Öko-Themen umgehen. In Arch+ wurden einige vorgestellt. So gibt es Architekten, die diese Horrorvision eines drohenden Verkehrskollapses einfach ablehnen. Die stellen sich vielmehr der Tatsache eines wachsenden Verkehrsaufkommens und wachsender Mobilität und entwickeln ihre Städtemodelle entsprechend. Für die Zukunft der Megastädte Asiens wurden bereits erste Ansätze präsentiert: Vorstellungen, dass man die Autobahnen achtstöckig übereinander legt, sie wie Mäander durch die Stadt zieht, angebunden an unterschiedliche Stockwerke der Hochhäuser. Die Erreichbarkeit geht also in die dritte Dimension, und als Folge werden sich schon in ein paar Jahren einige Stadtbilder verändern. Vielleicht werden wir davon schon mehr auf der nächsten EXPO sehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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