01.05.2006

Editorial

Von Thomas Deichmann

Liebe Leser, unser letztes Heft mit dem Schwerpunktthema „Energie“ hat viel Staub aufgewirbelt. In der „liberalen“ FDP entbrannte ein Streit über den Sinn staatlicher Förderungen von Low-Tech-Energien. Aufregung gab es auch bei der „linken“ Tageszeitung Junge Welt, nachdem dort ein Novo-Auszug erschienen war. Auf den Leserbrief- und Replikseiten haben wir einige Reaktionen festgehalten. Wieder einmal machten auch Gerüchte die Runde, Novo sei ferngesteuert und fremdfinanziert. Derlei Unsinn ersparen wir Ihnen.

Unsere zentralen Fragen fanden auf dem letzten Energiegipfel kaum Beachtung: Warum stehen pausenlos Untergangsszenarien (zu denen mittlerweile sämtliche „Zukunftsdiskussionen“ degeneriert sind) im Mittelpunkt von Reformdiskussionen? Klimakatastrophe, Gen-Kontamination, Waldsterben, Bevölkerungsexplosion, Geburtenrückgang, Atomkraftrisiken usw.: Die Themen sind austauschbar und werden von einer misanthropischen Ökologisten-Industrie (der auch politische Parteien angehören) rituell zelebriert. Ihr einziges Anliegen scheint darin zu bestehen, die Botschaft zu verbreiten, technologischer Begeisterung und überhaupt menschlichem Vorwärtsstreben müsse grundlegend misstraut werden.
Über die Qualität dieser Weltanschauung wollen wir gerne einen offenen Streit anzetteln. Dadurch würde klarer, was davon zu halten ist, wenn heute Heerscharen von „Experten“ den Klimawandel als eine Art Vergeltungsakt der Natur verklären oder immerzu vor der Gentechnik warnen. Warum ist unser Gemeinwesen außerstande, sich fundiert und ruhig derlei Sachfragen zu stellen und die Gestaltung einer besseren Zukunft selbstbewusst und ambitioniert anzugehen? Davon sind wir heute meilenweit entfernt. Wir sind nicht einmal mehr in der Lage, innerhalb von vier Jahren banale wasserwirtschaftliche Baumaßnahmen in die Wege zu leiten, um „rituelle“ Hochwasserschäden zu vermeiden.
Man fragt sich, was passieren würde, wenn wirklich einmal bedrohliche Situationen bevorstünden. Aber vielleicht fragt man sich das besser nicht mehr, denn die „große Politik“ ist längst dazu übergegangen, nur noch notdürftig-technokratisch „Notstände“ zu verwalten. Ein aktuelles Beispiel für die Ideen- und Konzeptionslosigkeit liefert die unsägliche Föderalismusreform, der sich Sabine Reul in dieser Ausgabe widmet. Zu dieser Art Politik passt auch die populistische Bauchpinselei des Zeitgeistes. So hat Landwirtschaftsminister Seehofer (CSU) überaus schnell die recht klaren Forderungen aus alten Oppositionszeiten nach Wissenschaftlichkeit und Gleichberechtigung bei der Ausgestaltung des deutschen Gentechnikgesetzes und der Regulierung der modernen Biotechnologien eingenebelt. Auch er sucht jetzt den Schulterschluss mit Gentechnikgegnern und will einen „intensiven Dialog“ mit den gut organisierten Lobbyisten beginnen, die einzig an der Verhinderung von technologischem Fortschritt interessiert sind. Letzteres dürfte Seehofer zwar nicht entgangen sein, aber sein aktueller Kurs ist eben populär und symptomatisch für die Malaise, mit der wir konfrontiert sind.

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