01.01.2006
Editorial
Von Thomas Deichmann
Kreationismus und Intelligent Design … ist alter Wein in neuen Schläuchen. Dahinter stehen Vertreter der christlichen Glaubenslehre aus den USA. Neuerdings versuchen sie, im visionslosen Europa Fuß zu fassen, denn auch hier boomt seit Jahren religiös getünchter Irrationalismus – in Form von Kampagnen gegen die Gentechnik oder Kernkraft ebenso wie den wachsenden Fangemeinden für Alternativmedizin, Windkraftenergie oder konspirative Polittheorien.
Kreationisten sind Prediger des bevorstehenden Weltuntergangs auf Basis der göttlichen Schöpfungslehre. Sie schwärmen gerne vom 7-Tagewerk Gottes und der Arche Noah, durch die angeblich einst alle Lebensarten vor der Sintflut gerettet wurden. Es ist eine (freie Entscheidungs-)Sache, hieran zu glauben. Eine andere ist es, derlei Ideen mit missionarischem Eifer als „Wahrheit“ in die Köpfe Nichtsahnender pflanzen zu wollen und dem Ganzen einen pseudowissenschaftlichen Anstrich zu geben. Gegenaufklärung wird da unabdingbar. Beim Intelligent Design geht es um nicht mehr als um religiös motivierte „junk science“. In Kurzform lautet die kreationistische Designeridee: Die ästhetische Vielfalt des irdischen Lebens und die Komplexität der Organismen sind so ausgeprägt, dass sie auf Grundlage der Darwinschen Evolutionstheorie nie und nimmer hätten entstehen können. Es wird also versucht, einen der zentralen Grundpfeiler der neuzeitlichen Naturwissenschaften einzureißen.
Zu diesem Zweck ziehen sich Kreationisten weiße Kittelchen über, mimen einen auf Molekularbiologe und „forschen“ nach der Handschrift Gottes in unseren Genen. Dahinter verbirgt sich ihre eigene Glaubenskrise. Offenbar haben sie bemerkt, dass es um die Überzeugungskraft der Arche-Noah-Geschichte nicht gut genug bestellt ist, um neue Jünger zu finden. Deshalb greifen sie jetzt zum Reagenzglas und machen sich damit wahrlich zum Affen, aus dessen evolutionär enger Verwandtschaft sie den Menschen eigentlich retten möchten. Da ist einem fürwahr der Papst lieber, der die christliche Lehre einfach als das belässt, was sie ist: eine Glaubensfrage (von der man halten kann, was man will).
Die Popularität des Intelligent Design spiegelt die Verunsicherung über das Vermögen der Menschen, selbstbestimmt und bewusst das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und damit fortschrittlichen Wandel herbeizuführen. Diese aufklärerische Vision, die auf naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und demokratische Freiheitsrechte setzt und das Ideal einer besseren Gesellschaft anstrebt, ist uns verloren gegangen. Stattdessen leben wir in einer Zeit ausgeprägter Misanthropie (deutsch: Menschenverachtung). Aufmerksamkeit zieht heute zuvorderst die „Katastrophe Mensch“ auf sich – sei es als machtgeiler Politiker, feinstaubproduzierender Autofahrer, strommastenansägender Energieversorger oder kinderschändender Nachbar. Das Thema ist zweitrangig, die Botschaft zählt und ist immer dieselbe.
Zum Täterprofil gesellt sich eine Armada aus Opfern: Tiere, Kinder, Behinderte, Kranke, Alte etc. Der Tod eines Mädchens, die Entführung einer Deutschen im Irak, vom CIA gepeinigte Geheimfluggefangene oder in ihrem Daseinsrecht missachtete Schmetterlinge und Unkräuter erobern deshalb die Titelseiten-Charts. Auch aus der Opferperspektive interessieren Fakten und Hintergründe zumeist nicht die Bohne, Hauptsache, die misanthropische Heimleuchte sitzt.
Die destruktive Ziellosigkeit der Täterspezies Mensch erhält so ihren Gegenpart. Als passive Opfer kommen wir letztlich genauso ohnmächtig hilf- und subjektlos daher wie als Täter. Hinter beiden Blickwinkeln verbirgt sich der Fatalismus, dass uns nicht viel anderes übrig bleibt, als für unser misslungenes Erdendasein Buße zu tun, dem „Konsumterror“ zu entsagen, Tierversuche, Stammzellforschung und die modernen Pflanzenwissenschaften zu verbieten sowie demütiges Leisetreten zu unserer aller Leitbild zu erheben.
Diese Misanthropie ruft Erlösungsprediger auf den Plan, die danach trachten, den Menschen per apokalyptischer Drohung oder hartem Gesetz an die Kette zu legen, die ihm aber Dank ihres postmodern-religiösen Kauderwelschs aus ökologistischer Esoterik oder kreationistischem Irrsinn offenbar ein bisschen die Seele zu streicheln vermögen. Der freie Geist unserer Gesellschaft wird dadurch immer mehr vernagelt; auf der Strecke bleiben Lebenseinstellungen und Errungenschaften, ohne die es unsere moderne Zivilisation samt demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien nie hätte geben können.