01.03.2007

Editorial

Von Thomas Deichmann

Heute schon jemandem vertraut? - Der von uns schon seit langem geprägte Begriff der „Misstrauenskultur“ findet allmählich größere Verbreitung. Offenbar fällt auf, dass das verlässliche Miteinander-Umgehen vielerorts nicht mehr so gut funktioniert. Einige erkennen darin ein Problem – zu Recht. Andere sind eher bemüht, die Stimmung anzuheizen, eignen sich Korruptionsskandale doch trefflich, die angeblich wahre (fiese) Natur des Menschen zur Schau zu stellen.

Jemanden unter einen Generalverdacht stellen, seine Integrität anzweifeln oder eben mal ganz pauschal der Menschheit ihre Verwerflichkeit vorwerfen, gilt heute als schick, investigativ und ist zur täglichen Routine geworden. Dabei ist einerlei, um welches Thema es gerade geht: Die Jungen wollen den Alten ans Leder, Eltern ihren Kindern, Bosse ihren Angestellten, Gewerkschaften wem auch immer, Pflegerinnen den Kranken, Politiker den Bürgern, Immigranten unserer Kultur, Fußballfans der Demokratie usw. usf. Fällt Ihnen, werter Leser, noch ein öffentliches Thema ein, das von der Einstellung getragen ist: Wir kriegen das gut hin, lasst uns nur mal machen – ohne offiziell abgesegneten Verhaltenskodex oder Einmischung von oben?
Dabei sieht es im Alltag oft ganz anders aus – da gibt es ständig vertrauensvollen Umgang miteinander, ob im Beruf oder Privatleben. Wir bei Novo haben schon einmal über eine neue Rubrik nachgedacht, um mit solchen positiven Beispielen daran zu erinnern, dass nur Gemeinwesen vorankommen können, deren Menschen ein Mindestmaß an Loyalität und gegenseitigem Vertrauen aufbringen. Fallstudien wären hilfreich, doch allein damit ist es nicht getan. Wichtig ist es, die Dynamik dieser zersetzenden Prozesse zu klären. Mehrere Artikel in diesem Novo widmen sich deshalb aus unterschiedlicher Perspektive der modernen „Misstrauenskultur“.
Vertrauen setzt ein gemeinsames Ziel oder zumindest eine geteilte Grundhaltung darüber voraus, wie das gesellschaftliche Leben gestaltet werden soll. Genau daran hapert es aber im Zeitalter der Alternativ- und Konzeptlosigkeit. Nicht selten kritisieren unsere Beiträge deshalb die politischen Entscheidungsträger, denn diese haben sich längst mit dem neuen Ungeist arrangiert Die politische Elite (auch und vor allem die der EU) liefert kein erstrebenswertes Ziel für uns alle, sie lebt vielmehr mit und von der Fragmentierung und Ungewissheit der Bürger, spielt sich als Retter vor dem Bösen auf, das heute angeblich an jeder Ecke (und tief in uns) lauert. Politik wird deshalb gerne als Verbraucherschutz präsentiert – man könnte auch sagen: als Misstrauensverwaltung. Der volkstherapeutische Ansatz in aktueller Kurzform: Bitte zügeln Sie Ihren Egoismus, fahren Sie einen Hybrid-Toyota (Künast) oder zumindest langsamer (Merkel), drehen Sie die Heizung runter, seien Sie wachsam und regen Sie sich bloß nicht auf, wenn Ihre lieb gewonnenen Freiheiten eingeschränkt werden – Sie haben doch nichts zu verbergen, oder? Ist das der Gemeinschaftssinn, mit dem Sie leben möchten? Wir nicht.
Eine Bemerkung am Rande: Im Grunde kann unsere Politikerklasse froh sein, dass es den Klimawandel gibt (egal, wodurch er ausgelöst wird), denn in den missionarischen Diskussionen darüber lassen sich die degenerativen (misanthropischen) Trends unserer Zeit bestens vermanschen. Bedauerlicherweise manschen auch viele Medienvertreter vorbehaltlos mit. Auch hierzu finden Sie einen Beitrag im neuen Heft.




Anregende Lektüre wünscht Ihr


Thomas Deichmann
Chefredakteur

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