01.09.2007

Die Wahrheit über das Deutsche Literaturinstitut Leipzig

Kommentar von Melanie Arns

Eine Replik von Melanie Arns.

An dem Tag, als ich mich, zum Vorstellungsgespräch eingeladen, in entsprechender Räumlichkeit mit entsprechendem Prüfpersonal befand, waren meine Haare lila. Wir saßen um einen Tisch herum, der Prüfer zu meiner Rechten trug Namen, Ort und Datum in den Protokollbogen ein, zu meiner Linken studierte man die zu stellenden Fragen. Ich bekam ein Glas Wasser. Professor Haslinger stand lässig am Fenster und machte zur allgemeinen Auflockerung einen Scherz über seinen österreichischen Akzent, was nicht nötig gewesen wäre, denn ich war absolut gelassen, auf die Prozedur eines bürokratischen Aufnahmeverfahrens gefasst, und meine Haarfarbe bedeutete: „Ich tu sowieso, was ich will“, was ich natürlich nicht aussprach. Auf Fragen wie „Können Sie mit Kritik umgehen?“ gab ich Antworten, die möglichst ehrlich klangen, dabei aber trotzdem das beinhalteten, was die Herren Prüfer hören wollten. Dass ich jeder Kritik mit Skepsis begegne, sie aber als Bereicherung betrachte, solange sie konstruktiv sei und so weiter.

Sie nahmen mich. Als ein Freund den Brief aus Leipzig öffnete und vorlas, brach ich in Tränen der Glückseligkeit aus. Endlich nur noch das tun, was ich will: schreiben, schreiben, schreiben! Und mit Menschen zusammen sein, die auch nur noch schreiben, schreiben, schreiben, mich also verstehen.

Lektion 1: Es versteht dich keiner. Und das, obwohl ich mich auf fünf Seiten verständlich ausgedrückt hatte. Ich wusste, dass es Unsinn war, was ich mir von diesem Textgespräch erhoffte, doch ich konnte nicht abstellen, was ich insgeheim von der versammelten Kommilitonenschar erwartete: dass sie im ersten Moment allesamt schweigen würden, dass sie überwältigt wären von meiner Sprachgewalt, schockiert vom Inhalt und ansonsten einfach nur dankbar. Danke, liebe Autorin, dass du uns die Augen geöffnet, dass du die Missstände unserer Gesellschaft aufgedeckt und adäquat vorgelesen hast – sagte niemand, allein schon, weil es nicht üblich war, den eingereichten Text vorzulesen. Allesamt hatten sie sich zu Hause damit beschäftigt, vielleicht waren sie im stillen Kämmerlein schockiert gewesen und überwältigt, tröstete ich mich gerade, als jemand sagte: „Das Thema sexueller Missbrauch ist doch in der Literatur schon hundertmal durchgekaut worden.“ Das war die erste Runde, da durfte jeder seine persönlichen Eindrücke loswerden. „Jetzt gehen wir in den Text“, zügelte der Dozent, und alle strengten sich an, die Fragen „Was will der Text? Und kann der Text das erfüllen?“ gewissenhaft zu beantworten. Der Text will viel, und ja, er kann es erfüllen, war ungefähr die Quintessenz. Der Text bekam hier und da noch einige stilistische Anregungen mit auf den Weg. Der Text glänzte bald und feierte einen vollen Erfolg. Die Autorin allerdings schaute acht Wochen lang verhärmt und verhärtet drein, vielleicht wollte sie eine Art heilendes Gespräch, über Inhalte sprechen, vielleicht wollte sie die Welt retten, was grundsätzlich nicht möglich war.

Dann stieß sie auf Lektion 2: Du bist toll, aber... Das war mir bereits klar, bevor ich ans Institut kam. Mein leicht zu begeisternder Deutschlehrer hatte es mir beigebracht, so wie allerdings sämtliche DLL-Studenten es von ihren leicht zu begeisternden Deutschlehrern beigebracht bekommen hatten. Du bist toll, aber die anderen auch, kapierte ich. Anstatt beleidigt in den Teppich zu beißen, saß ich während der Seminarpausen gelackt und alert im Computerraum und googelte mich selbst. Mein vortragendes Pixelgesicht füllte fast lebensecht den Bildschirm aus. Jemand hatte mich bei meiner Lesung im Festsaal des Literaturinstituts fotografiert, so wie jeder bei seiner Lesung im Festsaal des Literaturinstituts fotografiert wurde. Ich sah auf dem Foto fast so gut aus wie Juli Zeh. Leider bemerkte das keiner. Sie waren zu sehr mit Literatur beschäftigt. Sie bereiteten sich auf das nächste Textgespräch vor, sie lasen wahlweise Wittgenstein, Mann, Joyce, Döblin und die „Einführung in die Erzähltheorie“.

Um mithalten zu können, machte ich es ihnen endlich nach und lernte, mich für anderer Leute Literatur zu begeistern, lernte, Dialoge zu schreiben (die ich vorher möglichst gemieden hatte), lernte, mit distanziertem Blick die eigene Arbeit zu beurteilen, und war das ganze manchmal leid. Wollte raus, wollte mich dem echten Leben stellen, landete in Köln.

„Offene Wunde“ hieß diese Veranstaltung, sie fand in einem lang gezogenen Raum statt, der bisher womöglich als Kegelbahn gedient hatte. Jeder, der wollte, durfte spontan sein Kölsch abstellen und den langen Weg zur Bühne riskieren, um seinen mitgebrachten Text vorzulesen. Es begeisterten zwei Autoren mit gut gelallter Literatur, dann kam ich und wurde über den Haufen gekegelt, als ich die Textstelle „aber ich bin jetzt lieber still“ erreichte. „Ja genau! Halt jetzt endlich deine Klappe!“, schrie jemand von ganz hinten, vorne hörte man mir zu, bildete ich mir ein und las trotz Lärm noch bis zum Ende.

Der Moderator bedankte sich für meinen Mut und schenkte mir zehn Biermarken, die ich gegen drei Snickers einlöste, welche ich in Scheiben schnitt und, zurück in Leipzig, gerecht und spendabel unter meine lieben Kommilitonen verteilte. Wir saßen bei gedämpftem Licht in intimer Runde und sangen ein schräg gestimmtes Klagelied über die dumme Leserschaft und das blöde Feuilleton. Und beschworen die guten alten Zeiten: damals, als man sich noch für uns interessierte, als man das Literaturinstitut Leipzig noch bejubelte, damals, als jeder mal das „Fräulein Wunder“ sein durfte. Und gingen dazu über, dieses und jenes Seminar zu verteufeln, und gingen dazu über, diesen und jenen Dozenten zu verspotten, und gingen dazu über, uns gegenseitig zu bespucken, und gingen dazu über, uns selbst zu besabbern, und gingen dazu über, nach Hause zu schwanken, wo die WG-Mitbewohner auf uns warteten.

Wobei die Mitbewohner der DLL-Studenten alle gleich sind. Sie belehrten mich mit Lektion 3: Du hast es viel zu gut. Die Mitbewohner konnten nicht fassen, dass in meiner Diplomarbeit weder Fußnoten noch Rechtschreibung eine Rolle spielten, dass ich 80 Seiten oder länger drauflosschreiben, dass ich kreativ sein durfte, wie ich wollte. Manche Kommilitonen hielten den gut gemeinten Luxus des Literaturinstituts nicht aus. Sie warfen sämtliche BAFöG-Gelder aus dem Fenster und stürzten sich in Einsamkeit. Es half ihnen, weil es ihnen die Illusion verschaffte, Kontrolle über ihre Kreativität zu haben. Ich verzichtete auf diesen Placebo-Effekt. Es genügte mir, zum Abgabetermin fertig sein zu müssen.

Das Diplom hängt jetzt in Berlin, eingerahmt über meinem Schreibtisch, sieht zu, wie ich allerhand Sachen mache, und wird höchstens abgenommen, wenn Hartz IV und ähnliche Menschen danach verlangen.

Letztens hat übrigens wieder ein Absolvententreffen stattgefunden. Ich ging mit naturbraunen Haaren hin, wir frühstückten unter freiem Himmel, Milch und Honig flossen in unsere Münder, wir unterhielten uns über diverse Kinofilme, Literaturagenturen und Nebenjobs. Jemand erinnerte daran, die zwölf Euro für das Treffen auf das Konto des Fördervereins zu überweisen. Den Förderverein hatte ich nie zu Gesicht bekommen, in meiner Fantasie trat er immer in Form von drei unheimlichen Personen auf, die schwarz gekleidet waren und dunkle Sonnenbrillen trugen, da schlich plötzlich ein schwarzer Kater unter den reichlich gedeckten Tisch und schmiegte sich an unsere Beine. Wir bemerkten und erkannten ihn quasi gleichzeitig, den Förderverein. Er räkelte und putzte sich. Wir streichelten sein Fell, wir kraulten seinen Bauch, wir gaben ihm zu fressen. Friss Förderverein! Friss meine Shorts!

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