01.03.2005

Die Versammlungsfreiheit ist von fundamentaler Bedeutung

Kommentar von Ingo Wolf

Mit der Ankündigung eines NPD-Aufmarsches zum 60. Jahrestag der Kapitulation des NS-Staates am 8. Mai in Berlin wurden Forderungen nach Gesetzesänderungen laut. Ingo Wolf wendet sich gegen die Verschärfung des Versammlungsrechts und die damit einhergehende Aushöhlung freiheitlich demokratischer Prinzipien.

Die Anhörung von Sachverständigen im Deutschen Bundestag hat bestätigt, dass der geplante NPD-Aufmarsch in Berlin schon nach geltendem Recht verboten werden kann und dass keine zwingenden Gründe für Änderungen des Versammlungsrechts bestehen, wie sie SPD, Grüne und Union vereinbart haben. Rot-Grün und CDU/CSU haben das Ergebnis dieser Anhörung offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Nur so sind die von ihnen beschlossenen Verschärfungen des Versammlungsrechts zu erklären, die einen Eingriff in ein Grundrecht darstellen. So wurden in einem parlamentarischen Schnellverfahren wesentliche Grundsätze der Versammlungsfreiheit über Bord geworfen. Da kein triftiger Grund für diesen Eingriff vorliegt, wäre es aus Sicht der FDP besser gewesen, die geltende Rechtslage beizubehalten. Schließlich ist die Versammlungsfreiheit in einer Demokratie von fundamentaler Bedeutung.

Es ist generell falsch, mit einer Einzelfallgesetzgebung auf aktuelle Situationen zu reagieren. Vielmehr ist das geltende Recht konsequent auszuschöpfen. Die FDP wird in ihrer Auffassung, dass das im Kern seit Jahrzehnten unverändert bestehende Versammlungsrecht den Behörden eine Vielzahl von Möglichkeiten bot, bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzugreifen, vom Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Eckart Hein unterstützt. Es kommt lediglich auf die engagierte Anwendung des Rechts an. Eine Versammlung kann aber nicht allein deshalb verboten werden, weil radikale Äußerungen erwartet werden. Die FDP erteilt wie das Bundesverfassungsgericht einem „Gesinnungsversammlungsrecht“ eine klare Absage. Ein Sonderversammlungsrecht für bestimmte Gruppen darf es nicht geben. Hier werden die Grundsätze des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit berührt. Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind die höchsten Güter einer liberalen Demokratie. Verschärfungen können jedermann treffen. Das Versammlungsrecht gilt auch für Minderheiten und auch dann, wenn deren Meinung auf Ablehnung bei der weit überwiegenden Mehrheit stößt. Eine gefestigte und pluralistische Demokratie muss solche Meinungsäußerungen aushalten.

"Eine Versammlung kann nicht allein deshalb verboten werden, weil radikale Äußerungen erwartet werden."

Dass es einer Verschärfung für Verbote im Rahmen des Versammlungsrechts nicht bedarf, zeigt zudem die Rechtssprechung der vergangenen Jahre. Das Bundesverfassungsgericht hat Rechtsextremisten in der Vergangenheit wiederholt in die Schranken gewiesen. Das alte Recht hätte ebenfalls ausgereicht, um einen Aufmarsch der NPD am Brandenburger Tor oder am Holocaust-Mahnmal zu verbieten. Die Verschärfungen des Versammlungsrechts führen uns nun jedoch in eine politische und verfassungsrechtliche Sackgasse. Nach Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass Art. 8 GG den Bürgerinnen und Bürgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung gewährleistet. Damit kommt der Möglichkeit, durch die Wahl des Versammlungsortes die Wirksamkeit eines Versammlungsgeschehens zu steigern, grundrechtliche Bedeutung zu.

Durch die gesetzlichen Veränderungen von CDU/CSU und Rot-Grün wird die Wahl eines Versammlungsortes weiter eingeschränkt. So gibt es künftig schutzwürdige Orte, die als Versammlungsorte tabu sein sollen. Das Gesetz benennt diese schutzwürdigen Orte aber nicht konkret. Dies soll durch eine Rechtsverordnung geregelt werden. Im Hinblick auf den Grundrechtsschutz, den die Auswahl des Versammlungsortes genießt, ist die vorgesehene Regelung durch Rechtsverordnung sehr bedenklich. Jede Einschränkung des Versammlungsrechts muss sich an Art. 8 GG messen lassen. Einzelne Bestimmungen des Versammlungsrechts werden schon heute als verfassungsrechtlich problematisch eingestuft. Dies gilt umso mehr für Einschränkungen, die nur aufgrund von Rechtsverordnungen erfolgen.

Verschärfungen des Versammlungsrechts eignen sich nicht als Kompensation für das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren. Wann endlich werden Rot-Grün und die Unionsparteien begreifen, dass Demokraten in Deutschland die NPD politisch bekämpfen müssen? Der von der Regierung eingeschlagene Weg suggeriert Handeln eines starken Staates, ist aber bei Lichte besehen ein unüberlegtes Gesetzesmanöver. Hierzu besteht überdies kein Anlass, weil eine Versammlung nicht nur dann verboten oder von Auflagen abhängig gemacht werden kann, wenn die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist. Zumindest für Auflagen reicht auch eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung aus – also jener Regeln, deren Befolgung nach herrschender Anschauung für ein geordnetes menschliches Zusammenleben unverzichtbar ist. Auflagen reichen weniger weit als Verbote, aber sie erlauben es dennoch, extremistische Auswüchse zurückzudrängen. Das gilt namentlich für das Erscheinungsbild der Demonstration: Uniformähnliche oder mit Abzeichen versehene Kleidung kann ebenso verboten werden wie das Tragen von Springerstiefeln oder Bomberjacken und das Schlagen von Trommeln, das Skandieren von Parolen oder das Absingen einschlägiger Lieder. Durch Auflagen kann ferner der Zeitpunkt einer Demonstration verschoben oder ein anderer als der grundsätzlich frei zu wählende Ort bestimmt werden. Über solche Auflagen lassen sich also auch Demonstrationen der NPD in einer Weise einschränken, dass der Rechtsstaat nicht gefährdet wird.

Das mit heißer Nadel gestrickte und verschärfte Versammlungsrecht läuft jetzt Gefahr, vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verworfen zu werden. Es bietet damit beste Voraussetzungen für einen erneuten Triumph der NPD in Karlsruhe. Davon, wie von der Einschränkung demokratischer Freiheitsrechte, kann unser Gemeinwohl nur Schaden tragen.

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