01.11.2004

Die Prinzessin des Privaten

Kommentar

Caroline von Monaco ging beim Europäischen Gerichtshof Zensur einkaufen und bekam, was sie suchte.

Seit einiger Zeit kehrt Prinzessin Caroline in Gerichtshöfen in ganz Europa ein und aus, um Fotografien ihrer Einkaufsgänge zu verbieten. Im Jahre 1999 wurde sie beim Bundesverfassungsgericht vorstellig und beantragte eine entsprechende Verfügung. Doch das Gericht entschied, dass sie die in der Öffentlichkeit von ihr gemachten Fotos zu tolerieren habe. In diesem Jahr schlug sich der Europäische Gerichtshof in Straßburg jedoch auf Carolines Seite. Niemand kann die Prinzessin nun ohne deren Zustimmung auf der Straße fotografieren – und das gilt für sämtliche Straßen in allen Ländern Europas, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben. Das Straßburger Urteil schafft einen Präzedenzfall, den jeder andere künftige Beschwerdeführer in Namen der „Privatsphäre“ für seine Zwecke nutzen kann.


Wir mögen die kapriziösen Forderungen verwöhnter Prinzessinnen belächeln, obgleich es durchaus verständlich ist, dass jemand über seine eigene Publizität selbst entscheiden möchte, dem sich eine Horde von Kameraleuten ständig an die Fersen heften, um wenig schmeichelhafte Fotos aufzunehmen. Im September 2004 drohte die Schauspielerin Gwyneth Paltrow Fotografen mit gerichtlichen Schritten, nachdem sie ihnen vorgeworfen hatte, die Sicherheit ihres Kindes durch riskante Fahrmanöver bedroht zu haben. So sehr Prominente sich an ständige Veröffentlichungen über die eigene Person gewöhnt haben mögen: Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass sie gelegentlich gerne auch unbeobachtet wären.


Gefährliches Fahrverhalten ist ohnehin gesetzlich verboten. Aber seit der Straßburger Entscheidung im Fall Caroline haben die Gerichte nun weit reichende Befugnis, Fotos, die Menschen auf öffentlichen Straßen abbilden, zu verbieten. Die Veröffentlichung von Bildern, die sich einer Erfindung verdanken, die wir seit mehr als 150 Jahren im Freien und insbesondere an öffentlichen Plätzen gerne nutzen, ist nun strenger staatlicher Aufsicht unterworfen. Hier geht es also nicht bloß um das Wohlbefinden einer Prinzessin, sondern um eine antidemokratische Maßnahme.


Die Befürworter des Gerichtsurteils behaupten zwar, es stärke die Demokratie, denn indem die Ausdrucksfreiheit unter Berufung auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention beschnitten werde, ziehe wieder ein wenig „Kultur“ in die Medienlandschaft ein. Zudem werde das Recht auf die Privatsphäre gefestigt. Entsprechend hob auch Prinzessin Caroline hervor, ihre Fotos seien nicht von „öffentlichem Interesse“ und befriedigten bloß niedrige voyeuristische Bedürfnisse und Profitgier.
 

„Die Methoden der Paparazzi, die sich ständig über die Schultern fremder Leute beugen, sind ohne Zweifel aufdringlich und geschmacklos.“



Stimmt das? Viele Leute meinen, es sei durchaus eine Bereicherung des öffentlichen Lebens, wenn jemand ein Publikum zum Lachen bringt. Was die Prinzessin „Voyeurismus“ nennt, können andere als charakterliche Prüfung einer Figur des öffentlichen Lebens auffassen. Und wenn mit solchen Bildern auch große Profite zu machen sind – wieso sollte eine reiche Erbin bestimmen dürfen, wie andere ihr Geld verdienen?


Das einzig fundierte Argument der Prinzessin lautet, dass es nicht im öffentlichen Interesse sein könne, wenn unsere Kultur mit Fotografien und Geschichten aus dem Privatleben prominenter Personen der Zeitgeschichte überschüttet werde. Dem stimme ich zwar zu, doch das Problem sind nicht die aktuellen Fotografien von Menschen, die an öffentlichen Orten ihrem täglichen Leben nachgehen. Es gibt eine alte künstlerische Tradition, „Schnappschüsse“ von Menschen in alltäglichen Situationen aufzunehmen und diese dann öffentlich vorzustellen. Die Methoden der Paparazzi, die sich ständig über die Schultern fremder Leute beugen, sind ohne Zweifel aufdringlich und geschmacklos. Was Prinzessin Caroline & Co. in ihrem Privatleben anstellen, mag für die öffentliche Debatte belanglos sein. Doch es obliegt nicht den Gerichten, der Gesellschaft diese Sichtweise aufzuerlegen.
 

„Doch warum sollen Gerichte darüber befinden, was von öffentlichem Interesse für unsere Gesellschaft ist?“



Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gründet seine Entscheidung ebenfalls auf kulturelle Argumente. Es komme entscheidend darauf an, ob die Veröffentlichung der Bilder zu einer Debatte beitrage, die von allgemeinem Interesse ist. Das Gericht kam zu dem Schluss, die Fotografien der Prinzessin bei ihren privaten Verrichtungen in einer öffentlich zugänglichen Straße seien kein solcher die öffentliche Debatte bereichernder Beitrag, und das, obwohl Caroline eine Berühmtheit ist.


Doch warum sollen Gerichte darüber befinden, was von öffentlichem Interesse für unsere Gesellschaft ist? Als das Supermodel Naomi Campbell in Großbritannien eine Klage gegen die Veröffentlichung von Bildern anstrengte, die sie beim Verlassen einer Drogenentziehungsanstalt zeigen, gelangten Richter verschiedener Ebenen des Gerichtssystems zu widersprüchlichen Auffassungen. Warum? Weil verschiedene Menschen unterschiedliche Auffassungen darüber haben, was von allgemeinem Interesse sein kann. Die Gesellschaft als ganzes kann sehr wohl klarstellen, was sie als Angelegenheit allgemeinen Interesses ansehen möchte. Doch solche kontroversen Fragen kultureller Normen können nur im öffentlichen Raum debattiert und entschieden werden – nicht durch eine Handvoll Richter.


Anders als Worte setzen Fotografien ein Element der Überwachung und Beobachtung voraus. Die Abbildung erinnert uns, dass jemand in der Nähe sein musste, der das Foto schoss. Für den bildlich Festgehaltenen kann die Erfahrung, sein Foto am nächsten Tag groß abgebildet zu sehen, verstörend oder befriedigend wirken. Das hängt von den eigenen Gefühlen und Präferenzen ab.


Die Freiheit des Ausdrucks im öffentlichen Raum wird zurzeit unter Berufung auf den Schutz der Privatsphäre zunehmend beschnitten. Hier wird die juristische Erörterung über die Frage der Ausdrucksfreiheit mit dem subjektiven Empfinden derjenigen vermengt, die sich durch Öffentlichkeit auf einmal belästigt fühlen. Damit wird eine wichtige Rechtsnorm dem persönlichen Empfinden bestimmter Personengruppen untergeordnet, denen diese Freiheit unangenehm erscheint. Das ist bedeutsam, nicht weil wir alle großen Wert auf voyeuristische Fotos legen, sondern weil es das Recht zur Dienstmagd partikularer Interessen degradiert. Was im „öffentlichen Interesse“ ist, kann kein Gericht abschließend bestimmen. Das Fotografieren in öffentlichen Räumen sollte in einer Demokratie gestattet sein. Es zu regulieren, raubt uns die Freiheit und Spontaneität, von der die Kunst der Fotografie lebt.

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