01.05.2005

„Die Hysterie europäischer Meinungsbildner gegen die Grüne Gentechnik ist auf die Entwicklungsländer

Interview mit Ingo Potrykus

Ingo Potrykus im Gespräch über neue Fortschritte bei der potenziellen Bekämpfung von Ernährungsdefiziten in Asien und das anhaltende Störfeuer aus Europa.

Novo: Am Ostersonntag verkündete Nature Biotechnology bahnbrechende Neuigkeiten zum Thema „Goldener Reis“, den Sie erfunden haben. Um was geht es?

Ingo Potrykus: Ein Forscherteam des Agro-Unternehmens Syngenta schildert in einem Fachartikel Verbesserungen des Goldenen Reises. Den Wissenschaftlern ist gelungen, die Körnerfrucht mit einem etwa 23fach erhöhten Gehalt an Provitamin A im Verhältnis zur ersten GR-Sorte, die wir entwickelt haben, auszustatten. Der Verzehr von ungefähr 70 Gramm dieser neuen Sorte pro Tag könnte genügen, um den Tagesbedarf an Vitamin A zu decken. Voraussetzung ist natürlich, dass sie irgendwann zugelassen wird.

Wie steht es mit der Markteinführung?

An der Sortenentwicklung, also der Übertragung der Technologie in regional bevorzugte Reissorten, arbeiten Wissenschaftler in mehreren asiatischen Ländern: in Indien, China, Vietnam, Indonesien, Bangladesh und auf den Philippinen. Die Forschung ist weit gediehen, die Sortenentwicklung dürfte noch etwa drei Jahre beanspruchen. Aber es tun sich immer wieder gewaltige Hürden bei der Deregulierung auf.

Was ist darunter zu verstehen?


Der Goldene Reis zählt zu den gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Um diese in Verkehr zu bringen, also sie in der Praxis anzuwenden, müssen sie in jedem Land harte Zulassungskriterien erfüllen. Nationale Biosicherheitskommissionen wachen darüber. So sind etwa die Anforderungen an den Goldenen Reis dermaßen hoch, dass wir beispielsweise in Indien und auf den Philippinen seit zwei Jahren auf Genehmigungen für Freilandversuche warten, obwohl kein Ökologe ein ökologisches Risiko beschreiben kann, welches gegen ein sofortiges Testen im Feld spräche. Die Parameter für die Begleitforschung sind unklar. Zudem sollen alle erdenklichen Risiken eingedämmt werden – ganz egal, wie realistisch sie sind. Das führt nicht zuletzt zu einer Kostenexplosion, schon bevor an eine Anwendung gedacht werden kann. Die Kosten für die Deregulierung werden von der Industrie mit 10-20 Millionen Euro pro Fall angegeben.
 

Der Goldene Reis Der „Goldene Reis“ wurde mit Hilfe der Gentechnik entwickelt. Er soll dank aufwändiger Modifikationen seines Erbguts dabei helfen, dem akuten Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsländern, genannt VAD (»Vitamin A Deficiency«), Paroli zu bieten. Die Ausmaße und Folgen dieses „versteckten Hungers“ sind dramatisch: Etwa ein Zehntel der 2,2 Milliarden Menschen, für die Reis die wichtigste Nahrungsquelle ist, leidet an Vitamin-A-Mangelerscheinungen. Jedes Jahr erblinden deshalb etwa eine halbe Million Kinder, eine weitere Million muss sterben, weil ihr Immunsystem unter anderem wegen des Vitamindefizits geschwächt ist und Krankheitserreger ein leichtes Spiel haben. Jahrzehntelang bemühten sich Wissenschaftler vergeblich darum, mit traditionellen Züchtungsmethoden kommerziell nutzbare Hochleistungssorten Reis mit erhöhtem Vitamin-A-Gehalt herzustellen. Begleitend dazu liefen aufwändige Programme, um den Vitaminbedarf von Kindern durch die Vergabe von Pillen zu decken. Diese Bemühungen stießen angesichts der fehlenden Infrastruktur in den meisten der entsprechenden Länder rasch an Grenzen. Mit der Präsentation des Goldenen Reis gelang zum Millenniumswechsel der Eintritt in eine neue Ära: Es gibt seither eine realistische Option, den weltweiten Vitamin-A-Mangel effektiv zu bekämpfen. Den beiden deutschen Forschern Ingo Potrykus und Peter Beyer war es nach jahrelanger Arbeit gelungen, in Reis mehrere Gene einzuschleusen: zwei davon stammen aus Osterglocken, das dritte aus einem Mikrobakterium der Familie Erwinia. Dank dieser Transfers erfolgte in den Pflanzen ein hochkomplexer biochemischer Umwandlungsprozess, durch den Beta-Carotin erzeugt wird. Der neue Reis weist einen hohen Gehalt dieses Provitamins auf, welches nach dem Verzehr im menschlichen Körper in Vitamin A umgewandelt wird. Der neue Reissamen strahlt gelb wie die genspendenden Osterglocken. Deshalb wurde er „Goldener Reis“ getauft. 1992 hatte das Forscherteam seine Arbeit mit einem Minibudget von rund 100.000 US-Dollar aufgenommen, das später mit Unterstützung der Rockefeller-Stiftung in Washington sowie Schweizer und EU-Behörden auf etwa 2,6 Millionen US-Dollar aufgestockt wurde. Ostern 1999 konnten nach intensiver Laborarbeit die ersten „Goldenen Reiskörner“ geerntet werden. Da das Nährgewebe von Reis keinerlei Provitamin A enthält, musste der neue, hierfür verantwortliche gesamte biochemische Pfad aus anderen Pflanzen implantiert werden. Auch die Erhöhung des Eisengehalts war äußerst kompliziert. Im Anschluss überzeugten Potrykus und Beyer sämtliche Firmen, auf deren Erfindungen sie bei ihrer Arbeit zurückgegriffen hatten, davon, Patentfreigaben für die entscheidenden biotechnischen Verfahren bei der Herstellung des „Goldenen Reises“ zu erteilen. Ihnen gelang damit ein weiterer, in der Wissenschafts- und Industriegeschichte bisher einmaliger Coup. Die Unternehmen erklärten sich allesamt bereit, auf die eigentlich fälligen Lizenzgebühren zu verzichten, wenn ein lokaler Landwirt oder Händler in einem Entwicklungsland aus dem Verkauf des „Goldenen Reises“ nicht mehr als 10.000 US-Dollar im Jahr einnimmt.

 

Werden alle humanitären Projekte von den Ergebnissen der Syngenta-Forschung profitieren?


Auch diese Neuentwicklung ist dem „Humanitarian Golden Rice Board“ für die Verbesserung der Vitamin-A-Mangelsituation in Entwicklungsländern kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Diese Praxis hat Tradition. Ich habe mich von Anfang an erfolgreich dafür eingesetzt, dass Entwicklungsländer die Technologie ohne Lizenzgebühren nutzen können. Die beschriebenen Deregulierungsauflagen werden jetzt aber zu einem kaum überwindbaren Hindernis. Durch die Entwicklungskosten ist die Umsetzung der öffentlichen Forschung schon weitgehend vereitelt worden. Eines meiner wichtigsten Anliegen ist daher, diese Zulassungsverfahren auf den Boden der Realität zurückzuholen und eine sachliche Diskussion über Chancen und Risiken zu führen. Gelingt dies nicht, kann sich die Markteinführung noch weiter verzögern, und Entwicklungsländer werden weiter an Boden verlieren.

Anfangs gab es in Asien euphorische Stimmen für den Goldenen Reis. Hat sich die Stimmung gewandelt?

Euphorie und große Hoffnungen sind immer noch verbreitet. Das ist kein Wunder: Laut WHO sterben jährlich etwa eine Millionen Menschen an Vitamin-A-Mangel, und eine halbe Million erblindet – Kinder sind am häufigsten betroffen. Allerdings habe ich in den letzten Jahren miterleben müssen, wie die Hysterie europäischer Meinungsbildner gegen den Goldenen Reis zusehends auf Entwicklungsländer übergeschwappt ist. Einflussreiche europäische Stimmen gegen die Grüne Gentechnik haben das Meinungsbild auch unter den asiatischen Entscheidungsträgern dramatisch verändert. Die deutsche Verbraucherschutzministerin Renate Künast ist leider keine Einzeltäterin beim Export irrationaler Angstmacherei.

Warum wird Ihre Erfindung von Gegnern der Grünen Gentechnik diffamiert?


Hierzulande mag diese Politik in bestimmten Wählerkreisen gut ankommen, in Asien hingegen geht es um Leben und Tod. Das sage ich ganz unpathetisch als einfache Beschreibung der Lebenswirklichkeit in Entwicklungsländern. Organisationen wie Greenpeace, die den Protest gegen den Goldenen Reis professionell betreiben, üben sich dennoch seit einiger Zeit in prophylaktischen Störfeuern. Sie versuchen damit auch den anhaltenden wissenschaftlichen Fortschritt zu diskreditieren. Pünktlich zu den Veröffentlichungen in Nature Biotechnology meldete Greenpeace zum x-ten Mal, der Goldene Reis halte nicht, was er verspreche. Die Argumente, die bei solchen Kampagnen angeführt werden, halte ich allerdings, gelinde gesagt, für inhuman, konstruiert und perfide. Einigen Organisationen geht es offenbar nur darum, Aufmerksamkeit zum Zwecke des Spendensammelns zu erheischen. Aber die Zeiten scheinen sich zu ändern. Jedenfalls sind die Medien wachsamer geworden, und die aktuelle Greenpeace-Kampagne ist wenig beachtet worden.
 

Ein Kritikpunkt lautet, dass Sie im Zusammenhang mit dem Goldenen Reis bislang immer pauschal von Carotinoiden gesprochen haben, ohne zu klären, ob Sie damit Beta-Carotin meinen, aus dem im Stoffwechsel Vitamin A entsteht.

Das meine ich, wenn ich von konstruierten Argumenten rede: Es ist vollkommen üblich, von Carotinoiden zu sprechen. Alle Carotinoide haben eine Provitamin-A-Wirkung. Beta-Carotin hat die beste Wirkung und wird deshalb als das Provitamin A bezeichnet. Übrigens enthalten die Carotinoide des neuen Goldenen Reises von Syngenta zu 85 Prozent das wichtige Beta-Carotin.
 

Moniert wird jetzt auch, dass der menschliche Stoffwechsel Fett benötige, um Provitamin A aufnehmen zu können. Daran mangele es in Entwicklungsländern, weshalb der Goldene Reis seine Wirkung gar nicht entfalten könne.


Wenn dem so wäre, frage ich mich, warum Greenpeace vorschlägt, stattdessen auf Karotten, Mango oder anderes Gemüse zurückzugreifen, um das Vitamin-A-Defizit zu lindern. Diese Nahrungsmittel steuern ebenso wenig Fett zur Verdauung bei. Aber auch dieses Argument scheint mir nur vorgeschoben. Wie ich vom „Vitamin-A-Papst“, Professor Alfred Sommer von der John Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, erfahren habe, gibt es Untersuchungen, die diesen vermuteten Zusammenhang zwischen Fett und Vitamin-A-Aufnahme deutlich relativieren. Reis enthält je 100 Gramm etwa 700 Milligramm Fett. Wahrscheinlich ist das Provitamin A darin gebunden, und vermutlich genügt dies auch für die Aufnahme. An dieser Frage wird zwar noch geforscht, aber fest steht, dass Menschen in Asien heute schon einen substantiellen Anteil ihres Fettreservoirs aus herkömmlichem Reis beziehen – in Bangladesh zu 17,8 Prozent, in Laos sogar zu 25,5.
 

Im letzten Jahr sind Sie auch mit Verbraucherschutzministerin Künast in Konflikt geraten. Worum ging es dabei?

In einer Rede vor dem deutschen Bundestag stellte Künast das Potenzial des Goldenen Reises und damit meine Grundlagenforschung in Frage. Allerdings offenbarte ihr Vortrag, dass sie gar nicht wußte, worum es geht. So assoziierten ihre Äußerungen vor dem Parlament, es handele sich beim Goldenen Reis um eine Pflanze mit einer gentechnisch erzeugten Insekten- oder Herbizidresistenz. Ich habe mich sofort darum bemüht, eine Klärung herbeizuführen. Ich mußte aber erfahren, dass daran gar kein wirkliches Interesse bestand. So wurde ich zwar im Oktober 2004 auf mein Schreiben hin auf ein Symposium der Bundestagsfraktion der Grünen nach Berlin eingeladen. Thema war die Verbesserung der globalen Ernährungslage. Dabei ging es jedoch nur darum, das grüne Weltbild zu bestätigen. Das kritisierten auch SPD-Politiker, die anwesend waren. Als ich meinen Vortrag hielt, war Künast längst abgereist und das Interesse an dem, was ich zu sagen hatte, hielt sich auch in der übrigen Grünen-Fraktion spürbar in Grenzen.
 

Vielen Dank für das Gespräch.

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