01.11.2006

Die deformierte Gesellschaft

Essay von Hanna Thiele

Hanna Thiele über den Aufstieg der Umweltbürokraten.

„Denn wer soll über die Menschen herrschen,
wenn nicht die,
die über ihr Gewissen herrschen
und in deren Hand ihre Brote sind.“ [1]



Dies lässt der russische Literat Fjodor Dostojewski den spanischen Großinquisitor zu Jesus sagen, der noch einmal in Menschengestalt erschienen war, um das eingefahrene Zusammenspiel der Herrschenden und ihrer Profiteure den christlichen Vorstellungen von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit gegenüberzustellen.

In diesem Sinne kann immer wieder aufs Neue gefragt werden, wer über das Gewissen der Menschen herrscht. Heute erscheint diese Frage angesichts allerlei Verdrossen- und Unsicherheiten so aktuell wie lange nicht mehr. In den letzten Jahrzehnten ist reichlich „herrschaftsfreier“ Raum entstanden, weil sich alte Wertvorstellungen, die früher durch Tradition, Bildung, Familie oder Kirche vermittelt wurden, im Zuge der großen weltpolitischen Umwälzungen verflüchtigt haben.

Dieses Vakuum haben zum Teil neue Wertegeber besetzt – selbst ernannte Weltverbesserer, die ihr eigenes Raster für Gut und Böse entwickelt haben und ein ganz eigenes Bild von „Schöpfung“ und „Schöpfungsfeinden“ teilen. Eine Grundlage ihres Weltbildes bildet die von Dennis L. Meadows 1972 im Auftrag des „Club of Rome“ herausgegebene Studie zur Weltwirtschaft mit dem Titel Die Grenzen des Wachstums. In seinem Sinne sind sie angetreten, die Gesellschaft umzugestalten. Im tieferen Sinne zielen sie auf eine Weltherrschaft der Bürokraten ab.
Federführend dieses Projekt mit angestoßen hat der mittlerweile verstorbene Staatssekretär Günter Hartkopf, FDP-Mitglied seit 1957. Er agierte als beamteter Staatssekretär im Bundesinnenministerium unter den Ministern Hans-Dietrich Genscher (FDP), Werner Maihofer (FDP), Gerhart Baum (FDP), Jürgen Schmude (SPD) sowie wenige Monate unter Friedrich Zimmermann (CSU). Anfangs war Umweltschutz für Hartkopf ein Nebenthema. Seine Aufgabe bestand darin, die Maschinerie der Bonner Umweltgesetzgebung zu „ölen“. Doch Hartkopf entwickelte daraus bald die Passion, den Umweltschutz zum allgemeingültigen und allgegenwärtigen Lenkungsapparat auszubauen.

Im Jahre 1969 wurde Hartkopf die Leitung der neu geschaffenen umweltpolitischen Abteilung im Bundesinnenministerium übertragen. Sein Name wurde in der Industrie zum Synonym für außerordentlich lästige behördliche Aktivitäten. Hartkopfs Vorstellung war es, den wissenschaftlichen Sachverstand auf zweierlei Weise für die Entscheidungsträger zu erschließen: In einer neuen „Bundesanstalt für Immissionsschutz“ sollten einerseits Naturwissenschaftler neue Expertisen entwickeln. Andererseits sollte ein „Bundesamt für Umweltschutz“ den Forschern administrativ zuarbeiten. 1974 wurden diese Vorstellungen mit der Gründung des Umweltbundesamtes zusammengeführt. Hartkopf zielte auf eine „ökologische Wende“ ab: Die Wirtschaft sollte an die Kette gelegt und das Volk umerzogen werden. Wachstum und Wohlstand wurden Grenzen gesetzt und die Brotkörbe höher gehängt. Die Bürger wurden angehalten, die Gürtel enger zu schnallen.

Doch wie sollte eine solche Spardoktrin vom „Weniger ist mehr“ im „Wirtschaftswunderland“ und zumal in einer Demokratie, deren Politik sich am Willen der Mehrheit orientiert, bewerkstelligt werden? Hartkopf hatte dafür sein eigenes Rezept: „Wenn die politischen Entscheidungen nicht auf dein Problem passen, ändere einfach das Problem“, erklärte er. [2] Der fleißige Staatssekretär wollte sich nicht auf Problemlösungen beschränken. Sein Ziel war die Etablierung eines ganz neuen „Problembewusstseins“ der Bevölkerung als Regulativ für alle Politikfelder. Hieran machte er sich mit großem Eifer. Das neue Bewusstsein sollte schleichend in die leergefegten Werteräume der Menschen vordringen und Umweltschutz als Primärrecht zum Maßstab jeglichen menschlichen Handelns deklarieren.

Hartkopf befand sich bereits im Ruhestand, als er anlässlich eines Beamtenkongresses in Bad Kissingen am 8. Januar 1986 der bundesweiten Beamtenschar darlegte, auf welchem Wege ihm sein Anliegen geglückt war. In seinem Vortrag mit dem Titel „Umweltverwaltung – eine organisatorische Herausforderung“ offenbarten bereits die ersten Sätze, um was es ihm ging:
„Bedeutung und Verantwortung der öffentlichen Verwaltung in Staat und Gesellschaft wachsen ständig. An dieser Feststellung ändert weder unwillige Kritik noch eine Verknappung von finanziellen und personellen Mitteln etwas. Eine der unvermeidlichen Wachstumsbranchen innerhalb des öffentlichen Dienstes stellt erwiesenermaßen der Verwaltungszweig dar, welcher sich mit der Erhaltung oder Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen befasst. Dieser Verwaltungsteil wird gerne als ‚Umweltverwaltung’ bezeichnet, obgleich sich die Umwelt als solche ganz sicher nicht verwalten lässt. Ja, es ist nicht einmal wünschenswert, die Umwelt zu verwalten, weil sie ihre von keinem Menschen veränderbare Eigengesetzlichkeit besitzt, die es positiv zu unterstützen gilt. Wer also von Umweltverwaltung redet, der weiß, dass er etwas ganz anderes sagt, als er meint.“ [3]

Hartkopf schilderte im Anschluss seine Methoden der Einflussnahme auf Gesellschaft und Politik: Angefangen hatte alles mit einer Schar hoher Beamter, die in See stachen, um, wie Pilgerväter, den Kontinent Umweltschutz zu erobern, der zu dieser Zeit noch keine Lobby hatte. Also schufen sich die Beamten kurzerhand selbst ein Mandat. Sie legten den Grundstein dafür mit der Ausrufung der „Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen“ und füllten diese fortan mit Leben (und reichlich Mitteln). Die Arbeitsgemeinschaft wurde gegründet, um außerhalb von Verwaltung und Parlament Forderungen für mehr Umweltschutz zu erheben und in Politik und Medien Gehör zu finden.
Die neue Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen war emsig, aber noch lange kein umweltpolitischer Kampfverband. Da sich ein Mangel an öffentlichkeitswirksamen Aktionen zeigte, machten sich Beamte daran, Abhilfe zu schaffen. Sie engagierten sich dafür, die zahlreichen örtlichen Bürgerinitiativen zu einem Dachverband (BBU) zusammenzuschließen. Sie organisierten und finanzierten die Gründungsversammlung und einiges mehr. Die zum Teil selbst geschaffenen und nun schlagkräftiger vernetzten Bürgerinitiativen (BIs) wurden zu stattlichen Wadenbeißern aufgepäppelt, die der Umweltverwaltung mehr Raum zum Agieren verschafften.
Für die Einflussnahme auf das öffentliche Meinungsbild sollten diese BI-Netzwerke schon bald eine ganz zentrale Rolle übernehmen. Sie stellten sicher, dass die Medien ausgiebig über jeden kleinen Vorfall, jede Störung berichteten – nach dem Motto: Jeder „Umweltskandal“ unterstützt das Gewicht der Umweltverwaltung. Um Hintergrundinformationen anfragende Journalisten wurden in aller Regel von dieser direkt bedient. So wurde der Umweltschutz langsam zu einem Thema, dem auch die Medien immer größere Aufmerksamkeit widmeten. Das ständig wachsende „Problembewusstsein“ der Bürger konnte nun auch immer leichter abgerufen und somit Einfluss auf politische Entscheidungen ausgeübt werden. So gelang es, einige Gesetzesinitiativen kurzerhand „wegzuadministrieren“. Die Versuche einiger Länderregierungen, bspw. das Abwasserabgabengesetz abzuschwächen, scheiterten an der wachsenden Macht des Ökobeamtentums. Auch die Fachpresse wurde ihr zu einer tragenden Säule. Die Verfasser von Fachtexten waren nicht selten direkt in der Umweltbürokratie angesiedelt oder hingen an ihrem Tropf, sodass Hartkopf in seiner Rede von Januar 1986 stolz resümieren konnte: „Die Fülle der substanziellen Fachartikel ist so groß, dass die Wirtschaft weder von der Menge noch von der Qualität her mithalten kann.“ [4]

Einen immer lebendigeren Austausch entwickelten die Bürokraten auch mit dem Justizapparat. Eine Vielzahl juristischer Gutachten und Stellungnahmen (technischen oder ordnungspolitischen Inhalts) entpuppte sich als eine Fundgrube für die mit bürokratischer Sorgfalt ihren Einflussbereich ausweitenden Umweltverwalter. Dies galt noch stärker für die Rechtsprechung, auf deren Verständnis für ökologische Zusammenhänge man angewiesen war. Auch bei umstrittenen umweltpolitischen Gesetzesvorhaben, die über Gerichtsentscheide auszuloten waren, konnte Hartkopf sich schon bald wegen seiner einseitigen Vergabe von Forschungsvorhaben an „dienende Forscher“ auf seine Mitstreiter in Justiz und Rechtsprechung verlassen.
Hartkopf verstand es wie kein anderer, die Umweltverbände und BIs vor seinen Karren zu spannen. Als Präsidiumsmitglied des Deutschen Naturschutzrings (also des Dachverbandes von rund 100 Umweltverbänden mit etwa 3 Mio. Mitgliedern) kannte er die Auffassung der Verbände und ihre organisatorischen wie inhaltlichen Ziele, an deren Formulierung er selbst maßgeblich beteiligt war.
Beharrlich wurde von dieser Position aus auch der Einfluss auf die Forschungslandschaft in Deutschland ausgeweitet: Die Umweltverwaltung gab immer unmittelbarer die „wichtigen“ Themen vor und übernahm die Auswahl der Wissenschaftler, die mit ihrer Erforschung betraut werden sollten. Forschungsaufträge mit der richtigen Thematik an die richtige Institution vergeben zu können, war natürlich extrem hilfreich. Sie beflügelten bspw. die von Hartkopf beschriebene Verwaltungsregel, dass dann, „wenn es einen Weg geben soll, eine wichtige Entscheidung zu verzögern, eine gute Verwaltung diesen Weg mit Sicherheit findet“. [5] Hielt Hartkopf die Ergebnisse der Forschung für nicht „verwaltungsnützlich“, wurden sie unter Verschluss gehalten. Umgekehrt gab es Pressekonferenzen und Medienrummel, wenn im Sinne des Erfinders geforscht worden war.


Am 3. Juni 1975 fand schließlich auf Schloss Gymnich eine Umweltkonferenz mit Vertretern der Wirtschaft statt. Thematisch ging es um die ökonomischen und finanziellen Auswirkungen der immer weiter ausufernden Umweltschutzmaßnahmen, die zu einem Investitionsstau geführt hatten. Diese Konferenz war von dem Geist des „Jetzt reicht’s“ geprägt. [6]  Als die Beamten dies erkannten, änderten sie kurzerhand den Teilnehmerkreis, sodass am Ende den Firmenbossen eine beachtliche Umweltstreitmacht gegenüberstand. Die Verfechter des Umweltschutzes waren von der Verwaltung im Vorfeld mit „schlagkräftigen“ Argumenten versorgt worden. Sie skizzierten vermeintlich drängende Missstände und präsentierten im nächsten Atemzug auch sogleich die Lösungsmöglichkeiten. Die Wirtschaftsbosse liefen ins offene Messer. Sie waren unvorbereitet, wirkten hilflos und verließen geschlagen den Schauplatz. Hartkopf konnte triumphieren:

„Der argumentative Sieg der Verwaltung über die Wirtschaft und die ihr nahe stehenden Politiker war gegen Abend dieses denkwürdigen Tages eindeutig. Die Wirtschaft hat nie mehr versucht, ein zweites Gymnicher Gespräch zu verlangen. Sie hat in Gymnich und bei vielen Einzelaktionen die Erfahrung machen müssen, dass sie der Verwaltung unterlegen ist.“ [7]

Nach Gymnich gedieh die Umweltbürokratie umso prächtiger. Voller Stolz verwies Hartkopf in seiner 1986er-Rede auf die zahlreichen potenten und mitgliedsstarken Umweltverbände, die auch ohne demonstratives Spektakel in Medien und Politik Anerkennung fanden. In Spitzenpositionen dieser Verbände saßen nicht selten beruflich noch aktive oder ehemalige Beamte. 1986 konnte die Hartkopf-Riege über etliche Umweltverbände und BIs und ein Unterstützerheer von etwa 4 Mio. Bürgern verweisen. An diesem Potenzial konnte die Politik nicht mehr vorübergehen.
Der Druck dieser Streitmacht brachte sie vielmehr unter größeren Zugzwang, immer wieder neue Umweltgesetze zu lancieren. Wandten sich verunsicherte Politiker Rat suchend an die Umweltverwaltung, hatten die Bürokraten die gewünschte Regelung zumeist schon als fertigen Gesetzesentwurf in der Schublade. Viele Politiker verabschiedeten Gesetze, ohne näher hinzusehen und zu merken, dass sie damit einzig der Umweltbürokratie einen Gefallen taten, der Gesellschaft hingegen aber nicht selten einen Bärendienst erwiesen.

Zuweilen kam den Umweltbeamten jemand auf die Schliche. 1985 war es die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. In einem Projekt „Innenwelt der Umweltpolitik“ legte sie die Mechanismen des in alle Richtungen schmarotzenden Systems offen. Doch die Nutznießer des „Systems Hartkopf“ verstanden es wieder einmal, den Projektbericht nicht zur Veröffentlichung kommen zu lassen. So konnte mit Zustimmung der Parlamentarier aller Parteien nach und nach ein dichtes und kompliziertes Verwaltungswerk entstehen, das (außer den technisch Versierten in Verwaltung und Wirtschaft) niemandem einen Zugang zur Bewertung seiner Methoden und Auswirkungen eröffnete – bis heute ist das so. Dadurch können die Bürokraten mit ihrem „Herrschaftswissen“ die in der Verfassung garantierte Gewaltenteilung der üblichen Kontrollinstanzen weitgehend problemlos unterlaufen.

Der letzte Abschnitt der Hartkopf-Rede von 1986 trug die Überschrift „Umweltverwaltung und Desinformation“. Hartkopf referierte über die frühe Kommunikationsarbeit mit Worthülsen und Sprechblasen, die uns bis heute erhalten geblieben sind:

„Die zweite Eigentümlichkeit der Umweltverwaltung ist der Gebrauch leerer Worthülsen, die allgemein der Desinformation Außenstehender dienen, um für bestimmte Zwecke in markiger Inhaltsleere Zielkonflikte zu verkleistern, um sie nicht im ungeeigneten Zeitpunkt aufbrechen zu lassen. Zwei Beispiele dafür will ich nennen.
Erstes Beispiel: Die Forderung nach „ökologischem Gleichgewicht“, oft gebraucht und in Parteiprogramme aufgenommen, ist völlig inhaltsleer, wenn nicht gleichzeitig gesagt wird, bei welchen präzisen Grenzwerten dieses Gleichgewicht für einen ganz fest umrissenen Bereich erreicht werden kann.
Zweites Beispiel: Die Formulierung, „Ökologie und Ökonomie müssen kein Gegensatz sein“, gehört dann zu den, auch von mir in früheren Jahren bewusst gebrauchten und beschwichtigenden Halbwahrheiten, wenn nicht gleichzeitig gesagt wird, dass dies allenfalls nur makroökonomisch und auf lange Zeit gesehen Gültigkeit haben kann. Betriebswirtschaftlich stimmt der Satz nämlich weder bei den Investitionen noch gar bei den Betriebskosten; Umweltschutz ist im Betrieb eben meistens unrentierlich.
Wir haben zwar für heute die leeren Worthülsen enttarnt, doch die Umweltverwaltung wird noch lange mit den irreführenden Sprechblasen leben können.“ [8]

Günter Hartkopf verstarb 1989, doch seine Methodik der Umweltverwaltung – er nannte sie sinnigerweise „Wachstumsindustrie“ – lebt bis heute weiter. Die von ihm erschaffene Umweltbürokratie wächst und treibt ständig neue Blüten. Die wirklichen Umweltprobleme der Anfangszeit hat man längst im Griff: Luft und Wasser sind sauber geworden, ausreichend vorbeugende Gesetze sind vorhanden. Davon unabhängig hat die Technologieentwicklung auch ohne dirigistisches Zutun nicht stillgestanden: Effizienz und Ressourcenschonung haben alte Müllschleudern ersetzt. Der Verwaltungsapparat könnte also eigentlich wieder heruntergeschraubt werden. Doch das Gegenteil ist eingetreten: Die Umweltbürokraten suchen sich zur Selbsterhaltung ständig neue „Probleme“, für die sie das gesellschaftliche Bewusstsein schärfen möchten. Am besten eignen sich hierfür Themen, die faktisch nicht greifbar oder langfristig angelegt sind, sodass der Nachweis schwerfällt, ob neue Umweltauflagen überhaupt Sinn machen können.

Nach dem Motto „je abstrakter, desto besser“ wurde vor einigen Jahren der „Klimawandel als größte Bedrohung der Menschheit“ ausgeguckt. Der Kreis zu Meadows Grenzen des Wachstums schließt sich damit wieder: Als Ursache der drohenden Klimakatastrophe wird der hohe Energiebedarf der Menschen angeprangert. Als Bösewicht dient Kohlendioxid (CO2), das bei der Nutzung fossiler Rohstoffe freigesetzt wird. Folglich bekommt alles, was zur Reduktion des menschenverursachten CO2-Ausstoßes dient, den Stempel „Gut, weil Klimaretter“. Doch natürlich gibt es Ausnahmen: So darf CO2-freier Strom aus Kernkraftwerken nicht als „Klimaretter“ durchgehen. Doch daran stört man sich nicht, ebenso wenig daran, dass die menschenverursachte CO2-Emission in Relation zu „natürlichen“ Vorgängen im Kohlendioxid-Gesamthaushalt der Erde eine quantitativ völlig untergeordnete Rolle spielt. Das Umweltbundesamt meint hierzu ganz lapidar: „Die Emission „biologischen Kohlendioxids“ wird nicht exakt inventarisiert. Wissenschaftler schätzen jedoch, dass etwa 1,2 Prozent der Emissionen von Kohlendioxid durch menschliches Handeln bedingt ist, der Rest ist natürlichen Ursprungs“. [9]

Sei’s drum: Über das abstrakte Thema „Klimawandel“ lässt sich dennoch endlos philosophieren. Das eröffnet der Umweltbürokratie schier grenzenlose Gestaltungsmöglichkeiten, die weit über den umweltrechtlichen Ordnungsrahmen von Verboten hinausgehen. Die zur Staatsdoktrin auserkorene Haltung „global denken, lokal handeln“ erhebt sogar den Anspruch, die weltgeschichtliche Bühne aufzumischen – bis hin zu Forderungen nach einer sozialen Revolution und dem Aufbau einer neuen Gesellschaft mit einer global geplanten ökologischen Weltwirtschaft im Mittelpunkt.
Einen Vorgeschmack auf die passende Staatsdoktrin hierzu liefert das „Vorsorgeprinzip“ (precautionary principle), das fatalerweise auch in die europäische Verfassung aufgenommen wurde. Es stellt die seit Jahrtausenden bewährte Praxis „unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils“ auf den Kopf. Auf Grundlage dieses Prinzips ist per se immer erst einmal davon auszugehen, dass von Menschen gemachter Wandel in die Apokalypse mündet, weshalb zuvor ein umfangreicher Nachweis des Nullrisikos zu führen ist. Hieran labt sich die Umweltbürokratie. Das Vorsorgeprinzip ist ihnen ein liebenswertes Instrument geworden, um der Willkür Tür und Tor zu öffnen und alles nach eigenem Gutdünken zu steuern. Weder die Wirklichkeit noch die wissensbasierte Vernunft haben hierbei eine Chance.

Das „Vorsorgeprinzip“ und der darauf basierende Umwelt- und Verbraucherschutz leistet (wie ein modernes Glaubensbekenntnis) einen gewichtigen Beitrag, um die Bürger an den Bürokratenapparat zu binden und seine Politik in moralisch ehrenhaftes Licht zu rücken. Das ist längst auch in anderen (quasi allen „westlichen“) Ländern erkannt worden – auch in den USA, wo sich die Umweltschutzpolitik schon früher als bei uns bestens bewährt hat, um von anderen Problemfeldern abzulenken. Längst wird auch auf internationaler Ebene darum gerungen, wer im Bereich globaler Umweltpolitik das Zepter in der Hand hat. Umweltinitiativen sind so zu einem gefürchteten Instrument der internationalen Machtausübung und Autoritätssicherung geworden. In diesem Sinne formulierte einmal der von 1987 bis 1994 amtierende Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU): „Internationale Umweltpolitik bekommt eine neue Dimension, die weit über die reine ökologische Problemlösung hinausweist: Sie wird zur präventiven Friedenspolitik.“ [10]
Nicht zuletzt aus Gründen der globalen Respektsicherung und ihrer Rückkopplungen auf das Ansehen zu Hause ist die deutsche Politik darum bemüht, über die Vorherrschaft im Bereich Klimaschutz zu verfügen. Auf der bewährten Klaviatur des Ökologismus wird zu diesem Zweck einerseits der „Klimakiller“ CO2 verteufelt, und andererseits werden die „erneuerbaren Energien“ als Menschenrettung angepriesen. „Erneuerbare Energien“ sind in diesem Bild nahezu sakrosankte Erfindungen, um uns vor dem Untergang zu retten. Jeder darf mitmachen und damit Gewissen und Portemonnaie erleichtern – sei es durch eine Solarzelle auf dem Dach oder das Umrüsten auf Biodiesel. Und einige (dafür sorgte die Umweltbürokratie ebenfalls) können es unternehmerisch richtig krachen lassen.

Dieses System ist fest etabliert, und so wird die Trompete der Desinformation nahezu jeden Tag neu geblasen. Jeder Unsinn, der das System stützt, wird veröffentlicht. Die Panikmache kennt dabei keine Grenzen mehr. So erreichen uns regelmäßig Schreckensnachrichten wie die von Töpfer: „Zurzeit irren 15 Mio. Umweltflüchtlinge auf der Suche nach der nächsten Wasserstelle umher. Ursache ist der von den Industriestaaten verursachte Treibhauseffekt“. [11] Solchen Unfug, der weder bewiesen noch dementiert werden kann, darf man heute äußern, ohne rot zu werden. In diesem Sinne kann auch die „Umwelt-Ökonomin“ Claudia Kemfert gebetsmühlenartig beschwören, dass die Schäden durch die Erderwärmung bis zum Jahre 2050 bereits 214 Bio. Euro betragen werden. Derlei Schärfungen des „Problembewussteins“ –  man könnte auch Indoktrinationsversuche sagen – machen nicht einmal mehr Halt vor den Pforten von Universitäten, Schulen oder Kindergärten.

Unbeachtet bleiben bei der Hartkopfschen Schaffung von „Problembewusstsein“ alle Fakten und Daten, die das Getriebe stören könnten. So geschehen mit einer Fülle von wissenschaftlich fundierten Klimamessdaten, die darauf hindeuten, dass es, in geologischen Zeitachsen betrachtet, auf der Erde kälter wird, dass wir derzeit aller Voraussicht nach in einer vorübergehenden Warmzeit (oder Zwischeneiszeit) leben und dass wir uns in Richtung einer neuen Periode verstärkter Vereisung der Erdoberfläche bewegen. Hiervon sind zahlreiche Klimaforscher überzeugt. Anlässlich der Klimakonferenz 1999 im österreichischen Linz boten sie den Apologeten der Klimakatastrophe die Wette an, sie würden jedes Jahr aufs Neue 1 Mio. US-Dollar erhalten, wenn die von Satelliten gemessenen Temperaturen auf der Erde höher lägen als im Vorjahr. Umgekehrt sollten aber auch die Katastrophenpropheten in die Tasche greifen müssen. Das Wettangebot wurde erneuert, doch die Klimaerwärmungsfraktion zog den Schwanz ein. Wenn sie sich auf die Wette eingelassen hätte, wäre sie heute womöglich pleite (und die Welt um ein paar Weltuntergangspropheten ärmer). Die satellitengestützten Messdaten belegen nämlich, dass die Verkünder der Erderwärmung Jahr für Jahr verloren hätten (auch 2006).

So sind mittlerweile eine Menge Vorschriften in Gesetzbücher gegossen worden, die dem CO2-Dogma Rechnung tragen und entsprechende Technologieeinsätze privilegieren, die andere diskriminieren. Techniken mit einer „positiven CO2-Bilanz“ werden als „gut“ etikettiert, egal wie unwirtschaftlich oder gar umweltschädlich sie in Wirklichkeit sind und welche gesellschaftlichen Folgeschäden sie möglicherweise mit sich tragen.

Die Relativistenfront ist allgegenwärtig und animiert Politiker zu immer neuen Stilblüten. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen (CDU), verblüffte letztes Jahr in einem Rundfunkinterview mit folgender Aussage: „Windenergie ist ökonomischer und auch vielleicht ökologischer Mumpitz. Wir brauchen die Windenergie hier, wir werden sie erhalten – basta“. [12] Auf Deutsch soll das wohl heißen: Wenn Mumpitz Geld bringt, dann halten wir eben daran fest.

Nicht nur die Politik, auch die großen Stromversorgungsunternehmen haben sich als sehr anpassungsfähig erwiesen. Man spricht heute offen mit Blick auf deutsche Windparks von „geflügeltem Unsinn“, hält aber dennoch gerne die Hand auf, um die garantierten Gewinne aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) einzustreichen.
Die einstige Wirtschaftsmacht Deutschland ist so zum Weltmeister im „Mitnehmen“ und „Absahnen“ mutiert. Mit dem EEG lässt es sich bequem und gut auf Kosten der Gesellschaft leben. Es hätte laut Gutachten des wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit mit der Einführung des Zertifikatehandels längst aufgehoben werden müssen. Im Gutachten heißt es: „Das EEG wird dann (d.h. nach Einführung des Emissionshandels) zu einem ökologisch nutzlosen, aber volkswirtschaftlich teuren Instrument und müsste konsequenterweise abgeschafft werden“. [13] Doch wie erwartet wurde das EEG nicht abgeschafft, sondern im Gegenteil eher noch ausgeweitet. Es ist Dreh- und Angelpunkt des gut vernetzten und von keiner Justiz behinderten „Eine-Hand-wäscht-die-andere“-Systems. Schon die absurde Höhe der Einspeisevergütung für Solarstrom bei der Verabschiedung des EEG zum 1. Januar 2000 entstammte einem Kuhhandel, um Wolfgang Clements (SPD) Ministerpräsidentenstuhl bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen nicht zu gefährden. Aus Sorge, die Stimmen der Kohlekumpel zu verlieren, brach Clement damals die Koalitionsvereinbarungen mit den Grünen. Damit diese die Kröte schluckten, wurde ihr Steckenpferd, der Solarstrom, mit einer garantierten Vergütung von 99 Pfennigen pro Kilowattstunde (kWh) durchgewunken.

Und so wird ständig weiter geschachert und gekungelt. Und es werden immer neue Betätigungsfelder ausgemacht, die es zu mästen gilt, ohne dass die Geschröpften (die Bürger als Steuerzahler und Stromkunden) Einblick in dieses korrupte System hätten, geschweige denn mitreden dürften. Kräftig bohrt gerade wieder die Windstrombranche. Sie hat erkannt, dass Offshore-Stromerzeugung (bei küstennaher Meeresbodengründung) noch unwirtschaftlicher ist als Onshore-Windstrom an Land. Deshalb arbeitet man nun beharrlich daran, eine Vergütung von 13 Cent pro kWh durchzusetzen. Doch dies weckt Begehrlichkeiten an anderer Stelle. So fordern jetzt auch Biomassenutzer, ihr Gas und die anfallende Wärme EEG-garantiert ins Versorgungsnetz einspeisen zu können. Das wiederum lassen die Windstromer nicht auf sich sitzen: Sie verlangen, auch die Netzanschlusskosten des Offshore-Stroms im EEG unterzubringen. „Allein für die Trasse an der Küste braucht man schon 4 Cent/kWh, das muss alles in das EEG eingearbeitet werden“, forderte kürzlich das Präsidiumsmitglied des Bundesverband WindEnergie (BWE), Herrmann Albers. [14]

Um neue Marktnischen mit staatlicher Finanzierungsgarantie zu kreieren, kennt der deutsche Erfindungsreichtum keine Grenzen: So werden nun auch (nach bewährtem Muster) politisch genehme Bürgerinitiativen zum „Schutz vor den Umweltgefahren durch Höchstspannungs-Freileitungen“ gegründet und gehätschelt, um anschließend Forderungen nach dem Ausbau extrem kostenintensiver unterirdischer Übertragungsleitungen Nachdruck zu verleihen. Prompt schenken ihnen Verwaltungen, Parlamentarier und Medien Gehör. So wächst die Klüngelklientel. Unpassende Bürgerinitiativen, wie die gegen Windräder, werden hingegen totgeschwiegen oder durch den Schmutz gezogen.
Der mündige Bürger wird in diesem Selbstbedienungsladen nur noch als Störfaktor wahrgenommen, die Profiteure bleiben lieber unter sich. „Auf die Dauer gibt es so viele Profiteure der Windenergie, dass sie keine Mehrheiten mehr finden, um das noch einzuschränken“, warnte Angela Merkel (CDU) im Oktober 2004 vor einigen 100 Energiemanagern in Köln. [15] Diese Erfahrung hatte die spätere Bundeskanzlerin im ureigenen CDU-Milieu gesammelt. „Selbst Kirchengemeinden und Kindergärten stellen sich inzwischen reihenweise Windräder hin, um von den auf 20 Jahre gesicherten Einspeisevergütungen zu profitieren“, monierte sie damals – geändert hat auch sie daran bisher nichts.

Abgesehen von den direkten EEG-Nutznießern gibt es eine weitere Klimarettungs-Lobbygruppe, und zwar jene, die den internationalen Emissionshandel mit CO2 organisiert und die Beute mit den EEG-Nutzern teilen möchte. Vertreter dieses Fachs bauen im Dienste ihrer eigenen anschwellenden Bürokratismen darauf, dass der globale Zertifikatenhandel alsbald auf weitere Stoffe und andere Anwendungsbereiche ausgeweitet werden könnte. Im Gespräch sind handelbare Zertifikate für Gebäudewärme, Verkehr und Flugverkehr, die sich die gewieften Lufthändler zukünftig auch gerne versilbern möchten. Die Ziele sind aber weit höher gesteckt: Die Allianz der Umweltverwalter und Umweltökonomen hat (wie auch immer) ausgerechnet, dass der Nutzungswert der globalen Artenvielfalt jährlich 33 Bio. US-Dollar beträgt. [16] Das wollen sie möglichst flächen- und themendeckend in bare Münze umgewandelt sehen.

Außer auf eine neue Eiszeit steuern wir also momentan auf eine „ökologistische Planwirtschaft“ zu. Bleibt abzuwarten, wann der Bürger am eigenen Leib spürt, dass die versprochene Heizenergieeinsparung nicht eingetreten ist – obwohl er in zwangsgedämmten Wohnungen sitzt –, und gegen diese Zustände aufbegehrt. Zuerst wird er womöglich feststellen, dass er sich das Strom- und Energiesparen nicht einmal mehr leisten kann – vom Verbrauch einmal ganz zu schweigen –, weil seine Investitionen, statt für Energieeffizienz eingesetzt zu werden, heute eher auf den Konten pausbackener Klimaretter landen.

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