01.03.2003
Deutschlands durchschlagende Weltpolitik
Analyse von Sabine Reul
Es gibt gute und schlechte Argumente gegen einen Irakkrieg. Schröder und Fischer vertreten die schlechten, meint Sabine Reul.
Zwischen den deutschen Parteien gäbe es keine programmatischen Differenzen, die einen lebhaften Wahlkampf erwarten lassen würden, stand zu Beginn des Bundestagswahlkampfs 2002 in dieser Rubrik zu lesen. Allerdings knistere es im Gebälk der Weltpolitik, so dass ausreichend „Zündstoff für die parteipolitische Profilierungssuche“ umherliege. Nicht abzusehen war, dass sich die damit angesprochene Befürchtung bald so durchschlagend erfüllen würde wie inzwischen geschehen.
Die Architektur der westlichen Weltpolitik liegt in Stücken. Ob und wie sich die wieder kitten lassen, ist derzeit offen. In jedem Fall steht Deutschland, bis vor kurzem der verlässlichste europäische Pfeiler des Atlantischen Bündnisses, mit Washington plötzlich in einem Zerwürfnis, das sich so leicht nicht reparieren lassen wird. Die Bundesregierung operiert derzeit auf ungewissem Terrain und mit gänzlich unerprobten Mitteln. Man befindet sich in einer Gelegenheitsallianz mit Frankreich, Belgien, Russland und China, und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg tritt eine deutsche Regierung als maßgeblicher Initiator in „Kampfabstimmungen“ gegen die Vereinigten Staaten in Führungsgremien des westlichen Bündnisses und der Vereinten Nationen in Erscheinung. Ob das eine kluge oder für die Welt gedeihliche politische Linie ist, ist völlig ungeachtet jeder Beurteilung der amerikanischen Kriegspolitik gegenüber dem Irak stark zu bezweifeln.
Es gibt ausreichend gute Gründe, einen Krieg gegen den Irak entschieden abzulehnen. Er entbehrt jeder völkerrechtlichen Legitimation; er bringt schreckliches Leid über das irakische Volk; er tritt die Souveränität seines Landes mit Füßen; er ist die denkbar ungeeignetste Maßnahme, um Vernunft in die gespannten Verhältnisse zwischen dem Westen und der arabischen Welt zu bringen. Und er ist schließlich und vor allem überflüssig.
Die Vorstellung, ein schwaches, zerfallendes Land wie der Irak, das zudem seit zwölf Jahren dem härtesten Sanktionsregime und umfassendsten Kontrollen unterliegt, welche die westliche Staatengemeinschaft jemals einem Land auferlegt hat, sei eine Gefahr für die Vereinigten Staaten, andere Industrienationen oder westliche Interessen, ist ja wohl abwegig. Sie ist keine rationale Einschätzung, sondern ein Hinweis darauf, wie sehr Amerika sich durch die Ereignisse vom 11. September 2001 hat aus dem Konzept bringen lassen.
Dass dieses irrationale Bedrohungsszenario heute im Mittelpunkt der amerikanischen Außenpolitik steht, hat eine fatale Spirale der Verunsicherung in der westlichen Welt in Gang gesetzt. Sie ist wohl letztlich die eigentliche Ursache des Nervenkriegs zwischen Europa und Amerika. Praktisch gesehen ist die Politik der Angst vor dem Terror allenfalls geeignet, all jenen Auftrieb zu geben, die Amerika gerne „auf Normalmaß“ gebracht sähen oder gar hassen. Präsident Bushs Kampagne gegen den Irak erscheint als eine unglückliche Kombination aus Versatzstücken klassischer amerikanischer Geopolitik, der Menschenrechtsrhetorik der 90er-Jahre und einer neuen, angstgetriebenen Doktrin der präventiven Kriegsführung (siehe hierzu den Artikel von Brendan O‘Neill in dieser Ausgabe). Mit der Wirklichkeit, in der sich die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet, scheint diese Politik in keinem nachvollziehbaren Verhältnis mehr zu stehen.
Doch es waren nicht solche Erwägungen, die Bundeskanzler Schröder bewogen, im Wahlsommer 2002 eine Absetzbewegung von der amerikanischen Irakpolitik einzuleiten. Schröders Handeln in der Irakkrise war, nach allem, was dazu öffentlich ersichtlich und bekannt ist, rein wahltaktisch motiviert. Hätten begründete Bedenken bezüglich der amerikanischen Kriegspolitik das Handeln der rot-grünen Koalition in dieser Sache bestimmt, hätte sie eine fundierte außenpolitische Initiative betreiben sollen, um positive Akzente in die Debatte zu tragen. Stattdessen trieb sie mit dem Thema Irak Innenpolitik der engstirnigsten Art, in Form einer auf die Kriegsangst und Amerikaskepsis der deutschen Bevölkerung abzielenden Wahlkampfpropaganda. Und inzwischen ist daraus ein gefährliches außenpolitisches Ränkespiel erwachsen.
Manchen Leuten scheint das ausnehmend gut zu gefallen. Seit Gerhard Schröder im Bundestagswahlkampf vergangenen Sommer gegen die US-geplante Militärintervention im Irak Stellung bezog, gilt er unter Kriegsgegnern nicht nur hierzulande, sondern auch im Ausland als Friedenskämpfer. Auf Protesten gegen den Krieg in Amerika und England wird der Haltung der Berliner Regierung Beifall gezollt. Europas Intellektuelle, durch brüske Äußerungen des amerikanischen Außenministers über den „alten“ Kontinent zu Lobeshymnen auf die ehrwürdige Heimaterde hingerissen, sehen Schröder schon als Vorkämpfer einer europäischen Renaissance.
„Viele, die jetzt den europäischen Aufstand gegen Amerika proben, haben jeden westlichen Krieg der 90er-Jahre leidenschaftlich unterstützt. Grundsätzlicher Zweifel an westlicher Interventionspolitik ist hier wohl kaum im Spiel.”
Repräsentativ war in dieser Hinsicht wohl der Lyriker Durs Grünbein, der die denkwürdigen Worte fand: „Europa formiert sich als dritte Kraft im Spiel der Supermächte. Und wir können sagen, wir sind dabei gewesen.“[1]Selbst Jürgen Habermas, bislang wohl der atlantischste deutsche Intellektuelle überhaupt, meint jetzt, der Geist der Aufklärung und die Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen fänden inzwischen vielleicht „in Europa eher Anhang als in der ziemlich alt aussehenden Neuen Welt“.[2]Äußerungen wie diese lassen nicht nur starke Zweifel an der holden Friedfertigkeit aufkommen, die mit ihnen vorgeblich ausgedrückt sein will. Sie lassen Europas angeblich so überlegene Intellektuelle bedauerlicherweise wirklich recht „alt“ erscheinen.
In solchen Ausfällen äußert sich weder ehrliche Sorge um das Schicksal der Iraker oder die Weltpolitik, ja nicht einmal Neugier angesichts neuer, noch unerforschter Weltläufe. Es geht um nichts anderes als anti-amerikanisches Ressentiment, getragen von einer einfältigen Einteilung der Welt in Gut und Böse, die der des Weißen Hauses wesensverwandter ist, als auf den ersten Blick scheinen mag.
Viele, die jetzt den europäischen Aufstand gegen Amerika proben, haben im Übrigen jeden westlichen Krieg der 90er-Jahre leidenschaftlich unterstützt. Grundsätzlicher Zweifel an westlicher Interventionspolitik ist hier wohl kaum im Spiel. Eher rufen die aktuellen Widersprüche der westlichen Außenpolitik erneut jene auf den Plan, die sich schon geraume Zeit auf der Suche nach einer Mission befinden. Und dabei zeigen diese doch so sensiblen Intellektuellen einen bemerkenswerten Mangel an Gespür für die Gefahr, die von den Ereignissen der letzten Wochen ausgeht.
Im Zwist zwischen Berlin und Washington stehen sich nicht wirklich Friedensliebe und Kriegstreiberei gegenüber, wie viele Kriegsgegner offenbar glauben. Die transatlantische Verstimmung ist nicht das Ergebnis einer grundsätzlichen Differenz in der Bewertung der Irakkrise. Die deutsche Regierung hat gemeinsam mit ihren neuen Verbündeten dem UN-Sicherheitsrat den Vorschlag unterbreitet, den Irak statt durch eine US-geführte Streitmacht durch ein Heer von Blauhelmen zu besetzen. Auch die rot-grüne Regierung in Berlin meint also, der Irak sei eine Gefahr und eine Intervention erforderlich, um sie einzudämmen – möchte das aber lieber nicht mehr mit den Vereinigten Staaten, sondern gegen sie tun.
Die Spannungen zwischen Amerika und Deutschland sind Ausdruck des Auseinanderdriftens der westlichen Bündnispartner. Der Anlass ist zwar eine rein taktische Differenz: Während die Bush-Regierung die Risiken, die angeblich von Saddam Hussein ausgehen, als größer einschätzt als die eines Krieges gegen den Irak, neigt Berlin – teilweise in Übereinstimmung mit anderen Regierungen, aber vor allem mit der Kriegsskepsis der Bevölkerung – zu einer umgekehrten Risikoeinschätzung. Aber der tiefere Hintergrund ist der Zerfall der Geschäftsgrundlage des westlichen Verteidigungsbündnisses, das für den Kalten Krieg ausgelegt war.
Die rot-grüne Regierung hat durch ihre schlecht beratene Vorgehensweise in der Irakfrage einen Eklat ausgelöst, der diesen Entfremdungsprozess aller Voraussicht nach verschärfen wird. Wenn sie das wirklich will, dann sollte sie das auch sagen. Eine Regierung ist nun einmal keine bloße Propagandaveranstaltung, sondern eben eine – nun ja –Regierung. Einen Bündniskonflikt auslösen, ist eine folgenschwere Angelegenheit. Das auch noch als Beweis überlegener europäischer Erfahrung in Fragen von Krieg und Frieden auszugeben, ein starkes Stück. Muss man vielleicht daran erinnern, dass schon aus geringfügigeren Anlässen Kriege entstanden sind?
Das Agieren der rot-grünen Koalition in den letzten Monaten belegt, wie weit Deutschland davon entfernt ist, dort zu sein, wo Herr Schröder es offenbar so gerne sähe: „auf Augenhöhe“ mit den Vereinigten Staaten. Und bei aller Kritik an vielem, wofür das westliche Bündnis steht, war Schröders Vorgehen auch schäbig. Deutschland hat als „Protektorat“ der Vereinigten Staaten, wie man jetzt so neuforsch tönt, schließlich 50 Jahre lang nicht gerade schlecht gelebt.