09.11.2012

Deutsche Welle, schwere Welle: Signal lost in Toronto

Von Vasile V. Poenaru

Der in Toronto lebende rumänisch-österreichische Germanist Vasile V. Poenaru schaut gerne Deutsche Welle-TV, auch wenn ihn manchmal stört, wie nachlässig dort mit den Regeln der deutschen und englischen Sprache umgegangen wird. In einer Glosse berichtet er von seinen Erfahrungen

„Die DW ist die mediale Stimme Deutschlands in der Welt“ – schon seit 1953 „auf Sendung“ (erst mal natürlich nur als Hörfunk, später dann auch als Fernsehsender), darf man auf der Webseite der Deutschen Welle lesen. Dann kommt: „Die Deutsche Welle ist der Auslandssender Deutschlands.“ Wo auch immer einer sein Zuhause hat (sagen wir mal in good old Toronto) lautet der kategorische Imperativ: Fernseher einschalten und nichts wie Deutsche Welle “watchen”!

Metaphorisch ausgedrückt: Über den Atlantischen Ozean propagiert sich eine Welle, die aus dem Herzen Europas kommt: eine elektromagnetische Welle. Sie ist deutsch, sie ist hoch, sie hat, was man drüben (besser gesagt: hier) a strong signal nennt. Markus Lanz? Ein Begriff am Ontariosee. Quadriga? Das Symbol der Debatte. Menschen bei Maischberger? Die Nase im Gesicht – wie in aller Welt. Was ist typisch deutsch? Vom CN-Tower durchaus erkennbar. The show is good. Ergo: The show must go on. In Kanada wird die Deutsche Welle von meinem cable provider, Rogers Cable, aufgefangen und in die Fernseher hineingequetscht. Das lief früher immer abwechselnd: mal englisch, mal deutsch. Not anymore.

Weil die meisten Leut’ in Nordamerika natürlich kein Deutsch können, müssen sie mit dem englischsprachigen Angebot der Deutschen Welle vorlieb nehmen. Leider gab es jedoch 2012 einen Relaunch (Umgestaltung? Umwertung? Verwandlung?) der Deutschen Welle, und der englischsprachige Teil musste den Kürzeren ziehen. Nur spät in der Nacht gibt es für die guten, treuen Rogers-Zuschauer noch vier Stunden Deutsche Welle auf Englisch; solange einer auch am TV Cable quetscht, mehr kommt nicht raus (genauer: mehr kommt nicht mehr raus, denn früher kam ja mehr raus).

Wer Deutsch kann, darf freilich weiterhin fernsehen. Nur, wer kann denn Deutsch? The thing is: Deutsche Sprache schwere Sprache. Deutsche Welle, schwere Welle. Bei Rogers nachfragen? Gesagt, getan. Kann man nichts machen, you’ve got to talk to the Germans. The Germans? Das sind doch wir, wollte sagen, das sind doch unsere besten … ja wie sagt man denn gleich? … das sind meine lieb-… just talk to them; oh yeah, I can do that. Mal eine harmlose Email an DW schicken, denk ich mir. Und sieh einer an! Bald ist die Antwort da: Seit dem Relaunch von DW hat Rogers nur DW (Amerika) mit 20 Stunden Deutsch und nur noch 4 Stunden Englisch (die 4 Stunden Englisch werden nachts ausgestrahlt) im Angebot. Kann man nichts machen. Oder doch: Satelliten-Empfänger für DW anschaffen. Rogers Cable? Abschaffen! Jawohl, denke ich mir. Anschaffen. Abschaffen. Einen Blick ins Weltall werfen und sehen, ob die Deutschen nicht doch noch wie bisher sozusagen in Mark Twains Sprache gekleidet kommen. Allerdings gebe es Gespräche zwischen der Abteilung Vertrieb und Rogers.

Gespräche? That’s good. Mal eine weitere Email an DW schicken: Warum werden denn die vier Stunden, die Sie noch für uns auf Englisch beibehalten haben, so spät in der Nacht angeboten? Da verlieren Sie doch die Zuschauer.

Keine Antwort. Keine Gespräche. Kein Blick. Kein beep. Signal lost in Toronto. Fast will einer schon mit Chris de Burgh singen: „Ship to shore, do you read me anymore? This line is bad and fading.“ Aber was soll’s? Ich selber kann ja Deutsch, bleibt den anderen wohl nichts anderes übrig, als es ebenfalls zu lernen, und zwar schleunigst. After all, it’s Goethe’s language, more, it’s Dimpfelmeier’s language! Und schließlich habe ich mich ja ein paar Jahre lang „herauf, herab und quer und krumm“ als Deutschlehrer an der University of Toronto versucht und meinen Studenten langsam, aber sicher das Einmaleins der vierten Sprache des Nobelpreisträgers Elias Canetti beigebracht, der bekanntlich sehr gut mit der Zunge schnalzen konnte.

Zur Tagesordnung: Ich denke, wir Kanadier können die Deutsche Welle weiterhin gut brauchen, und es wäre schade, wenn sie uns verloren ginge, wie es denn auch schade wäre, wenn wir ihr verloren gingen. Das Programm ist im großen Ganzen sehr anregend, ausgewogen, unterhaltsam, aufschlussreich und in so mancher Hinsicht durchaus sinnvoll. Die im Folgenden skizzierte Kritik nehme man deshalb bitte cum grano salis.

An der Deutschen Welle stört mich nämlich, ehrlich gesagt, schon einiges, etwa die Tatsache, dass Länder (z.B. Deutschland) unreflektiert als Plural gehandelt werden. „Germany are in the lead“ oder „Germany are doing well“ und dergleichen, das wird gerne damit entschuldigt, dass „der Muttersprachler“ es so empfindet. „Der Muttersprachler“ ist hier freilich ein naher Verwandter des „Durschnittsmenschen“, der sich nicht grammatikalisch korrekt durch die Sprache bewegen kann (Braucht er das überhaupt? Es ist ja seine Muttersprache!), sondern „nur so“ ein Wort nach dem anderen zum besten gibt. Dass der Apostroph im Englischen keineswegs den Plural, sondern vielmehr u.a. den Kasus Genitiv markiert, ist ihm zum Beispiel oft genug fremd. Oder dass „its“ (Adjektivpronomen) und „it’s“ (Kurzform von „it is“) nicht aufs Geratewohl austauschbar sind. „Its [it’s] California’s unique position and history among US states“, das liest man auch mal auf http://www.dw.de/.

Ja, die nicht nur linguistisch dubiose Spezies des Durschnittsmensch-Muttersprachlers hat längst ihren glorreichen Einzug in die englischsprachigen Medien gefeiert. Adjektiv? Adverb? What’s that? Und: me oder I? That’s a hard one. Die von einem unaufhaltsamen Schwung von Überkorrektheit gepackten Exponenten der höheren Schichten sagen neuerdings einfach immer I, um sich von den ungebildeten unteren Schichten zu distanzieren, wiewohl auch sie von Nominativ und Akkusativ nichts verstehen: „This stays between you and I.“ Ein weitverbreiteter Fehlgriff an der zunehmend als an sich unwesentlich, als geringfügig betrachteten Sprache, diesem auf den Hund gekommenen Vehikel der Kommunikation.

„Increasing numbers of highly-qualified people are coming to Germany“, heißt es auf der DW-Webseite, als seien es die Zahlen, die kommen, und nicht die Menschen. Oder: „Germany today is Turkey’s biggest trading partner.“ Falscher Satzbau.

Englische Sprache, schwere Sprache? Nein, aber vernachlässigt ist sie schon: „German Chancellor Angela Merkel and her party, the Christian Democratic Union (CDU), has been one of the strong opponents of full Turkish membership.” Hier wird die Phrase Angela Merkel and her party als Singular gehandelt.

Wagen wir uns ein Stück weiter? „Both the Turkish and German governments agree on…“ Also türkische und deutsche Regierungen ... Unsinn. Machen wir’s lieber so: Both the Turkish government and the German government. Oder einfach: The Turkish government and the German government agree on ... Eine türkische Regierung, eine deutsche Regierung. Gutes Englisch. Gut genug, dass man damit Seiner Majestät aufwarten könnte.
Auch am deutschsprachigen Angebot der Deutschen Welle gibt es manches auszusetzten. Wenn die Leut’ da kein „Apple“ hinkriegen und unbedingt „Eppel“ sagen müssen (oder war das Seppel?), wo doch die meisten Deutschen, die ich kenne, wirklich kein Problem damit haben. Außerdem darf man sich ja jederzeit auf http://www.merriam-webster.com/ anzuhören, wie englische Wörter ausgesprochen werden.

Vielen Formulierungen merkt man die misslungene Übersetzung aus dem Englischen im Nu an. Das im Englischen so bedeutungsproduktive und je nach dem Kontext zu übersetzende „get“ wird auf Deutsch etwa bisweilen unreflektiert als „bekommen“ entstellt. Global 3000 berichtete mal über Indien: „Wir möchten so viele Inder wie immer nur möglich online bekommen“, hieß es.

Gar nicht so schwer. Man bestellt einfach bei Ebay einen Haufen Inder. Und bald bekommt man sie. Und dann bekommen die Inder Kinder. Und dann ist es Essig mit dem schönen Kinder, statt Inder der frühen Nullerjahre.

Das wird jetzt so richtig philosophisch – which is good: Handle so, dass die Welle durch ihre Maxime (und eine maximierte Sendungszeit des englischsprachigen Angebots) sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne, würde Kant jetzt ganz bestimmt sagen. Und seine Maxime? Turn it on and watch!

Stellt sich nur noch die Frage: How do we get the salespeople from DW to reach an agreement with Rogers? Wie bekommen wir die Leut’ von der Deutschen Welle, … nein: Wie bekommen wir …? Hold on, bekommen ist hier das falsche Wort. Wir brauchen einen Deutschlehrer … stimmt, ich bin ja Deutschlehrer, will dabei aber die Deutsche Welle blöderweise (auch) auf Englisch. Ja wie bekomme ich denn bloß, was ich will?

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