30.05.2011

Deutsche Kernkraftwerke sind sicherer

Analyse von Ludwig Lindner

Die ersten Angstreaktionen auf Fukushima sind abgeklungen. Zeit mit einer nüchternen Analyse zu beginnen. Der Vergleich mit den dortigen Ereignissen zeigt, dass deutsche AKWs deutlich sicherer sind. Der Komplettausstieg ist völlig übertrieben

Die Live-Ticker deutscher Medien zur Katastrophe in Japan sind eingestellt. Die erste Kommentarwelle zum deutschen Ausstiegsrevival ist überstanden. In den nächsten Monaten wird hoffentlich eine nüchterne Analyse der Ereignisse in Fukushima erfolgen und auch die breite Bevölkerung erreichen.

Sie wird sehr wahrscheinlich bestätigen, was nicht wenige Beobachter auch in den letzten Wochen schon gesagt haben: Die deutsche Reaktion ist überzogen, die deutschen Ängste scheinen einzigartig auf der Welt. Aber es stimmt auch, dass Lehren aus den Fehlern von Fukushima gezogen werden müssen. Nicht die schlechteste Konsequenz wäre es, sich international am Standard deutscher Anlagen zu orientieren.

Deutscher Alleingang

Die deutschen Kernkraftwerke gehören nach Einschätzung der IEA (Internationale Energie Agentur) zu den besten und sichersten der Welt. Sie waren vor der Katastrophe in Japan sicher und sind es auch jetzt noch. Die überhastete Abschaltung von 7 deutschen Kernkraftwerken war überzogen. Die deutsche Politik hätte gut daran getan, erst nachzudenken, dann die Sicherheitseinrichtungen zu überprüfen und dann ggf. die eine oder andere Anlage abzuschalten. Kein anderes Land der Welt ist dem deutschen Beispiel gefolgt.

Als Begründung für die Abschaltung von 7 deutschen Kernkraftwerken im März wurde vorgebracht, dass diese Anlagen wie die Anlagen von Fukushima Eins in Japan vor 1980 in Betrieb genommen wurden und damit einen geringeren Sicherheitsstandard als neuere Anlagen haben. Aber in Frankreich sind 15 Anlagen, im übrigen Europa weitere 14 Anlagen vor 1980 in Betrieb gegangen und in den USA sind es sogar 53 der 104 Anlagen. (1)  Außerdem sind die deutschen Kernkraftwerke immer wieder nachgerüstet worden.

Nach der Abschaltung von Kernkraftwerken kauft Deutschland Atomstrom aus Frankreich und Tschechien.  Derzeit sind 13 der 17 deutschen Kernkraftwerke vom Netz. Besonders betroffen ist Süddeutschland. Wegen fehlender Leitungen kann Strom aus dem Norden nicht dorthin transportiert werden – sondern kommt aus dem benachbarten Ausland. Französische und tschechische Stromkonzerne verdienen jetzt dank des deutschen Moratoriums gutes Geld. (2) (3) (4) Der Alleingang Deutschlands macht wenig Sinn, denn ein GAU könnte auch im benachbarten Ausland auftreten. Es muss eine gesamteuropäische Sicherheitsüberprüfung erfolgen, wie es EU-Kommissar Oettinger bis Ende 2011 fordert.

Vergleich zwischen Fukushima und deutschen AKWs

Von besonderem Interesse für die Sicherheitsfrage ist der Vergleich zwischen der Unglücksanlage in Japan und den deutschen Reaktoren.(5) Fukushima Eins (Daiichi) besteht aus 6 Siedewasserreaktoren, die zwischen 1971 bis 1979 in Betrieb genommen wurden, Fukushima Zwei (Daini) verfügt über vier Siedewasserreaktoren, die von 1982 bis 1987 in Betrieb genommen wurden. Alle Anlagen sind direkt am Meer (Pazifik) gelegen. Betroffen von der Katastrophe waren nur die Reaktoren von Fukushima Eins.

Man sollte festhalten, dass die Technik das Erdbeben beherrscht hat. Die japanischen Reaktoren schalteten sich auslegungsgemäß ab, als die Seismometer ansprachen. Damit wurde die Kettenreaktion in den Reaktoren unterbrochen. Angesichts der Tatsache, dass das Erdbeben wesentlich stärker war, als die Auslegung vorgesehen hatte, ist dies zunächst beruhigend.

In Hinblick auf Deutschland ist davon auszugehen, dass auf das, was in Japan funktionierte, auch hier Verlass ist. Alle deutschen Kernkraftwerke sind gegen Erdbeben ausgelegt. Sie wurden so konstruiert oder nachträglich verbessert, dass sie bei einem Erdbeben sicher abgeschaltet werden können und die dann weiterhin erforderliche Kühlung gewährleistet ist. Für diese Auslegung wird in Deutschland das Erdbeben angenommen, mit dem man am jeweiligen Kraftwerksstandort rechnen muss. Über die Stärke dieses so genannten Bemessungserdbebens ergeben sich für die Kernkraftwerke im Bereich der norddeutschen Tiefebene andere technische Anforderungen als beispielsweise für die im Oberrheingraben. (6)

Nachdem die Anlagen in Fukushima das Erdbeben unbeschadet überstanden hatten, folgte die zweite Herausforderung durch den Ausfall der Stromversorgungsnetze. Strom ist aber für die Notkühlung bei diesen Reaktoren unabdingbar, um die Nachzerfallswärme abzuführen. Er wurde auch bereitgestellt, die Pumpen liefen mit Hilfe von Batterien und den Notstromdiesel zunächst weiter. Erst die Angriffswelle in Gestalt des Jahrtausend-Tsunamis führte zu der letztlich sehr ernsten Situation des Ausfalls der Kühlsysteme.

Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass die Gefährdung durch einen Tsunami hier nicht gegeben ist. Ein Blick zurück nach Japan zeigt, dass auch ein gigantischer Tsunami ein Kernkraftwerk keineswegs in Bedrängnis bringen muss, wenn entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden. Im etwas südlich gelegenen Fukushima Zwei sind die Notstromaggregate innerhalb des Reaktorgebäudes untergebracht. Sie sind tsunamisicher und haben in allen 4 Siedewasser-Reaktor-Blöcken ordnungsgemäß funktioniert.

In Deutschland sind die Sicherheitsstandards höher als bei Fukushima Eins (2), und dies muss auch anerkannt werden:

  • Während die japanischen Anlagen bei den Sicherheitseinrichtungen über zwei Stränge verfügen, sind es in den deutschen Kernkraftwerken dieser Bauart vier. (Mehr Redundanz)
  • In den deutschen Kernkraftwerken stehen mehr Dieselgeneratoren zur Verfügung.
  • In den deutschen KKW sind Anschlussstellen vorhanden, an die externe, luftgekühlte Generatoren angeschlossen werden können.
  • Die Reaktoren von Fukushima Eins verfügten im Gegensatz zu deutschen Siedewasserreaktoren nicht über Rekombinatoren, die gebildeten Wasserstoff zu Wasser umsetzen. In Fukushima bildete deshalb der Wasserstoff zusammen mit Luftsauerstoff Knallgas, das zu Explosionen führte. Die Reaktoren von Fukushima Eins galten als störanfällig. Nach Angaben einer Internationalen Kernkraftwerks-Datenbank standen sie kurz vor der Stilllegung, die im März 2011 durchgeführt werden sollte.(7)
  • Der entscheidende Sicherheitsmangel in Fukushima Eins waren die nicht überschwemmungssicher gemachten,  im Maschinenhaus fast auf Meereshöhe platzierten Notstromdiesel. In Deutschland gibt es keinen Tsunami.

Außerdem gab es Missmanagement und Betrug beim Betreiber Tepco, der offenbar in vielen Punkten geschlampt hat. In einer Rede ging der Tepco-Präsident Tsunehisa Katsumata auf den bislang größten Skandal in der Geschichte von Japans größtem Energieversorger ein, der sich 2004 ereignet hatte: In 29 Fällen waren Wartungsdokumente von Atomkraftwerken gefälscht worden. Die Ingenieure und Techniker gingen soweit, dass Daten gelöscht und Inspektions- und Reparaturberichte gefälscht wurden. Die gesamte Unternehmenskultur habe dazu geführt, dass sich haarsträubende Sicherheitslücken aufgetan hätten. Tepco musste 17 Atomreaktoren vorübergehend vom Netz nehmen, Firmenchef Hiroshi Araki räumte zusammen mit vier Top-Managern seinen Posten. (8)

Tepco hat es vor Jahren abgelehnt, eine Wasserstoff-Vernichtungsanlage (sog. Rekombinatoren) zu installieren. Eine solche Anlage war von einem westlichen Kraftwerksbauer angeboten worden. Tepco glaubte, darauf verzichten zu können. Branchenkenner gehen davon aus, dass sich die Wasserstoffexplosionen, die sich nach der Havarie der Reaktoren in Fukushima ereignet hatten, mit einer solchen Vernichtungsanlage hätten vermeiden lassen. (9) Das Fukushima-Desaster scheint nun der traurige Höhepunkt des Missmanagements zu sein.“ (8)

Für die deutschen Anlagen hat die Reaktorsicherheitskommission im Vergleich zu Fukushima Eins mit Bericht vom 17.5.2011ermittelt (10):

  • Die Schutzmaßnahmen der deutschen Anlagen gegen äußere Einwirkungen (Explosionsdruckwelle, Flugzeugabsturz) stellen unter Berücksichtigung der heute getroffenen Sicherungsmaßnahmen gleichzeitig auch einen weitgehenden Schutzzustand gegen terroristische Angriffe von Außentätern dar.
  • In deutschen Kernkraftwerken sind im Reaktorschutzsystem keine softwarebasierten Systeme eingesetzt.
  • Aus den Erkenntnissen zu Fukushima im Hinblick auf die Auslegung dieser Anlagen ergibt sich, dass hinsichtlich der Stromversorgung und der Berücksichtigung externer Überflutungsereignisse für deutsche Anlagen eine höhere Vorsorge festzustellen ist.
  • Bei Anlagen mit ursprünglich weniger robuster Auslegung wurden zur Sicherstellung vitaler Funktionen teilweise unabhängige Notstandssysteme nachgerüstet.

Fazit: Deutsche Überreaktion

Beschämend bei der Katastrophe von Fukushima war die Reaktion vieler deutscher Medien. (11) Es wurde ausführlich über die „Atomkatastrophe“ berichtet und viel weniger über die mehr als 20.000 Toten und die 300.000 Evakuierten durch Tsunami und Erdbeben. Man bezeichnet das Kraftwerk als „Schrottreaktor“ und die Arbeiter im Werk als „Todeskandidaten.“ Dabei haben die meisten japanischen Firmen nicht einmal den 250 Millisievert Grenzwert (der Regierung) angenommen, sondern sind beim international üblichen Grenzwert von 100 Millisievert für ihre Arbeiter geblieben.

Es ist unvernünftig, aus den Ereignissen in Fukushima, wo es bis heute keinen einzigen Toten durch Strahlenbelastung zu beklagen gibt und nach bisherigen Angaben auch noch kein Arbeiter den Grenzwert von 250 Millisievert überschritten hat, den Schluss zu ziehen, Kernkraftwerke seien prinzipiell nicht beherrschbar. Viele Länder auf der ganzen Welt werden auch weiterhin Kernkraftwerke betreiben und neue Anlagen bauen. Man hat dort wenig Verständnis für „German Angst“. Die Internationale Energieagentur (IEA) betont seit vielen Jahren immer wieder, dass wir bei der steigenden Weltbevölkerung, dem weltweiten Bestreben der Menschen nach einem höheren Lebensstandard und der zunehmenden elektrischen Versorgung zukünftig alle Stromerzeugungstechniken benötigen.

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