01.07.2000

Der Öko-Wolf im Schafspelz

Kommentar von Phillip Kissel

Phillip Kissel beschreibt, wie die EXPO-Vordenker die Worte "Effizienz" und "Produktivität" umdeuten: Statt der Reduzierung von mühsamer Arbeitszeit, steht neuerdings nur noch das Einsparen angeblich zu knapper Ressourcen im Vordergrund.

Die EXPO 2000 will keine jammernde Öko-Show sein. Im Mittelpunkt der präsentierten Strategien für die Zukunft steht deshalb die Effizienzstrategie. Sie dient als theoretischer Hintergrund für die vorgestellten Lösungen. Im Beitrag Ernst Ulrich von Weizsäckers zur EXPO-Buchreihe, Das Jahrhundert der Umwelt, der mit dem von Birgit Breuel herausgegebenen Band Agenda 21 die Eckpfeiler der EXPO-Publikationen bildet, wird sie als Zukunftsvision manifestiert. Im Bericht an den Club of Rome von 1995 unter dem Titel Faktor vier, ebenfalls von Ernst Ulrich von Weizsäcker, wurde die ”Effizienzstrategie” erstmals unter diesem Namen vorgestellt.

Dieser Ansatz will positiv, optimistisch und aufregend sein. Aufregend einfach ist indessen die Grundaussage: ”Beim Faktor vier geht es um die Vervierfachung der Ressourcenproduktivität. Aus einem Fass Öl oder einer Tonne Erdreich wollen wir viermal soviel Wohlstand herausholen. Dann können wir den Wohlstand verdoppeln und gleichzeitig den Naturverbrauch halbieren.”

Zentral ist dabei die Variable ”Umweltverbrauch”. Sie setzt sich aus den bei Produktion und Konsumtion entstandenen Abfällen und Emissionen sowie der dafür benutzten Fläche und Energie zusammen. Der errechnete Umweltverbrauch wird mit der Metapher ”ökologischer Rucksack” oder ”ökologischer Fußabdruck” dargestellt. Der Ehering des Familienvaters wiegt dann durch den ”hohen Verbrauch an Rohstoffen” schwerer im Rucksack als der ”Kleinbus, mit dem er seine Kinder spazieren fährt”. Jeder bekommt seinen ökologischen Rucksack, und wer ihn zu voll packt, muss etwas herausnehmen oder einen Preis für seinen exzessiven Verbrauch bezahlen.

Energieintensive Produktionen kämen so in die Bredouille, ebenso der Familienvater, der dann zur Arbeit nur noch radeln darf, wenn er schon mit dem Auto im Urlaub war. Große Unternehmen mit hohem Energie- und Materialaufwand, wie zum Beispiel Raumfahrtprojekte, wären kaum zu legitimieren. Die fünfzig Beispiele in Faktor vier gelten dem Sparen – von der Sparglühbirne zum 1,5-Liter-Auto.

Gegen ein benzinsparendes Auto oder ein Null-Energie-Haus ist per se nichts einzuwenden. Aber gegen das Konzept, das hier vorgetragen wird, schon. Die Effizienzstrategie rückt die Umwelt beziehungsweise ihre Knappheit in den Mittelpunkt unseres Weltbildes. Es ist erstens ein statisches Weltbild, das die heutige Form von Mensch und Natur als unwandelbar setzt und sich unter Zukunft die Fortsetzung der Gegenwart mit dem gegebenen Niveau verfügbarer Ressourcen vorstellt. Zweitens versteht dieses Weltbild unter Ressourcen nur Naturstoffe; dass Energie, Tatendrang und Intelligenz des Menschen unsere größten Ressourcen sind, ist diesem vulgär-materialistischen Weltbild fremd.

Effizienz heißt dann, dass die ”Freisetzung von Stoffen und Energie auf Dauer nicht größer” sein darf als die ”Anpassungsfähigkeit der Natur”. Damit wird eine Neudefinition von Effizienz und Produktivität vorgenommen, die die wirklichen Verhältnisse auf den Kopf stellt.

Wurde Produktivität bisher an der Verringerung des erforderlichen Einsatzes menschlicher Arbeit gemessen, fordert die Effizienzstrategie den Übergang von einem vorwiegend arbeitssparenden zu einem vorwiegend ressourcensparenden Entwicklungstyp. In unmittelbarem Zusammenhang damit steht zugleich der ”Übergang zu einem Effektivitätsverständnis, das nicht mehr mit Steigerung und Erweiterung, sondern mit Vermeidung und Einsparung verbunden ist.” Dramatischer lässt sich ein Begriff wohl kaum seiner gewohnten Bedeutung entkleiden und in die exakt entgegengesetzte verwandeln.

Die effizientere Gestaltung eines Produktionsprozesses zeichnete sich bislang dadurch aus, dass weniger Arbeitszeit investiert werden musste. Die Koppelung von Effizienz an das Sparen menschlicher Arbeit entsprach dem Gedanken, dass es positiv sei, wenn wir immer weniger Arbeit zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen aufwenden müssen – man stelle sich vor, die Herstellung von Brot wäre heute noch so arbeitsintensiv wie vor 200 Jahren.

Die so gewonnene Zeit konnte genutzt werden, um mannigfaltige Potenziale zu entfalten – Kunst, Kultur und Wissenschaft hätten sonst kaum entstehen können. Das Ziel der bisherigen Entwicklung, den Fortschritt voranzutreiben, war ein humanistisches. Der Mensch sollte von mühseligen Arbeiten befreit und unabhängiger von der täglichen Sicherung der Existenz werden, um sich anderen, ”höheren” Dingen widmen zu können. Keine einfache Aufgabe. Jahrhundertelang war der Kampf gegen Hunger, Armut und mangelnde Entwicklung sehr mühselig. Erst in den letzten 200 Jahren konnte erreicht werden, dass weit mehr Menschen als je zuvor ausreichend mit Gütern versorgt sind und Zugang zu Bildung, Information und Kultur haben. Ein Erfolg, der keineswegs selbstverständlich war und historisch gesehen sogar ”gerade eben” erst erlangt wurde.

Die Effizienzstrategie hingegen will Ansprüche zurechtrücken: ”Wir haben Maschinen entwickelt, die die Schätze der Erde immer schneller und effektiver in Bequemlichkeit und Wohlstand verwandeln. Aber wir waren ungeduldig und gierig.” Die im 19. Jahrhundert begonnene Entwicklung von Technik, Produktion und Wohlstand gilt den Anhängern der Effizienzstrategie als ein kindisches Verhalten des Menschen, das nun ”korrigiert” werden soll. Der Mensch wird nicht mehr gesehen als kreatives, produktives Wesen, das Förderung verdient, sondern als Umweltbelastungsvariable, die möglichst auf null reduziert werden muss.

Diese Neudefinition von Effizienz ist Ausdruck des Paradigmenwechsels von einer am Menschen ausgerichteten Zivilisation zu seiner ökologisch begründeten Regulierung und Beschränkung.

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