01.03.2000
Der Mann hat die Brötchen an und die Frau verdient die Hosen
Essay von Jennie Bristow
Die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau stirbt aus. Frau-Sein heute ist nicht mehr schwer.
In unseren Zeiten macht es Spaß, eine junge Frau zu sein. Mädchen sind sowohl in der Grundschule als auch in den weiterführenden Schulen erfolgreicher als Jungs. Von den knapp 83.000 Jugendlichen, die am Ende des letzten Schuljahres die Hauptschule ohne Abschluss verließen, waren fast zwei Drittel Jungs. Hingegen waren 55 Prozent der Abiturienten weiblich (siehe: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11: Bildung und Kultur, Reihe 1: Allgemeinbildende Schulen). Umfragen zeigen, dass werdende Eltern sich heute eher ein Mädchen als einen Jungen wünschen. Angesichts der öffentlichen Diskussionen über die beängstigende neue Generation verwirrter und gewalttätiger männlicher Jugendlicher ist dies kein Wunder.
Doch wir sollten nicht voreilig den neuen Status von Mädchen und Frauen feiern. Statistisch gesehen sind wir noch nicht ganz so weit: Frauen in Westdeutschland verdienen lediglich 77 Prozent des Nettoverdienstes ihrer männlichen Kolleginnen, in Ostdeutschland liegt die Quote bei 90 Prozent (Die Zeit, 16.9.1999). Rund 16 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiteten 1995 in Teilzeit, in der Mehrzahl Frauen; ihre Teilzeitquote lag 1996 bei 38,3 Prozent. Ob Frauen in Vollzeit, in Teilzeit oder gar nicht arbeiten, sie tragen immer noch die Hauptlast der Hausarbeit und der Kinderbetreuung.
Wer hat nun also recht? Sind Frauen heute die neuen Macher, sind sie immer noch unterdrückt oder sind sie wirklich gleichberechtigt? Zahlen und Statistiken helfen uns jedenfalls nicht, diese Frage zu beantworten. Faktisch gesehen sind Frauen im Arbeitsleben immer noch benachteiligt. Aber sagt dies etwas aus über die Entwicklung der letzten Jahre oder gar über zukünftige Veränderungen? Die Journalistin Natasha Walter schreibt in ihrem Buch The new feminism, dass “die junge gebildete Frau am Ende des zwanzigsten Jahrhundert ... eine neue Frau [ist], die, verglichen zur Generation ihrer Mutter, deutlich andere Erfahrungen und Ziele hat.” Die allgemeine Lohnstatistik unterschlägt die Veränderungen, von denen besonders die jüngeren gebildeteren Frauen profitieren. Der Unterschied im Gehalt zwischen Männern und Frauen ist in der jüngeren Generation viel geringer als in der älteren: So verdient beispielsweise eine 20-jährige Frau in Deutschland im Durchschnitt 85 Prozent des Gehalts ihrer männlichen Kollegen, eine 30-jährige Frau hingegen noch knapp 80 Prozent, und Frauen über 30 Jahren verdienen nur noch 76-72 Prozent des Gehalts ihrer Altersgenossen (Statistisches Bundesamt, Fachserie 16: Gehalts- und Lohnstrukturerhebung).
“Immer wenn Frauen an einem Arbeitsplatz in der Unterzahl sind, wird sofort angenommen, dass dies das Produkt von Diskriminierung ist”
Gleichberechtigung der Geschlechter auf der Basis von Zahlen zu belegen, ist auch in einer anderen Hinsicht nicht sinnvoll. Denn die Vorstellung, Gleichberechtigung sei erst dann erreicht, wenn es eine 50/50-Parität in jedem Beruf und jeder Institution gibt, beruht auf der Annahme, dass Männer und Frauen dasselbe vom Leben und von ihrem Job erwarten. Gerade heute ist diese Annahme problematisch, in einer Zeit, in der sich Lebensplanungen kurzfristig verändern können.
Immer wenn Frauen an einem Arbeitsplatz in der Unterzahl sind, wird sofort angenommen, dass dies das Produkt von Diskriminierung ist. Aber es ist nicht so einfach, Diskriminierung und persönliche Wahl zu unterscheiden. Wenn Statistiken zeigen, dass Frauen und Männer tendenziell in unterschiedlichen Berufsfeldern zu finden sind und Männerjobs meist höher bezahlt, bedeutet das nicht, dass Frauen in von Männern dominierte Berufe nicht gelangen könnten, wenn sie wollten. Ist die Tatsache, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer, ausschließlich mit der privaten Doppelbelastung von Frauen zu erklären? Oder kann es nicht auch sein, dass Männer gerne auch häufiger Teilzeit arbeiten würden, wenn sie nur könnten? Die moderne Gesellschaft bringt neuen Konzepten wie z.B. dem “Erziehungsurlaub” und der “beruflichen Flexibilität”, die es auch Vätern erlauben, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, viel Sympathie entgegen. Immer mehr geschiedene Männer kämpfen darum, das Sorgerecht für ihre Kinder zu erhalten. Kann man angesichts dieser Entwicklungen heute noch sagen, die Kinderbetreuung sei eine Bürde, die ungerechterweise Frauen obliegt? Muss man nicht vielleicht sagen, Kinderbetreuung ist ein Privileg, das Männern ungerechterweise vorenthalten wird?
Diese Fragen sind schwer zu beantworten, da sie in Zusammenhang mit fundamentalen Veränderungen stehen. Sie haben nicht nur mit Veränderungen im Lohngefüge sowie in der Aufhebung der klassischen Arbeitseinteilung zwischen Mann und Frau zu tun. Tatsächlich haben sich die Bedeutung der Arbeitswelt und die Bedeutung der Privatsphäre in den letzten Jahren stark verändert.
Früher richtete sich die Forderung nach Gleichberechtigung immer auf das Handeln der Menschen in der öffentlichen Sphäre. Da alle wichtigen und gesellschaftlich anerkannten Errungenschaften jenseits der Privatsphäre erreicht wurden, war klar, dass Frauen Gleichheit in der Öffentlichkeit als universellen Standard einforderten. Heutzutage scheinen die Erwartungen sowohl von Frauen als auch von Männern, etwas in der öffentlichen Sphäre zu erreichen, stark gesunken zu sein. Individueller Lifestyle ist wichtiger als jemals zuvor. Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass eine Unterscheidung zwischen dem “Gleich-Sein” im öffentlichen Raum und dem “Machen-was-ich-will” im Privatleben nicht mehr so leicht zu treffen ist.
“Muss man nicht vielleicht sagen, Kinderbetreuung ist ein Privileg, dass Männern ungerechterweise vorenthalten wird?”
Schon als Kind war mir bewusst, wie wichtig die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen in der Arbeitswelt ist. In dem kleinen Dorf, in dem ich aufwuchs, war der Kontrast zwischen den Frauen, die zu Hause blieben und den ganzen Tag mit Waschen, Einkaufen und sonstiger Hausarbeit zubrachten, und den Männern, die jeden Morgen zum Arbeiten in die Stadt fuhren, mit Händen zu greifen. Und obwohl ich Staubsaugen und das tägliche Fernsehprogramm den Jobs der Väter vorzog, wusste ich immer, dass es besser sein musste, rauszukommen, Menschen zu treffen und Geld zu verdienen. Die Welt der Hausfrau war so offensichtlich begrenzt und einfältig, dass man ihr einfach entfliehen musste.
Wenn man sich heute diese alte “Welt der Hausfrau” in Erinnerung ruft, springen einem die grundlegenden Veränderungen ins Auge: So ist die Zahl der Eheschließungen in den letzten zehn Jahren stetig gesunken. Sowohl die Anzahl der in Ein-Personen-Haushalten Lebenden als auch das Alter der Heiratswilligen wird immer höher: Ledige deutsche Männer sind bei ihrer ersten Eheschließung durchschnittlich 30,3 Jahre, Frauen 27,8 Jahre alt. Unter den 35- bis 44-jährigen Männern und Frauen mit Hochschulausbildung ist die Ledigenquote besonders hoch: Im Alter um die Vierzig sind heute fast 25 Prozent der Akademiker noch ledig. Insgesamt gaben 20 Prozent der heute 39-jährigen westdeutschen Männer und 20 Prozent der gleichaltrigen westdeutschen Frauen an, ledig bleiben zu wollen. Entsprechend verlagert sich auch die Geburt des ersten Kindes in ein immer höheres Alter: Bei Geburt des ersten Kindes sind deutsche Frauen mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren ca. 10 Jahre älter als junge Mütter im Jahre 1980 (vgl. H. Engstler: Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik, Bonn 1998).
Diese Zahlen bedeuten jedoch nicht automatisch das Ende des gewohnten Familienlebens. Die Zunahme von Ein-Personen-Haushalten kann einerseits dadurch erklärt werden, dass junge Menschen keine festen Beziehungen mehr eingehen wollen; andererseits sind ältere Menschen heute länger in der Lage, allein zu leben. Heiraten, Zusammenleben, sich fortpflanzen und Hausarbeit sind weiterhin Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens. Die objektiven Veränderungen zeigen jedoch, dass die traditionelle Aufgabenverteilung von dem Mann als “Brötchenverdiener” und der Frau als “Hausfrau” so nicht mehr existiert. Hierdurch verändert sich logischerweise die Stellung der Frau.
Da die traditionellen Geschlechterrollen nicht mehr als gegeben vorausgesetzt werden können, hat sich auch die enge Verbindung zwischen Frauen, Hausarbeit und Familie gelockert. Jüngere Generationen denken und organisieren ihr Leben heute nach ganz anderen Kriterien. Daher sind auch die Vorstellungen und Lebensläufe von Frauen äußerst unterschiedlich: je nachdem, welcher Schicht sie angehören und welchem Job sie nachgehen, divergieren ihre Einstellungen zur Familie und die damit einhergehenden Verpflichtungen. Heutzutage bleiben Frauen länger in der Ausbildung und führen länger ein Single-Dasein und unabhängiges Arbeitsleben, bevor sie heiraten und – vielleicht – Kinder bekommen.
Wenn sie welche bekommen, so sind sie meist viel älter, als es noch ihre Mütter waren, und sie werden wahrscheinlich häufiger und auch früher wieder selbst arbeiten gehen. Familienplanung kommt heute eine echte Bedeutung zu, da Familien mittlerweile wirklich nach persönlichen Kriterien “geplant” werden können. Die Menschen haben heute sehr viel mehr Möglichkeiten, wie sie ihr Familienleben gestalten wollen – mit all den Vor- und Nachteilen, die dies mit sich bringt. Natürlich ist Hausarbeit immer noch mitunter eine stupide Quälerei. Da sie heute aber – auch aufgrund von technischen Entwicklungen – nicht mehr den Lebensinhalt von Frauen ausmacht, kann sie um die wichtigeren, interessanteren Dinge des Lebens herum organisiert werden. Frauen identifizieren sich heute in erster Linie über ihren Beruf, sie ordnen ihre häuslichen Pflichten, die sie erfüllen, ihrer Hauptidentität als Lehrerin, Ärztin oder Journalistin unter.
Aber was ist nun mit den Frauen, die zu Hause bleiben, die Hausfrauenrolle einnehmen, oder mit denjenigen, die nur eine Teilzeitstelle annehmen, weil sie sich stärker um die Familie kümmern wollen oder müssen? Für sie scheint sich auf den ersten Blick nur wenig verändert zu haben. Eine genaue Betrachtung zeigt aber, dass der Schein trügt. Ob eine Frau gezwungen ist, zu Hause zu bleiben, oder ob sie sich hierzu entscheidet, sind zwei Paar Schuhe. Mehr noch: Es macht einen Unterschied, ob in einer Gesellschaft die Vorstellung verbreitet ist, dass Frauen an “Heim und Herd” gehören, oder ob die Optionen, arbeiten zu gehen, zu Hause zu bleiben oder beides zu kombinieren, als gleichwertig angesehen werden.
“Da die traditionellen Geschlechterrollen nicht mehr als gegeben vorausgesetzt werden können, hat sich auch die enge Verbindung zwischen Frauen, Hausarbeit und Familie gelockert”
Zurückzuführen ist diese Entwicklung sicherlich auch auf die wachsende Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, hauptsächlich jedoch auf die Veränderungen in der Arbeitswelt. Letztere haben für Männer wie für Frauen in den letzten 15 Jahren beträchtliche Auswirkungen gehabt. Früher wurde unter “Arbeit” eine stabile, die Familie finanzierende Einkommensquelle verstanden. Arbeit stellte damit einen wichtigeren Bestandteil der persönlichen Identität dar, als dies heute der Fall ist. Die Zunahme von Zeitverträgen, Teilzeit, befristeten Beschäftigungsverhältnissen, flexiblen Arbeitszeiten sowie die gestiegene Anzahl von Selbstständigen, die mehrere Jobs parallel haben, bedeuten, dass die berufliche Tätigkeit heute ganz andere Auswirkungen auf die Bildung der persönlichen Identität hat, als das früher der Fall war. Mitunter hat es den Anschein, als ob insbesondere junge, alleinstehende Karrieremenschen ausschließlich für die Arbeit lebten. Jedoch konnte auch früher schon der Grad der persönlichen Identifizierung mit dem Arbeitsplatz nicht an der Anzahl von Arbeitsstunden abgelesen werden. In klassischen Arbeiterberufen wie z.B. im Bergbau entschied der Beruf über das alltägliche Leben, das politische Wahlverhalten, den Ehepartner, den Wohnort, die Kneipe, in die man ging, sowie die Ausbildung der Kinder. In einer durch und durch flexiblen Arbeitswelt kann eine derartig stabile Lebenswelt mit all ihren Beziehungen nicht entstehen.
Hausfrauen hatten früher nicht nur kein eigenes Einkommen, sie hatten auch keinen Zugang zum öffentlichen, gesellschaftlichen und politischen Leben, das sich zumeist am Arbeitsplatz abspielte. Heute hingegen gilt das Persönliche als politisch: Man ist, wie man lebt, wie man sich anzieht und wie man sich fühlt. Wenn man wenig von der Arbeit und der “Welt da draußen” erwarten kann, wenn es niemanden gibt, den man wählen und an den man glauben kann, und wenn man außer dem Fitness-Studio nirgendwo beitreten kann, dann muss die Erfüllung im persönlichen Bereich gesucht werden. Und wenn Erfüllung eher im Privatleben als durch die eigene Rolle im öffentlichen Leben erreichbar scheint, verändert sich das Konzept der Gleichberechtigung. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen verwischen: Während Frauen heute häufiger Alkoholprobleme haben und stärker rauchen als früher, werden Männer gesundheitsbewusster und kaufsüchtig. Während von Frauen gesagt wird, sie seien zu berufsorientiert, scheinen sich Männer vermehrt traditionell “weiblichen” Themen zuzuwenden: Einkaufen, Gesundheit, Kinder.
Diese Erkenntnisse werden zumeist als einfacher Rollentausch von männlichen und weiblichen Werten dargestellt; was sich jedoch wirklich verändert hat, sind die Werte und Erwartungen der Gesellschaft als Ganzes. Für Männer wie auch für Frauen ist die öffentliche Welt der Arbeit und der Politik oft nur unbefriedigend und leer, deshalb richten sie ihr Leben nach ihren Hobbies und persönlicher Zerstreuung aus. Während Frauen heute erstmals in der öffentlichen Sphäre anerkannt werden – obwohl sie sich nicht sicher sind, ob sie dort überhaupt auftreten wollen –, buhlen Männer um die Chance, Teil der privaten Welt der Familie werden zu können. In diesem Kontext wird es immer schwieriger, eine Erklärung dafür zu finden, was “Gleichheit” überhaupt bedeuten soll.
Vielleicht ist es an der Zeit, nicht mehr über Gleichberechtigung zu diskutieren. Wir sollten stattdessen anerkennen, dass Männer und Frauen im Allgemeinen Chancengleichheit haben. Das Problem ist, dass beide ihre Chancengleichheit dazu nutzen, möglichst wenig Chancen zu ergreifen.