15.04.2012

„Der Heilige Rock”

Von Willy Beppler

ATELIER: In seinem Werk setzt sich der Theologe, Künstler und Schriftsteller, Willy Beppler, mit dem Mythos des Heiligen Rocks auseinander. Im Begleittext fragt er nach dessen humanistischen Gehalt: Es geht um Toleranz und Achtung vor dem Menschen über Religionsgrenzen hinweg

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Gute Bilder fördern das Nachdenken. 
Es war wirklich Nachdenken. Die Bilder waren zuerst da.


Zum Heiligen Rock, dem letzten Hemd Jesu, gibt Mayers Lexikon folgende Auskunft: „der Leibrock Christi. Unter den Tuniken Christi, die gezeigt werden, nimmt der im Dom zu Trier eine hervorragende Stelle ein“. Trier als eines der letzten Zentren weströmischer Macht ist verbunden mit dem Namen Konstantins. Seine Mutter Helena besaß dort, wo heute der Dom steht, eine Villa. Sie sammelte fleißig christliche Souvenirs. Sie soll auch den Rock gefunden haben. Aber vor Beginn des 12. Jahrhunderts wird er nicht erwähnt. Hier also steht die Uralt-Kleiderkiste eines weltweiten Unternehmens, deren Inhaber von Zeit zu Zeit den Schrank öffnen und mit stolzer Wehmut kundtun: Seht, dieses Gewand trug unser erster Chef! Die Konkurrenz schlief nicht. Es gibt etwa 20 Heilige Röcke. Einen in Frankreich sogar mit päpstlichem Zertifikat. Mythen schaffen ihre eigene Wirklichkeit. Das ist gegenwärtig zu beobachten in Zeiten des Feminismus, wie am Mythos von Maria Magdalena gehäkelt wird. Ein Sakrileg aus dem Nähkästchen.

Der echte „Leibrock Christi“ könnte tatsächlich so ausgesehen haben, wie ein abgelegtes, immerhin 1000 Jahre altes Hunsrück- oder Eifel-Hemd. Getragen von einem Bauern oder Müller. Eine Kulturreliquie. Der Heilige Rock ist aber mehr als nur ein Stück Trierer Lokalkolorit oder ein Rest Mittelalter.

Europa hat im christlichen Kleid Figur gemacht. Es machte den Rock Jesu zur Reliquie und kleidete sich selbst extravagant. Die Christenheit glich in ihrem Habit weniger dem Zimmermannssohn aus Galiläa als Jakobs Jüngstem, dem verwöhnten Josef im Bunten Rock, der mehr sein wollte als seine Brüder. Die verwandtschaftliche Ähnlichkeit hat die Christenheit aber bis zum Exzess von sich gewiesen. Man brauchte dem Rock nur einen gelben Stern anzuheften.

Zum Firmenlogo taugte der heilige Rock nicht. Dafür glich er zu sehr einem Armbüßergewand. So etwas kann man einem Würdenträger schwerlich antun. Das juckt und kratzt. Man trägt Designerkleidung. Konstantins Siegeszeichen war zweckmäßiger. Ein Kreuz ist handlicher als ein abgewetztes Gewand. Also mottensicher in die Vitrine. Im Generationensprung wird der Rock hervor geholt und pädagogisch Gassi geführt - zum ersten Mal 1512, zuletzt 1996 (und jetzt wieder im Jahr 2012 d.R.). Das genügt. Die Geschichte der Ausstellungen des Heiligen Rockes zu Trier ist interessant und mit der politischen Geschichte verbunden. Heilungswunder wurden berichtet. Was weniger überrascht. Vorbild dafür ist die „Heilung der blutflüssigen Frau“ im Markusevangelium.

Der “ungeteilte Rock Jesu“ ist aus einem Stück gewebt, um den die Kriegsknechte bei der Kreuzigung würfelten, um ihn nicht zu zerschneiden. Er wurde zum ökumenischen Symbol einer ungeteilten Kirche, die es aber wahrscheinlich so nie gab und um die heute immer noch gewürfelt wird.

Da die Ökumene auch nicht mehr ist, was sie einmal war, hat der ungeteilte Rock Christi als Zeichen christlicher Einheit offenbar seine Faszination verloren. „Der Rock“, sagte ein Katholik, „löst bei mir keine emotionalen Gefühle aus. Das ist Lokalkolorit.“ Der elegant formulierte Satz erstaunt. Hätte ihn ein Protestant gesagt, klänge er nicht viel anders, im Ökumene-Zeitalter vielleicht weniger distanziert. Der Vielzahl heiliger Röcke ergeht es wie den Ringen in Lessings Parabel in Nathan der Weise. Sie ist lesenswert. Mir bleibt die mit dieser Parabel gegebene Empfehlung.

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