01.04.2001

Der Hamster im Laufrad

Essay von Klaus Bittermann

Eberhard Diepgen, der Toplangweiler mit der Berliner Gartenlaubenmentalität, und die Zukunft Berlins. Von Klaus Bittermann.

Selbst wenn sich Diepgen mal peppig und modern geben will, wie auf dem letzten Wahlkampfplakat, als Diepgen versuchte, Lola rennt zu imitieren, sieht er in seinem Rollkragenpullioutfit bieder aus, ja er sah aus wie dem Film Chicken run entsprungen, wie eine lahme Ente auf Stelzen. Diepgen rannte und die verwischten Konturen sollten Höchstgeschwindigkeit signalisieren, tatsächlich aber hatte man den Eindruck, dass die Aufnahme so verwackelt ist wie sein Image verwaschen. Diepgen rannte und keiner wusste wohin. Es interessierte auch niemand, weshalb man den Verdacht nicht loswurde, dass da ein Hamster im Laufrad seine sinnlosen Runden dreht. Niemand sagte, oh, der progressive Diepgen strampelt sich für unsere Zukunft ab, alle dachten nur, wie peinlich und auweia, und es war typisch, dass sich in der Auseinandersetzung um das Plakat für Diepgen nur der ”Sport-Club Charlottenburg” stark machte, weil Diepgen ”sich läuferisch am Silvesterlauf des SSC” beteiligt hatte.

“Bei öffentlichen Anlässen versucht man, Diepgen nur dann ans Mikrophon zu lassen, wenn es das Protokoll verlangt.”

Dieses drollige Bekenntnis steht im Internet unter www.Diepgen.de/persoenlich/profil.htm. Und dieses Profil passt denn auch auf Diepgen. Auf der Website des Berliner Bürgermeisters findet man außerdem unter ”topSecret” die Hinweise, dass er ”zu aktuellen Fragen immer eine hohe Detailkenntnis [hat] und über ein hervorragendes Gedächtnis” verfügt, was in der Tat so top secret ist, dass nicht mal seine engsten Freunde es wussten. Sein Fitnessgeheimnis: ”Er kann ganz leicht abschalten”, was er denn auch ständig und ausgiebig tut. Seine Lieblingssendung ist ”Akte X”. Unter ”Stärken und Schwächen” erfährt man: ”Diepgen ist nicht nur Politiker. Er ist vor allen Dingen auch Familienmensch. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Frau Monika und den beiden Kindern.” Und man fragt sich, worin bestehen nun eigentlich die Stärken? Der Schwafelgehalt seiner Reden ist selbst für einen Politiker ungewöhnlich hoch. Diepgen sagt: ”Ich freue mich besonders, dass wir im Gemeinsamen Ausschuss immer mehr dazu kommen, über die praktische Umsetzung von bereits gefassten Beschlüssen zu reden. Also, es geht um praktische Arbeit vor dem Hintergrund von Beschlüssen.”

Kein Wunder, dass man bei öffentlichen Anlässen versucht, Diepgen nur dann ans Mikrophon zu lassen, wenn es das Protokoll verlangt. Diepgen, so diagnostizierte Alexander Osang, ”verpackt seine Aussagen in Sätze, die mit Substantiven voll gestopft sind, er betont falsch und macht unmotiviert lange Pausen zwischen den Wörtern. Manchmal auch mitten im Wort. Diepgen sagt ‘Chan…..cen’. Zwischen den Worthälften kann man sich ein Bier holen. Er schindet Zeit wie ein Conférencier, der noch auf die Band wartet. Zusammen mit seinem säuselnden Bass führt es dazu, dass ihm niemand länger als zehn Minuten folgen kann.”

Man begreift, warum Diepgen selbst bei Sympathisanten als tödlich gilt. Als Politiker umweht ihn der Mief des Provinziellen, als Mensch ohne Eigenschaften müht er sich zwar redlich, einen guten Eindruck zu machen, aber seine Ausstrahlung ist die eines fünfstündigen Dokumentarfilms über das Mauerblümchen. Kein Wunder, dass sich niemand empörte, als Diepgen Opfer eines Eierattentats des Politaktivisten und Happeningkünstlers Dieter Kunzelmann wurde. Diepgen wurde zur Witzfigur, an dem sich ernsthaft und im wirklichen Leben niemand vergreifen würde, was jedoch nicht hieß, dass das böse Diepgen, wie er im Volksmund genannt wird, die Attacke souverän wegsteckte. Vielmehr ließ er die Justiz mit der ganzen Härte des Gesetzes zurückschlagen. Wohl auch in der Annahme, er wäre ernsthaft gefährdet und würde nicht bloß lächerlich gemacht – wobei ihm als lächerliche Figur sowieso nichts peinlich ist –, hat Diepgen das Justizressort übernommen und pfeift in einzigartig selbstherrlicher Weise auf das demokratische Prinzip, demzufolge gesetzgebende und rechtsprechende Gewalt getrennt sein sollten.

Das zeigt, dass man diesen Mann trotz seiner Lächerlichkeit nicht unterschätzen darf. Seit 14 Jahren ist er Regierender Bürgermeister, seit 17 Jahren Landesvorsitzender, und nachdem er von seiner Partei vor einigen Monaten zum neunten Mal in seinem Amt bestätigt wurde, sieht es so aus, als würde Diepgen auch weiterhin Berlins ”Zukunft gestalten” (Parteitagsmotto). Immer wieder wurde Diepgens Fall prophezeit, zuletzt im Herbst ’98, als die Berliner CDU bei den Bundestagswahlen hinter Brandenburg am schlechtesten abschnitt. ”Die Tage des Eberhard Diepgen sind gezählt”, orakelte damals der Spiegel, aber nur eineinhalb Jahre später erhält Diepgen auf dem Landesparteitag SED-verdächtige knappe 90 Prozent der Stimmen.

Abgesehen davon, dass in Berlin personell keine Alternative existiert, die SPD in einer großen Koalition vor sich hinkümmert und von Jahr zu Jahr in der Wählergunst weiter nach unten rutscht, wird Diepgens Beharrungsvermögen unterschätzt, welches er daraus bezieht, dass er ”100 Prozent Berlin” ist. Und das stimmt. Darüber hinaus ist er jedoch nichts.

Diepgen hat Berlin nie verlassen. In Berlin wurde er geboren, in Berlin hat er studiert – Jura. 1962 trat er der CDU bei. Er war RCDS-Mitglied und 1963 einmal ein schnell scheiternder AStA-Vorsitzender. 1972 wird Diepgen als Rechtsanwalt zugelassen. Während seines Studiums lernt er die entscheidenden Leute kennen, die er als ”Häuptling Brauner Bär” braucht, um seine lokale Macht auf dem langen Marsch durch die Parteimühle aufzubauen. Als kleiner Provinzboss hat Diepgen ein mafiöses Netz geknüpft, in dem Freunde mit Ämtern und Pfründen bedacht und Feinde ins politische Abseits geschoben werden. Natürlich wird dadurch auch der Politik-Stil geprägt. Entscheidungen werden verschleppt und ausgesessen. Die ideale Form des ”Weiterwurstelns”, befand der Tagesspiegel: ”Vorn Landowsky als Personalunion von Volkstribun und Minenhund, hinten Kittelmann und Freunde als Kulissenschieber und Pöstchenverwalter”.

Dennoch wäre Diepgen auch mit Unterstützung seiner Kumpels niemals ans Ziel seiner Träume angekommen, hätte sich 1981 die SPD-Regierung unter Dieter Stolpe mit dem Garski-Skandal nicht selbst den Todesstoß versetzt. Und selbst dann gelangte Diepgen erst an die Macht, als Hans-Jochen Vogel und Richard von Weizsäcker Berlin wieder verlassen hatten und einfach keiner mehr übrig war, dessen Niveau Diepgen noch hätte unterlaufen können. Kaum war Diepgen aus Mangel an Alternativen Regierender Bürgermeister, bewies er in der ”Antes-Affäre” auch schon, dass die CDU im Fach ”Korruption” durchaus mit der SPD Schritt halten konnte.

Diepgens CDU überstand aber auch dieses Problem, auch wenn ein gelangweiltes Wahlvolk im Jahr des Mauerfalls einer rot-grünen Koalition den Vorzug gab. Das war für Diepgen allerdings sehr bitter, weil die zwei wichtigsten Jahre in der Berliner Politik unter der kurzen Ägide von Momper an ihm vorbeiliefen. Seit er wieder zurück im Amt ist, geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Die Pleite um die Olympiabewerbung ebenso wie die Vorwürfe der Kungelei perlen an dem Teflon-Mann ab, und wenn sich innerparteilicher Widerstand regt und Jörg Schönbohm seine Kandidatur ankündigt (1998), dann kann sich Diepgen auf seine alte Seilschaft aus der schlagenden Verbindung ”Saravia” verlassen.

Als Berlin jedoch, wie Diepgen sich das gewünscht hatte, Hauptstadt wurde, veränderten sich die politischen Koordinaten. Die Zeiten, als sich Diepgen im Glanze der Queen oder des amerikanischen Präsidenten sonnen durfte, waren vorbei. Schröder machte die Honneurs und scheuchte den blassen Diepgen weg, wie noch im letzten Mai, als Schröder mit Clinton konferierte. So musste Diepgen versuchen, sich selber wieder ins Rampenlicht zu mobben. Zur Wiedervereinigungsfeier am 9. November letzten Jahres trieb er seinen Stab in den Tagen vor dem Festakt ”fast in den Wahnsinn”. Am Wichtigsten, erzählte laut Spiegel ein Betroffener, ”war die Frage, ob und wie es der Regierende Bürgermeister schafft, gemeinsam mit dem Bundeskanzler anzukommen und auf das Podium zu steigen”.

Um nicht völlig aufs repräsentative Abstellgleis zu geraten, gab Diepgen im Bundesrat dem Kanzler sogar seine Stimme und verhalf ihm bei der Steuerreform zu seinem bisher größten Coup. Jetzt sieht man wieder einen grauen Anzug mit Haartolle im Schlepptau des Kanzlers, wenn das Ehepaar Putin durchs Brandenburger Tor geschleust wird, und auch Jacques Chirac wird vom Protokoll des Kanzleramtes zu Diepgen ins Rote Rathaus gelotst. Die taz meinte, dass Diepgen einfach keine andere Wahl hatte: ”Er musste auf Schröders Angebot eingehen: Nicht nur der Millionen wegen, sondern vor allem um des eigenen Prestiges willen.”

”Künstler, die mit ihrer Kunst provozieren wollen, müssten wissen, dass sie damit Provokationen hervorrufen.”

Und tatsächlich scheinen die Fragen der Etikette Diepgen wesentlich wichtiger als die auf fünf Jahre verteilte halbe Milliarde, mit der sich jedoch auch nicht alle drängenden Probleme in der Hauptstadt lösen lassen. Zwar ist der Streit darüber entschärft, welche ”Leuchttürme der Kulturlandschaft” vom Bund und welche vom Land unterhalten werden, aber interessant ist es schon zu wissen, wie Diepgen darüber denkt. ”Ich akzeptiere nicht”, sagte Diepgen dem Tagesspiegel, ”dass sich der Bund ausschließlich für den deutschen Widerstand zuständig erklärt und dem Land Berlin den Holocaust überlässt.”

Gerade das Eisenmannsche Stelenwerk in der Nähe des Brandenburger Tores empfindet Diepgen als Schande für Berlin, weswegen er der feierlichen Grundsteinlegung des zwölf Jahre lang erfolgreich verschleppten Projekts einfach fernblieb. Sowieso steht Diepgen mit Kultur und dem ganzen Zeug auf Kriegsfuß. 1987 mumpfelte er als Meister der Tautologie über den Skulpturen-Boulevard auf dem Kurfürstendamm: ”Künstler, die mit ihrer Kunst provozieren wollen, müssten wissen, dass sie damit Provokationen hervorrufen.” Und im Jahre 2000 machte er den populistischen Kraftprotz, der Künstler für etwas Abartiges hält, wenn sie nicht bei Karl Moik mitschunkeln: ”Wir wollen nicht mehr abgetanzte, abgelatschte Künstler mit öffentlichen Mitteln durchbringen.” Lieber legt er persönlich Hand an bei der Befruchtung des Pandaweibchens im Berliner Zoo.

Der Neubau des ”Topographie des Terrors” wurde gestoppt, weil die Kosten von 45 auf 70 Millionen Mark explodierten. Das Olympiastadion konnte mittlerweile dem Bund aufs Auge gedrückt werden, aber der Flughafen bleibt eines der ”ganz wichtigen Projekte, wo schnell mit den Baumaßnahmen begonnen oder unumkehrbare Entscheidungen getroffen werden müssen”, so Diepgen, aber in Berlin-Schönefeld und auch beim Bau eines anderen Prestigeobjektes, der U5, schlägt man sich gerade mal mit dem herum, was sich in der poetischen Sprache der Bürokratie ”Planfeststellungsverfahren” nennt. Lieber hängt Diepgen dem Projekt nach, den ”Schlossplatz, diese offene Wunde im Herzen der Stadt”, zu bebauen, ein Vorhaben, das die meisten Beobachter, die die Angelegenheit etwas weniger lyrisch betrachten, als Verschwendung öffentlicher Gelder sehen.

Diese Liste der Pannen, Versäumnisse und Renommierprojekte erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für den Spiegel handelt es sich um ”das trostlose Versagen des politischen Managements”. Aber genau darin besteht das Wesen der Berliner Regierungspolitik, das System Diepgen: aus schlechten Kompromissen, der Organisierung des Mittelmaßes und aus der Verwaltung des Mangels – eine Politik, die eben herauskommt, wenn sie auf bloßen Machterhalt aus ist. Und Diepgen? Diepgen repräsentiert. Endlich wieder auf internationalem Parkett, wo er allerdings in seiner Tapsigkeit manchmal mit einem Dolmetscher oder Leibwächter verwechselt wird. Aber gerne geht er auch als Sänger auf ein Brauereifest in Friedrichshagen, wo der ”100 Prozent Berlin”-Mann noch gerne genommen wird.

“Wenn Diepgen eines Tages weg ist, wird man sich nach kurzer Zeit nicht mehr daran erinnern, dass er mehr als 14 Jahre Berlins Bürgermeister war. Eine große Amnesie wird sich breit machen, und die wird dann nach ihm benannt.”

Wenig hingegen kann man mit ihm inzwischen sogar in so müden Politiker-Selbsterfahrungsgruppen wie der von Sabine Christiansen anfangen. ”Man merkte sofort”, schrieb Alexander Osang in der Berliner Zeitung, ”dass er nicht mehr dahin passt. Alles schien zu schnell für ihn, wenn er redete, schliefen die anderen, wenn er fertig war, hatten sie diesen So-jetzt-wollen-wir-mal-wieder-zum-Thema-kommen-Gesichtsausdruck.”Es kann also sein, dass sich Diepgen noch lange hält, weil er einfach einer von den Mehrheits-”Ballinern” ist, die ihm die Stange halten. Aber wenn er eines Tages weg ist, wird man sich nach kurzer Zeit nicht mehr daran erinnern, dass das Diepgen mehr als 14 Jahre Berlins Bürgermeister war. Eine große Amnesie wird sich breit machen, und die wird dann nach Diepgen benannt.

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