31.03.2010

Der Euro: Saldenmechanik made in Germany

Von Radu Golban

Das europäische Währungssystem steht vor einem Scherbenhaufen und enthüllt dabei Parallelen mit der NS-Zeit.

Griechenland steht vor dem Staatsbankortt, andere europäische Länder sind am Taumeln. Die EU sucht nach Wegen zur Stabilisierung des fragmentierten Wirtschaftsraums. Deutschland muss sich des Vorwurfs erwehren, als traditionelle EU-Lokomotive egoistisch zu handeln. Und der seit jeher pragmatischen Gesichtspunkten folgenden Europäischen Union werden Kompetenzen in Finanz- und Währungsfragen angedichtet, die sie nie hatte und offenbar auch nicht haben sollte. Rächt sich nun auch in Wirtschaftsfragen, dass die politische Idee eines vereinten Europas freier Bürger nicht eingelöst wurde?
Mit der Einführung des „Euro“ als Einheitswährung und einer Verankerung der Wechselkurse konnte Europa in den Augen der Bürger einen ansehnlichen Integrationssprung schaffen. Doch eine offene Diskussion über die Substanz dieses Schrittes, über die Quellen, Kompetenzen und Möglichkeiten, die sich hieraus ergaben, wurde zu keinem Zeitpunkt geführt. So heißt es bis heute, der Euro sei nicht nur eine Einheitswährung, sondern auch eine Währungsunion. Doch das ist er definitiv nicht. Nach wie vor gibt es eine tiefe nationalstaatliche Verankerung der gemeinsamen Verrechnungswährungen, was nicht zuletzt die Griechenland-Krise offenbart hat. Die vermeintliche Währungsunion ist bei genauerer Betrachtung nicht mehr als ein Verbund fester Wechselkurse, der den Namen „Euro“ tragen darf. Daran ändert auch die anhaltende Einheits- und Integrationsrhetorik der EU-Bürokratie nichts.

Einheitswährung statt Währungsunion

Im Jahre 1930 analysierte der schwedische Ökonom Erik Lindahl den Untergang der beiden grossen europäischen Währungsunionen – die Lateinische Münzunion von 1865-1927 und die Skandinavische Münzunion von 1873-1924. Er stellte fest, dass das Fehlen einer „wirklichen Zentralbank“ und eines gemeinsamen Finanzministers Gründe für das Scheitern beider Währungsunionen waren. Wie sieht es im Euro-System aus? Am wenigsten in das romantisierende Einheitsbild, das EU-Bürokraten und Berliner Eliten zeichnen, passt das Fehlen einer wirklichen Zentralbank. Das ESZB (Europäische System der Zentralbanken) ist ein dezentraler Verbund aus sechzehn Nationalen Zentralbanken (NZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB) und für die Steuerung und Emission des Geldes in der EWU zuständig. Die EZB spielt dabei aber keinesfalls die Rolle, die der Name suggeriert. Damit sie aber nicht als einzige „Zentralbank“ der Welt ohne Notenbankkompetenz dasteht, ist im Januar 2002 von ihrem Gouverneursrat beschlossen worden, dass acht Prozent der von den NZB emittierten Noten als EZB-Noten zu gelten haben. Auch wenn also auf den Banknoten die EZB als Emissionsbank ausgewiesen wird, sind einzig und allein die NZB echte Notenbanken im klassischen Sinne. Bis auf die Koordinierung der Refinanzierungsoperationen der NZB und Verkündungen der Entscheidungen durch den EZB-Präsidenten ist die Rolle der EZB sehr beschränkt.
Das Fehlen eines „Lender of last Resort“, eines „Kreditgebers in Not“ verdeutlicht ebenfalls, dass die Europäische Zentralbank im Grunde ein Kaiser ohne Kleider ist. Ansonsten müssten, wie bei der aktuellen Griechenland-Krise, nicht Politiker fremder Staaten über Kreditpakete für Athen beraten. Auch IWF-Hilfe oder die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds wären kein Thema. Die aktuell auf Clearingabkommen basierte EU-Währungskooperation sieht keine Hilfen vor.
Untypisch für eine Währungsunion ist auch die unterschiedliche Risikobewertung der Staatsanleihen einzelner Mitglieder. Diese unterschiedlich verzinsten Papiere sind ein Indiz für einen suboptimalen Währungsraum, legt man Mundells Kriterien für „optimale Währungsräume“ zugrunde.1 Besondere Beachtung verdienen die Staatsanleihen im Euro-System vor allem, weil die handelbaren Schuldverschreibungen einzelnen Staaten erlaubten, die Stabilitätskriterien von Maastricht zu untergraben. Bei der Emission von Staatsanleihen spielen nämlich die EZB-Regeln für die Geldzuteilung keine Rolle. Deshalb konnten Mitgliedstaaten in der Vergangenheit nahezu ungebremst Staatsanleihen (statt Geld) drucken. Sie fanden damit eine alternative und bequeme Form der Schuldenfinanzierung.
Doch weshalb gibt es keine EU-Anleihe, sondern nur Anleihen einzelner Mitglieder? Weil die Nationalstaaten offenbar nicht dazu bereit waren, viel mehr als ihre Währungshoheiten im Bereich der Papiergeldgestaltung aufzugeben. Deshalb ist der Euro im Grunde nur eine entwickelte Form eines Clearingabkommens.
Griechenland „profitierte“ über gewisse Zeit wie viele andere EU-Mitglieder von diesen Regeln des EU-Wirtschaftsraumes. Aufgrund der Euro-Anleiheemissionen zum niedrigeren EZB-Referenzzins gegenüber dem vormals höheren Zins der Nationalwährung fand sich ein günstiger Weg der Staatsfinanzierung. EU-Mitgliedsstaaten konnten mit dieser Form monetärer Trittbrettfahrermanier sogar die Maastrichter Kriterien vorübergehend einhalten. Das von osteuropäischen Euro-Anwärtern vielfach beachtete „griechische Modell“ des Euro-Beitritts mit einer zweijährigen Vorbereitungszeit und der Teilnahme am Wechselkursmechanismus II (WKM II) hatte eine relative Aufwertung der Nationalwährung (Drachme) zu Folge. Bei der Fixierung des endgültigen Umrechnungskurses in Euro bedeute dies einerseits einen in Euro gemessenen niedrigen Schuldensaldo, andererseits eine nahezu ungebremste Konsummöglichkeit für die Bevölkerung. Dem damit verbundenen Wettbewerbsverlust der eigenen Wirtschaft wurde indes kaum Beachtung geschenkt.

Eingebaute „Schönheitsfehler“ zur Stabilisierung

Aus Sorge, dass eine Finanzkrise das Vertrauen in die gemeinsame Währung erschüttern könnte und die Bargeldakzeptanz im Euroraum selektiv werden könnte, hat man ganz im Stile der EU-Verschleierungstaktik die Erkennung der herausgebenden NZB-Währung anhand des Erstbuchstaben in der Seriennummer in der alphabethischen Reinefolge (nach ihrer Landessprache) der Länder mit den Buchstaben des umgekehrten Alphabets versehen. So erhielt Belgien den Buchstaben „Z“, Deutschland „X“ etc. Vermutlich wurde schon bei der Wahl des Seriennummerndrucks erwogen, das Papiergeld einzelnen Ländern zuordnen zu können, um sie später ggf. von der Währungsanbindung ausschliessen zu können. Auf derlei Überlegungen deuten auch die Bargeldmeldepflichten beim Grenzübertritt innerhalb des Euroraums hin, die für einen einheitlichen Währungsraum unüblich sind.
Ein weiteres Manko für einen optimalen Währungsraum ist nach Mundells Theorie2 auch der fehlende einheitliche Realzins. Die Unterschiede in den Inflationsraten und damit in den Realzinsen sind im Euro-Raum gewaltig. Sie führen unweigerlich zu einem Konvergenzproblem. Länder mit einer niedrigen Inflation, gefördert u.a. durch zurückhaltende Lohnabschlüsse, erfahren in einem solchen Kontext eine reale Abwertung und eine Steigerung ihrer Exporte.
Zu Beginn der Währungskooperation führte der einheitliche Euro-Refinanzierungszins aufgrund einer tiefen Inflation in Deutschland zu verhältnismässig höheren und für die Mehrheit der europäischen Partner (trotz höherer Inflation) zu niedrigeren Refinanzierungskosten. Moderate Lohnzuwächse in Deutschland in der Folgezeit hatten dann den Charakter einer relativen Abwertung. Dadurch wurde der vormals negative Zinseffekt ausgeglichen, die Exporte zogen an und die deutsche Wirtschaft entfaltete neue Dynamik.

Währungsfusion oder Währungssubstitution

Weshalb aber haben sich die Gründungsväter des Euro-Raumes nicht für das einfachere und transparentere Modell der Währungssubstitution entschieden, wonach ein Land, das eine Währungsunion mit einem anderen Währungsraum eingehen möchte (insofern es über ausreichende Währungsreserven der ausländischen Zielwährung verfügt), diese Union bspw. per Dekret direkt implementieren kann. Für den Beitrittsstaat bedeutet die Aufgabe seiner Währungshoheit (oder das Aussetzen der Währungshoheit für die Dauer der Währungskooperation wie z.B. Liechtenstein und die Schweiz) eine finanzielle Disziplinierung – vor allem bei der Haushaltspolitik, weil ihm ausser Steuereinnahmen die Möglichkeiten des Gelddrucks oder anderer kreativer Formen der Refinanzierung nicht gegeben sind. Jedenfalls wären Staatsanleihen dann nicht als zentralbankfähige Sicherheiten einzustufen und somit für die eigene Schuldenfinanzierung ungeeignet.
Doch die Realisierung einer auf Währungssubstitution beruhenden Währungsunion in Europa unter der Führung der D-Mark hätte selbst mit einem neutralen Namen keine Chance auf Erfolg gehabt. Neben politischen Ungereimtheiten verfügte die überwiegende Mehrheit der europäischen Staaten seinerzeit nicht über ausreichende D-Mark-Reserven. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann aber die Frage, ob es generell als sinnvoll und wünschenswert zu betrachten ist, wenn Länder mit unterschiedlichen Wirtschaftsleistungen und Lebensstandards den Weg der engen monetären Kooperation suchen. Entgegen der politischen Einheitsrhetorik wird dies angesichts der Krisensituation zunehmend und zu Recht skeptisch betrachtet. Sind gängige Wechselkurs- und Zinsinstrumente nicht besser geeignet, Wettbewerb und Dynamik in Wirtschaftsräumen zu erhalten?

Historische Parallelen

Die Entscheidung, den Euro auf einem System fester Wechselkurse zu gründen geht anscheinend auch auf umstrittene historische Quellen zurück. Der letzte Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister des NS-Regimes, Walther Funk, hat nämlich bei verschiedenen Anlässen seine Vorstellungen einer Währungskooperation in Europa nach der Beendigung des Krieges beschrieben, die dem heutigen System nicht unähnlich sind. Die kriegerische Auseinandersetzung in Europa in den 1940er Jahren erlaubte Walther Funk, eine ungehemmt nationalistische, ausschliesslich am deutschen Wohlergehen orientierte monetäre Politik umzusetzen. Die von ihm unter dem Begriff „die wirtschaftliche Neuordnung Europas“ oder der „Neuaufbau der europäischen Wirtschaft“3 angeführte Diskussion wirft auch ein etwas schales Licht auf die aktuelle Diskussion. Nur schwer kann man sich heute des Eindrucks erwehren, dass nicht wenige seiner Ansätze bis heute Bestand haben, auch wenn das nicht offen thematisiert wird, was wiederum nicht verwunderlich ist. Denn den Kriegsverlierer und späteren Exportweltmeister Deutschland als europäische Großmacht zu titulieren, war über Jahrzehnte lang ein Tabu. Deutschland wuchs zwar zur Wirtschaftsmacht heran, das Land blieb aber bis zum Bruch der Alten Weltordnung politisch zweitrangig und militärisch eine Null. Diese Rahmenbedingungen haben aber offenbar nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass der Euro-Raum zu dem wurde, was er heute ist: ein von der deutschen Wirtschaft und Politik maßgeblich geprägter Wirtschaftsraum, der sich gerne mit verbalen Einheitsmäntelchen schmückt.
Deutschland hatte in den Zwischenkriegsjahren im letzten Jahrhundert aus einer chronischen Devisenknappheit heraus versucht, den europäischen Aussenhandel über so genannte Clearingabkommen (Verrechnungsabkommen) zu gestalten. Der nationalsozialistischen Regierung gelang es, die Verrechnungsverträge zur Durchsetzung des Grossraumwirtschaftskonzepts zu nutzen.4 Die Clearingverträge beinhalteten auch die Verrechnung gegenseitiger Forderungen, so dass nur Überschüsse durch Zahlung oder Gutschrift zu begleichen waren. Für Walther Funk hatte ein gut funktionierendes Clearingsystem mit festen Umrechnungssätzen über lange Zeiträume eine zentrale Bedeutung. Unschwer lassen sich an seinen Positionen auch Umrisse des Euro-Systems erkennen.
Weil die deutschen Exporte auf Drängen von Hjalmar Schacht, dem Amtsvorgänger von Walther Funk, zurückgefahren wurden, standen die Clearingländer unbezahlten deutschen Defiziten gegenüber, was die Wirkung von verdeckten Anleihen für Deutschland hatte. Heute hingegen stehen die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands im innereuropäischen Handel am Pranger. Es sollte nicht wundern, dass diese, wie einst deutsche Clearingüberschüsse, im heutigen EU-Binnenmarkt von den Partnerländern als gehörige Last empfunden werden.
Zwischen Clearing- oder Leistungsbilanzüberschüssen gibt es keinen grossen finanztechnischen Unterschied. Ein ähnliches Szenario wie in den 1940er Jahren, als die Preise für deutsche Importe stärker stiegen als die Preise für Ausfuhren, spielt sich heute mit der realen Abwertung der Preise in Deutschland ab. Parallelen zeigen sich auch bei der während der Kriegsjahre von Deutschland auf dem Papier offerierten Preise für Agrargüter. Dies führte zu einem Anstieg des Preisniveaus in den angeschlossenen Clearingländern. Für Funk war dies wichtig, weil hierdurch eine langfristige Abhängigkeit von Geschäften mit Deutschland garantiert werden konnte.
Griechenlands Beitritt zum Euro am Ende des WKM II führte aufgrund der Aufwertung der Drachme (gefördert u.a. durch Direktzahlungen der EU für Agrarsubventionen) ebenfalls zu einem höheren Preisniveau und damit unweigerlich zu einem Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit des südosteuropäischen Beitrittslandes. Funk propagierte das von Hitler-Deutschland favorisierte Modell der Währungsunion würde allmählich zu einer Angleichung der Lebensstandards führen, was bekanntlich nicht eintrat. Ob der Euro als Verrechnungswährung dazu geeignet ist, die Lebensverhältnisse im Euro-Raum anzugleichen, darf bezweifelt werden.

Deutsche Lohn- und Preisstabilität

Funk betonte als Vorteil eines allgemein gültigen Geld- und Zahlungssystems auch die umfangreichen Reglementierungen und Zwangsmassnahmen. Den von Deutschland in den Vorkriegsjahren entwickelten Preis- und Bewirtschaftungsmethoden kam hierbei ein hoher Stellenwert zu. Die an Lohn- und Preisstabilität ausgerichtete innere und äussere Wirtschaftspolitik sollte einerseits anderen Ländern sicheren Halt geben, Deutschland andererseits davor bewahren, beim Entstehen von Ungleichgewichten auf den ausländischen Abwertungsdruck reagieren zu müssen.
Am Vorabend der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags gab es eine vergleichbare Situation. Der Exportriese Deutschland sah sich dauernden Abwertungsbestrebungen seiner europäischen Partner im Kampf um Marktanteile ausgesetzt. Durch höhere Zinsen musste der ausländische Preisdruck aufgefangen werden, was der deutschen Wirtschaft nicht guttat. Erst die dauerhafte Verankerung der Wechselkurse im Euro-System stellte jene Garantie her, die auch Funk ein halbes Jahrhundert zuvor vorschwebte. Würde man sich heute das Euro-Papiergeld für einen Augenblick wegdenken, dann bliebe kaum mehr als eine Verrechnungsgemeinschaft mit „Funkschem“ Wohlstandsgefälle zwischen Deutschland und den PIIGS5 übrig.
Die Gefahr von Inflationsimport ist in einem System fester Wechselkurse sehr hoch, wenn Partnerländer ihre Währung abwerten können. Deshalb wurde seitens der Architekten des Euro-Systems in den Maastrichter Kriterien ein Mechanismus zur Sterilisierung der Inflation an der Quelle implementiert. Der gewaltige Leistungsbilanzüberschuss macht Deutschland zum grössten Nettokapitalexporteur Europas – und andere Länder zu Schuldnern. Die Maastrichter Kriterien zur Budgetdisziplin kann man vor diesem Hintergrund auch als indirekte Anleitung zur monetären Sterilisierung von Krediten im Dienste deutscher Überschüsse interpretieren. Nachvollziehbar ist es, dass Deutschland gerne an dieser Konstruktion festhält. Der Preis für den relativen Wohlstandszuwachs südosteuropäischer Staaten (mit deutschen Krediten angefacht und mit deutschen Exportgütern bewerkstelligt) wird heute einzig und allein über fiskalische Mittel verrechnet. Die deutsche Wirtschaft ist in einem solchen System sowohl vor dem Risiko flexibler Wechselkurse als auch vor dem Risiko eines Inflationsimports weitgehend gefeit.

Ein paar kritische Fragen und Kommentare aus dem In-und Ausland sollte sich die europäische Wirtschaftsmacht daher schon gefallen lassen, statt sie mit politisch korrektem Einheits- und Gerechtigkeitsgerede abzubügeln, wie unlängst im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise geschehen.

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