01.09.2000
Der deutsche Technologieeinsatz ist konservativ
Essay von Alexander Ewald
Von der New Economy ist in Deutschland viel zu hören. Von einem progressiven Wandel ist die deutsche Wirtschaft aber weit entfernt. Unternehmensstrategien sind geprägt von Risikodenken, sagt Alexander Ewald.
Vor wenigen Monaten wurde hierzulande noch euphorisch der Beginn einer neuen Ära verkündet. Nachdem es als bewiesen galt, dass die Segnungen des amerikanischen Wirtschaftswunders auf die “New Economy” zurückzuführen sind, wurde auch Deutschland auf dem Weg dorthin gesehen. Die rasant steigenden Aktienkurse an den deutschen Börsen, der Höhenflug des Neuen Marktes sowie die Diskussion um den dramatischen Mangel an Softwareentwicklern untermauerten die Glaubwürdigkeit dieser Einschätzung, derzufolge eine qualitativ neue Wirtschaft entstehe, die vor allem von den neuen Technologien angetrieben werde.
Tatsächlich präsentierten sich deutsche Unternehmen, die in den Informations- und Biotechnologie-Bereichen aktiv sind, in den letzen Jahren als recht dynamisch. Innerhalb Europas kann Deutschland inzwischen auf den größten und den am schnellsten expandierenden Biotechnologie-Bereich verweisen. Auch bei den Informationstechnologien haben sich deutsche Unternehmen wie SAP international durchsetzen können. Der deutsche Markt ist zudem stark gewachsen und noch keinesfalls gesättigt. Die Ausrüstung der Unternehmen mit PC, Netzwerktechnik und Software verschlingt jährlich wachsende Milliardenbeträge und hat in der Branche zu einem erheblichen Wachstum beigetragen.
Als Zeichen für den verstärkten Einsatz von Informationstechnologien in den Unternehmen können auch die Ankündigungen vieler Industrieunternehmen gelten, die beim Aufbau von Internetplattformen auf Technologiepartner setzen. Daimler Chrysler, Ford und General Motors wollen noch in diesem Jahr eine solche Einkaufsplattform aufbauen. Statt also beim Business-to-Consumer (B2C) stehen zu bleiben, setzt man inzwischen auch auf die Chancen, die sich durch die Kommunikation, also etwa den Einkauf, im Business-to-Business (B2B) ergeben.
Konservative Ziele
Zweifellos haben die hoch entwickelten Regionen, allen voran die USA, Europa und Japan, ein hervorragendes Potenzial, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu erzielen und daraus marktfähige Technologien zu entwickeln. Auch über das erforderliche Kapital, um die “Technologierevolution” anzugehen, dürften die dort ansässigen Unternehmen verfügen.
Bei näherer Betrachtung der Lage erscheint es jedoch fraglich, ob Deutschland eine führende Rolle beim Übergang in die “Informations- und Technologiegesellschaft” spielen kann. Trotz der vollmundigen Ankündigungen von Unternehmen, die Chancen der neuen Technologien nutzen zu wollen, ist die Begeisterung in der Regel eher oberflächlich und der Technologieeinsatz vor allem konservativ.
Die Motivation für viele Unternehmen, das Internet zur Verkaufsförderung einzusetzen, speist sich aus der Befürchtung, dass die Konkurrenz hierdurch die eigene Kundenbasis abwerben könnte. Eine mindestens ebenso wichtige Motivation, in das B2B einzusteigen, liegt im Potenzial für Kostensenkungen, die vor allem beim Einkauf gesehen werden. Durch Ausschreibung im Internet soll eine größere Transparenz und damit ein größerer Kostendruck auf die Lieferanten ausgeübt werden. So beurteilte Bernd Gottschalk, der Präsident des einflussreichen Verbandes der Automobilindustrie (VDA), das Potenzial der neuen Informationstechnologien als eher gering, denn das B2B werde “keine Revolution” bewirken, wohl aber Prozesse beschleunigen, sie transparenter machen und vor allem Kosten senken (VDA Telegramm, 14.7.00).
Wie weit die Faszination für die Nutzungsmöglichkeiten des Internet zur Informationsgewinnung oder einzelne technologische Neuerungen wie etwa Bild- und Videoübertragung via Handy auch sein mögen, eine breite Diskussion über die Nutzungsmöglichkeiten der Informations- und Biotechnologie hat in Deutschland noch nicht eingesetzt. Die Informationsgesellschaft wird allzu gern auf Wissensmanagement reduziert, ganz so, als ob “Wissen” per se einen besonderen Nutzen habe. Vielmehr aber kommt es darauf an, das gebündelte Wissen zur Verbesserung der Lebensbedingungen einzusetzen. Dies hat jedoch zur Voraussetzung, dass Herstellung und Bereitstellung von materiellen Gütern durch die neuen Technologien qualitativ verbessert werden. Hieran hapert es jedoch erheblich. Was von Unternehmensberatern heute mehr denn je gefordert wird, nämlich die Vermittlung einer “Vision”, wäre hier überfällig.
Risiko statt Revolution
Da die “Macher” der Wirtschaft die neuen Informationstechnologien vor allem als Mittel zum Kostenmanagement begreifen, ist es kaum verwunderlich, dass der Einsatz neuer Technologien in der Öffentlichkeit oft kritisch beurteilt wird. Neue Technologien strahlen kaum noch Faszination aus. Sie werden oft als Risiko betrachtet, dessen potenzieller Schaden möglichst einzugrenzen ist.
Die Biotechnologie ist durch die Verunsicherung in den Führungsetagen der Unternehmen bereits erheblich in ihrer Entwicklung gefährdet. So haben die Lebensmittelkonzerne und die deutschen Supermarktketten beschlossen, kein Gen-Food herzustellen oder anzubieten. Offenbar wird die Angst vor einem potenziellen Verlust an Image höher bewertet als die Chancen, die in der erfolgreichen Vermarktung dieser Produkte liegen. Als im Juli eine Untersuchung der Stiftung Warentest vorgestellt wurde, nach der einige Lebensmittel gentechnisch veränderten Mais oder Soja enthielten, beeilten sich die Supermarktketten, die identifizierten Produkte aus den Regalen zu nehmen.
“Vor zwei Jahren war die Biotechnologie die Antwort auf alle Fragen.”
Die Wachstumsaussichten für den potenziellen Zukunftsbereich Biotechnologie sind vor diesem Hintergrund unsicher und führen bereits jetzt zu massiven Beeinträchtigungen eines Gebietes, das vielen noch vor kurzem als die Zukunftsbranche galt. “Vor zwei Jahren ... war die Biotechnologie die Antwort auf alle Fragen”, sagte Alain Godard, Chef von Aventis Agriculture – heute hingegen wisse niemand mehr, wo es langgehe. Inzwischen gilt es als wahrscheinlich, dass der Forschungsetat der Agrochemie von jährlich 400 Mio. Euro, der vor allem der Biotechnologie zugute kommt, drastisch zusammengestrichen wird.
Selbst der Verkauf der mittlerweile risikobehafteten Sparte wird von einigen Großfirmen in Erwägung gezogen (FTD, 19.7.00). Auch von Wissenschaftlern werden die neue Technologien häufig als zwielichtig präsentiert. Der Soziologie-Guru Ulrich Beck brachte mit der Behauptung, dass die steigende Arbeitslosigkeit “auf die Erfolge eines technisch avancierten Kapitalismus” zurückzuführen sei, also immer mehr “Menschen durch den Einsatz intelligenter Technologien ersetzt” würden, ein weit verbreitetes Vorurteil auf den Punkt (Ulrich Beck: Schöne neue Arbeitswelt, Campus Verlag, Frankfurt 2000, S.9).
schlaffe Wirtschaft
Aber Beck, der behauptet, der verstärkte Technologieeinsatz sei die Erklärung für die seit Jahrzehnten steigende Arbeitslosigkeit, liegt genauso daneben wie diejenigen, die der “New Economy” das Wort reden.Die Vorstellung, dass in Deutschland in den 90er-Jahren ein beschleunigter Einsatz von Technologie stattgefunden hat, ist falsch. Bei Betrachtung der wirtschaftlichen Basisdaten lässt sich das genaue Gegenteil feststellen: Ende der 90er-Jahre befand sich die deutsche Wirtschaft hinsichtlich des Technologieeinsatzes in ihrer schwächsten Phase seit dem Zweiten Weltkrieg.
“Ende der 90er-Jahre befand sich die deutsche Wirtschaft hinsichtlich des Technologieeinsatzes in ihrer schwächsten Phase seit dem Zweiten Weltkrieg.”
In Deutschland sind die Investitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit den 60er-Jahren rückläufig. Dies lässt sich anhand der Bruttoanlageinvestitionen (Ausrüstungs- und Bauinvestitionen) und der Ausrüstungsinvestitionen (Investitionen in Maschinen und Anlagen) zeigen. Beide Größen stagnierten bestenfalls im Verhältnis zum BIP und gingen in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre sogar deutlich zurück. Dieser Rückgang erfolgte, obwohl seit 1995 neue Bewertungsregeln für Investitionen gelten und seitdem bestimmte Ausgaben der Unternehmen (z.B. selbsterstellte Software) als Investitionen bewertet werden.
BIP Wachstum
Die Betrachtung des durchschnittlichen jährlichen Investitionswachstums zeigt noch deutlicher, dass seit den 70er-Jahren – abgesehen von den Effekten der Wiedervereinigung Anfang der 90er-Jahre – keine Wachstumsschübe zu verzeichnen waren. Auch die gesamtwirtschaftlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung (bezogen auf das BIP) sind in den 90er-Jahren deutlich zurückgegangen (DIW Wochenbericht: “Immaterielle Investitionen in Deutschland…”, 1997, S.243ff).
Da der Einsatz neuer Technologien üblicherweise mit erheblichen Investitionen verbunden ist, reflektieren die rückläufigen Investitionen einen negativen Trend beim Einsatz neuer Technologien.
Für Unternehmen lohnt sich Technologieeinsatz vor allem dann, wenn die Kosten pro Produktionseinheit sinken und der Produktivitätsvorteil in einen Wettbewerbsvorteil umgemünzt werden kann. Bei steigendem Technologieeinsatz wäre also auch ein entsprechendes Produktivitätswachstum zu erwarten. Aber auch hier zeigen die Werte für Deutschland, dass der Einsatz moderner Technologie zwar zunimmt, jedoch nicht mit den in den 60er- und 70er-Jahren üblichen Wachstumsraten.
Die relativ dynamische Entwicklung in den Bereichen Informationstechnologie und Biotechnologie muss im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gesehen werden. Diese Bereiche weisen zwar Wachstumsraten auf, die deutlich über dem allgemeinen Wirtschaftswachstum liegen. Das relative Gewicht dieser Bereiche ist jedoch sehr gering. Und diese Dynamik wird sich auch nur dann erhalten und auf andere Sektoren ausstrahlen, wenn die neuen Technologien in der gesamten Wirtschaft breite Anwendung finden.
Die Einschätzung, dass wir schon heute in einer Zeit technologischer Quantensprünge und der Beschleunigung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesses leben, entbehrt also jeder ökonomischen Grundlage. Trotz der viel versprechenden wissenschaftlichen Durchbrüche der letzten Jahre erscheint es derzeit mehr als fraglich, ob diese auch tatsächlich in Form neuer Technologien eine umfassende gesellschaftliche Anwendung finden werden. In der deutschen Wirtschaft kann jedenfalls von einer Dynamik bei der Investition in technologische Neuerungen keine Rede sein. Vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet kann es daher momentan zumindest als noch eher zweifelhaft angesehen werden, dass die neuen Informations- und Bio-Technologien einen Schub zur Verbesserung unserer Lebensqualität erzielen werden.
Kapital im Überfluss
Das Investitionsverhalten der Unternehmen scheint auf den ersten Blick unverständlich, denn in den 90er-Jahren hat sich die Gewinnsituation der Unternehmen deutlich verbessert. Selbst die rezessive Entwicklung nach 1992 (als der sehr gewinnträchtige Wiedervereinigungsboom zu Ende ging) konnte von den meisten Unternehmen zu weiteren Gewinnsteigerungen genutzt werden. Massive Kostensenkungsmaßnahmen, die vor allem dazu dienten, die Arbeitskosten durch Outsourcing und flexiblere Arbeitsmodelle zu senken, stellten eine anhaltend hohe Rentabilität sicher.
“Inzwischen ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass Großkonzerne einen größeren Gewinn aus den Finanzgeschäften erzielen als aus dem operativen Geschäft.”
Das für Investitionen erforderliche Kapital wurde also von den Unternehmen selbst erwirtschaftet. Zudem war es in den 90er-Jahren problemlos, Geld zu günstigen Zinsen über den Kapitalmarkt zu besorgen. Statt jedoch die Investitionen aufzustocken, parkten die Unternehmen ihr Kapital verstärkt an den Weltfinanzmärkten, um dort von Spekulationsgeschäften zu profitieren. Inzwischen ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass Großkonzerne einen größeren Gewinn aus den Finanzgeschäften erzielen als aus dem operativen Geschäft.
Unsichere Zukunft
Die derzeitige Investitionsschwäche lässt sich also nicht auf ungünstige ökonomische Rahmenbedingungen zurückführen. Stattdessen wird das Investitionsverhalten sehr nachhaltig von subjektiven Faktoren geprägt.
In den Führungsetagen deutscher Unternehmen wird die Zukunft heute weniger denn je als vorhersehbar oder gar planbar eingestuft. “In einem weniger globalen Wettbewerb und einem eher statischen Wirtschaftsumfeld war früher Stabilität die Norm, das allgemein gültige Motto lautete: ‘Was nicht defekt ist, muss nicht repariert werden.’ Veränderungen traten selten und sporadisch auf”, sagte John P. Kotter, Professor an der Harvard Business School (John P. Kotter: Chaos, Wandel, Führung. Leading Change, S.34). Heute jedoch bewirkten Globalisierung und technologischer Wandel ein sich dauerhaft und sehr schnell wandelndes Unternehmensumfeld.Managementliteratur, die sich mit der unsicheren Zukunft auseinandersetzt, erlebt derzeit eine Hochkonjunktur. Die Möglichkeit strategischer, also langfristiger Planung wird in solchen Werken oft als zu komplex verworfen.
“Was nicht defekt ist, muss nicht repariert werden.”
Stattdessen wird gefordert, bei allen längerfristigen Entscheidungen möglichst lange die Optionen offen zu halten und flexibel zu bleiben, um bereits getroffene Entscheidungen abwandeln oder gar rückgängig machen zu können. Der so genannte “point of no return” soll zeitlich möglichst lange hinausgeschoben werden. Langfristige Kapitalbindung und Investitionen – damit also auch der Einsatz neuster Technologie – gelten als besonders problematisch.
Blockade durch Risikomanagement
Eine solche Verunsicherung in den Führungsetagen der Unternehmen ist inzwischen weitgehend institutionalisiert. Die subjektive Einschätzung der Geschäftswelt wird dadurch zunehmend auch zu einer objektiven Barriere für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung.
Risikomanagement war traditionell auf das Versicherungswesen und die Banken begrenzt und diente dazu, die Risiken von Schadensfällen und Kreditausfällen abzusichern, um einen Unternehmensbestand nicht zu gefährden. Inzwischen ist Risikomanagement jedoch auf alle Unternehmen ausgeweitet worden. Was früher als Teil der Managementaufgabe angesehen wurde, nämlich Chancen und Risiken diverser Unternehmensentscheidungen zu bewerten, ist zu einer eigenen, bedeutenden Disziplin geworden. Risikomanagement beinhaltet die systematische Durchleuchtung eines Unternehmens und seines Umfelds nach potenziellen Risiken. Dabei werden nicht nur “Kernrisiken” identifiziert und mit entsprechenden Kennzahlen überwacht, sondern auch “weiche Indikatoren” wie etwa Markenwert, Kundenzufriedenheit und -treue, Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation.
Durch das 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) wurden die in einigen Großunternehmen bereits implementierten Risikomanagementsysteme formalisiert und haftungsrechtlich verschärft. Die Einführung des Gesetzes war die Folge einiger großer Unternehmenszusammenbrüche in den 90er-Jahren, z.B. den der Metallgesellschaft. Daraus wurde die Forderung nach einer strikteren Kontrolle von Unternehmen abgeleitet, Risikomanagement wurde zur Sorgfaltspflicht der Vorstände erklärt. Staatliche Instanzen haben nunmehr das Recht, zum “Schutz der Öffentlichkeit” in die Führung, Verwaltung und Überwachung eines Unternehmens einzugreifen. Zwar gilt das Gesetz streng genommen nur für Aktiengesellschaften; es ist jedoch unstrittig, dass es auf Gesellschaften mit anderer Rechtsform eine Ausstrahlungswirkung besitzt – trotz der anhaltenden Warnung von Wirtschaftsexperten, dass sich “Transparenz und Dokumentation von Risiken ... durch systematische Vernachlässigung von Chancen auf den Entscheidungsprozess destruktiv auswirken” (Horst Bitz: Risikomanagement nach KonTraG, S.21).
Knechtung durch “Sharholder Value”
Die zügige Institutionalisierung der Unternehmensbewertung nach dem “Shareholder Value” verengt die Unternehmensstrategien weiter. Die Erwartung permanenter Aktienkurssteigerungen (die Gesamtrentabilität eines Aktieninvestments wird heute praktisch nur noch von den Kurssteigerungen bestimmt und nicht mehr von der Dividende) erschwert es dem Management, langfristige Investitionsprojekte, die möglicherweise erst nach einem mehrjährigen Investitionszeitraum Kapitalrückfluss bescheren, zu legitimieren. Was für viele Aktionär zählt, ist einzig die kurzfristige Kurssteigerung, um nach Gewinnmitnahmen möglichst schnell wieder aussteigen zu können.
Das Management wird durch diese Situation unter erheblichen Druck gesetzt, jederzeit gute Nachrichten zu verbreiten. “Gewinnwarnungen” oder gar Fehlentwicklungen werden unmittelbar mit drastischen Kurseinbrüchen bestraft – wie kürzlich bei Nokia zu sehen. Während negative Entwicklungen eines Unternehmens im kurzfristigen Bereich vor den Börsenmaklern kaum verschleiert werden können, ist solches auf lange Sicht durchaus möglich. Daher wird sich das Management eher auf eine gute kurzfristige Performance konzentrieren. Wer seine Prioritäten anders setzt, hat zudem leicht mit persönlichen Konsequenzen zu rechnen – Managersessel wackeln heute schneller als je zuvor.
Diesen Druck spüren mittelständische Unternehmen, die zwar nicht über die Managementkapazitäten von Großkonzernen verfügen, aber inzwischen dennoch ebenfalls Profis zur Pflege der Aktienkurse nutzen – so genannte Investor-Relations-Manager –, noch stärker. Einige mittelständische Unternehmen haben sich bereits vom Parkett verabschiedet, weil die Unternehmensführungen offenbar mehr damit beschäftigt waren, die Manager der Investmentfonds mit den notwendigen “storys” zur Pflege der Aktienkurses zu versorgen, als die langfristige Unternehmensausrichtung zu entwickeln (FTD, 17.7.00).
Der Druck der Aktienmärkte und die große Bedeutung von Fondsmanagern, die auf Strategieentscheidungen unmittelbaren Einfluss nehmen, setzt die Unternehmensführungen unter permanenten Rechtfertigungsdruck. Das war früher, als noch die Banken stärkeren Einfluss hatten, wenn es z.B. um Kreditfinanzierungen ging, längst nicht so ausgeprägt. Langfristige Investitionsplanungen konnten somit einfacher und abgeschirmt von kurzfristigen Kurserwartung an der Börse getroffen werden.
Sackgasse Ökostrom
Die Institutionalisierung von Barrieren für langfristige Firmenstrategien und Investitionen wird derzeit auch auf anderer Ebene vorangetrieben. Ursache hierfür ist die Befürchtung, die Gesellschaft sei nicht in der Lage, die potenziellen Gefahren neuer Technologien zu beherrschen. Der Optimismus früherer Generationen, die eine Verbesserung der Lebensqualität primär im immanent risikobehafteten technischen Fortschritt sahen, ist längst verfolgen. Deutlich wird dies an der Popularität des ökologischen Denkens, dem zufolge weniger gleich mehr ist. Die Einführung der Ökosteuer ist ein gutes Beispiel für diesen gesellschaftliche Pessimismus. Sie ist ein ideologisches Produkt und hat den Schutz der Umwelt und die “Entschleunigung” von Wachstum und Fortschritt zum Ziel, indem der Verbrauch von vermeintlich knappen Ressourcen finanziell bestraft wird.
Der von der SPD und den Grünen verbreitete Slogan “Energie teurer und Arbeit billiger” scheint vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit zwar nicht vollkommen unlogisch. Im Grunde verbirgt sich dahinter aber nichts anderes als der Wunsch, den technischen Fortschritt rückwärts zu drehen. Die Industrialisierung und der hohe Lebensstandard, den wir heute haben, wurden erreicht, indem körperliche menschliche Arbeit durch Maschinen in Kombination mit einem ungeheuer steigenden Energiebedarf ersetzt werden konnte.
Mit dem Stromeinspeisungsgesetz, das die regenerativen Energieträger wie Wind-, Wasser-, Solarenergie sowie die Energieerzeugung aus Biomasse fördert, wird ein Irrweg beschritten. Die erzwungene Nutzung solcher Energieträger ist ökonomisch gesehen so irrational wie die Verstromung der deutschen Steinkohle. In einigen Jahren werden die Subventionen für den Ökostrom so hoch sein wie die heutigen Milliardensubventionen für die deutsche Kohle. Würde man den deutschen Strombedarf ausschließlich durch Ökostrom decken, wäre es aufgrund der exorbitanten Stromkosten sogar wieder ökonomisch sinnvoll, einige Maschinen durch Handarbeit zu ersetzen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist es also gar nicht möglich, den Ökostromanteil deutlich zu erhöhen. Daher wird er auch ein Nischenprodukt bleiben und eine teure Spielwiese umweltbewegter Kreise in der Gesellschaft.
Die Einführung der Ökosteuer ist nichtsdestotrotz ebenso wie die Popularität von Risikomanagement und das Gerede über Aktienkurse und Neuer Markt bezeichnend für die geistige Malaise, unter der heute auch die deutsche Wirtschaft leidet.