18.03.2009
Den Standard im Visier
Insolvenz auf gut Zeitungsdeutsch oder: Wie das Geld im österreichischen Fluss der Sprache fließt.
Rinnen, fließen, strömen, platschen, tropfen, träufeln, sprudeln, quellen. Das können Flüssigkeiten und Texte. Ein offenes Geheimnis: Dreht man den Wasserhahn mit kundiger (oder eben tastender) Hand an, so hat man Wasser, genauer gesagt fließend Wasser. Garantiert nass. Kalt oder warm, je nachdem, wie die Leutchen von Gasprom gerade aufgelegt sind. Und wo Wasser fließt, ist auch die Aqua nicht weit entfernt, sagt einem der gesunde Journalistenverstand. Möglicherweise gibt’s da sogar a bisserl H2O, wenn es sich so fügt.
Doch nein! Wasser ist ja Aqua. Und Aqua ist H2O. Und das Kaiserliche ist zugleich königlich, und Istanbul ist Konstantinopol, und im Maisfeld steht der Kukuruz – manneshoch, wenn’s heuer viel geregnet hat. Wissen wir ja alles! Hundertfünfprozentig. Seit den Schuljahren. Seit je. Seit der Euro noch Schilling hieß. Und Franc und Deutsche Mark und Lira oder so.
Was auf der Hand liegt: Das Flüssige fließt, und manchmal fließt auch das Überflüssige mit. Ebenso wie etwa das Hohe oben (oder das Erhabene ganz oben?) ist. Und die Inskription ist eine Einschreibung und der Anfang ein Beginn und die Rennaissance eine Neugeburt. Leicht zu meistern. Mit links. Dazu brauchen wir nicht einmal das Wörterbuch (und auch nicht das Chemiebuch oder etwa das Geschichtsbuch). Dazu brauchen wir bloß 100 Gramm Alltagsdeutsch – soviel kriegt jeder in der Schule kostenlos, nein, preiswert aufgestrichen. Hamma g’sehn. Lauter Gemeinplätze: loci communes.
Wasser und Aqua vermögen uns also terminologisch kaum etwas anzuhaben, denn alle Welt weiß, dass dieses das lateinische und jenes das deutsche Wort ist. Es will einem übrigens fast wie beiläufig in den Sinn kommen, dass Linz früher mal eigentlich Lentos hieß – damals, als die Römer mit ihren Aquädukten weit und breit dem Prinzip der Liquidität frönten, wobei ihnen die Krümmung der Donau auffiel. Auch heißt das Museum der Zukunft Ars Electronica, was überhaupt niemanden zu verwirren scheint. Und schließlich geht ja in Wien manch einer während des obligatorischen täglichen Spaziergangs keineswegs auf dem Gehsteig, sondern auf dem Trottoir.
Bei der Liquidität aber kann es unter Umständen trotz aller Erwartung sozusagen recht brenzlig werden. In einem Artikel im Wiener Standard mit der Überschrift „Unternehmen in der Liquiditätsfalle“ heißt es nämlich leider im Januar 2009, wenn schon nicht auf gut Deutsch, so doch wenigstens wohl auf gut Zeitungsdeutsch: „Ohne flüssige Mittel mangelt es an Liquidität und es droht die Insolvenz.“ (Bettina Pfluger und Lukas Sustala in: Der Standard, 26.1.09, http://derstandard.at/) Na ja. Kann man nichts machen. Genauer gesagt, na ja mit Nachdruck.
Ohne Geld keine Finanzen, ohne Orangen keine Pomeranzen, ohne Glaubwürdigkeit keine Akzeptanz, ohne Verwaltung keine Administration. Und der blaue Fluss der Sprache könnte weiter fließen, doch wir wollen ihn voreinst lieber mal sacht eindämmen, um der redaktionellen Insolvenz im Land der Strome freundlicherweise weitere Wirbel zu ersparen.
Wie macht man das eigentlich? Was bringt einen noch so müden und eiligen Redakteur dazu, die Leserschaft mit inkohärenten Floskeln und Binsenwahrheiten zu beglücken? Das falsche Wort am falschen Ort? Die gleichsam unbeschränkte Toleranz des strapazierten Zeitungspapiers? Die anhaltende Krise der Textproduktion deutscher Ausdrucksweise? Die Unlust am Satzbau? Der Mangel an Inspiration? Wer sich nichts einfallen lässt, schreibt eben mit stumpfem Bleistift.
„Journalisten in der Liquiditätsfalle“ hätte es wohl schon eher heißen sollen. Denn ein derartiges Ürbermaß an Autorefentialität kann ja nicht im Ernst der Standard der Branche sein, sondern es ist dies gewiss vielmehr eine Falle, in die vor allem die zwei Autoren selber gefallen sind, die da den Lesern zumuten, das zu schlucken, was sie nicht zu sagen haben. Und offensichtlich können sie das, was sie nicht zu sagen haben, nicht einmal schreiben. Wittgenstein und Bernhard hätten da zweifelsohne ein Lied mitzusingen gewusst.
„Liquidität ist teuer wie nie“, heißt es im genannten Artikel, “und Investoren, die Unternehmensanleihen kaufen, können Kapital bereitstellen und zugleich hohe Renditen erzielen.“ Dass Investoren, die Unternehmensanleihen kaufen, Kapital bereitstellen, ist dabei freilich eine Selbstverständlichkeit, die sich der Durchschnittsleser in Österreich wie anderswo anno 2009 nicht noch einmal extra verkaufen lassen sollte. Und die Behauptung, dass dadurch „zugleich“ hohe Rendite erzielt werden können, ist ein Werbungsslogan, dem wohl schwerlich je weniger Glaubwürdigkeit zuteil kommen dürfte als dieser Tage. Also ebenfalls nichts für den besonnenen Leser, der sich den Spaß womöglich sogar etwas kosten lässt.
Mehr noch: Ein paar Monate, bevor im hiermit kritisch-satyrisch beäugelten Artikel sozusagen mit vollkommen ernster Miene festgestellt wurde, dass Liquidität flüssig und teuer sei, hatte einer seiner Autoren bereits die sich immer wieder wichtigtuerisch darbietende Entdeckung gemacht, dass Geld teuer sei: „Geld ist damit am Interbankenmarkt weiterhin überdurchschnittlich teuer.“ (Lukas Sustala in: Der Standard, 10.10.08) Und im Dezember hieß es dann verhängnisvollerweise: „Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach (sic) außergewöhnlichen Maßnahmen.“ (Lukas Sustala in: Der Standard, 18.12.08). Frisch gebacken. Direkt aus dem Englischen entnommen. Dabei zwar allerdings kein gutes Deutsch. Doch wer weiß schon heutzutage noch, was gutes Deutsch ist?
Wenn sie die gegenwärtige weltweite Insolvenz des Kapitalismus in Angriff nehmen (oder sich davor in weit ausholenden, wiewohl offensichtlich kaum weiter führenden Analysen flüchten), sind freilich nicht wenige Exponenten der journalistischen Spezies unverkennlich am Ende ihres Lateins. Quo vadis? Was tun? Was schreiben? Was niederschreiben? Was aufschreiben? Was abschreiben? Was umschreiben?
Die standardisierte Unbeholfenheit des gedruckten Wortes lässt Karl Kraus’ journalistische Rotationsmachine in diesem Zusammenhang nur allzuleicht wieder in den Vordergrund der Betrachtungen treten. Also wie hieß es nochmal? Keine Flüssigkeit, keine Liquidität? Umstilisiert: Ohne Sprachvermögen mangelt es an Sprachkompetenz, und es droht die linguistische Insolvenz. Begriffe, die sich selbst erläutern sollen, werden dem kollektiven Erwartungshorizont freilich ohnehin immer wieder gedankenlos, wenn nicht skrupellos gutgeschrieben. Von Insolvenz heimgesucht findet sich dabei wohlgemerkt vor allem auch die tief greifende Identitätsfrage der Konsumenten und Investoren in Krisenzeiten einer auf dem Glatteis zugefrorener Geldmärkte ausgerutschten Konsumgesellschaft, deren Beantwortung die allgegenwärtigen Durchschnittsjournalisten in ihren allgegenwärtigen Durchschnittsartikeln mehr oder weniger bewusst vermeiden, ja vereiteln. Wer sein mir?, kommt es aus dem kollektiven Unbewusstsein der Zeitungsfresser heraus. Die Standard-Antwort, den Fluss der Sprache in einem Schlag umleitend: Mir sein mir.