01.01.1999
Defensive Ausweich- und Ablenkmanöver
Von Lukas Deichsel und Eddie Veale
Bisher haben sich weder ITN noch die Unterstützer des britischen Nachrichtensenders zu Deichmanns zentralen Punkten geäußert. Stattdessen reden sie um den heißen Brei herum und versuchen, vom Thema abzulenken. Eddie Veale und Lukas Deichsel haben die vermeintlichen Gegenargumente unter die Lupe genommen.
Der zentrale Punkt in Deichmanns Artikel "Es war dieses Bild, das die Welt in Alarmbereitschaft versetzte" lässt sich leicht zusammenfassen: Am 5. August 1992 besuchte ein britisches Fernsehteam mit Penny Marshall (ITN), ihrem Kameramann Jeremy Irvin und Ian Williams (ITN für Channel 4 News) in Begleitung des Printjournalisten Ed Vulliamy (The Guardian) ein Lager der bosnischen Serben in Trnopolje. Sie kamen von dort mit eindrucksvollen Bildern, auf denen der abgemagerte Fikret Alic in einer Gruppe bosnischer Muslime zu sehen war, nach Hause. Diese Gruppe Männer war allem Anschein nach auf einem mit Stacheldraht umzäunten Lagergelände eingesperrt. Die ITN-Aufnahmen vermittelten diesen Eindruck. Sie gingen um die Welt und wurden über Nacht zum Symbol der Grausamkeit des Bosnienkrieges.
Insbesondere das Bild von Fikret Alic hinter Stacheldraht wurde von Medienanstalten und Regierungen in der ganzen Welt als Beweis dafür angesehen, dass die bosnischen Serben nazi-ähnliche "Konzentrationslager" und "Todeslager" betreiben. Die Bilder waren dermaßen erschütternd, dass sie die Haltung der Weltöffentlichkeit gegenüber dem Konflikt auf dem Balkan nachhaltig beeinflussten. Westliche Regierungen forcierten ihre Bemühungen, auf die Entwicklungen in Bosnien diplomatisch und militärisch Einfluss zu nehmen.
Doch diese ITN-Aufnahmen sind eine Täuschung, denn nicht die gefilmten Muslime standen auf einem mit Stacheldraht umzäunten Gelände. Um das Lager Trnopolje herum hat es keinen Stacheldraht gegeben. Vielmehr standen die britischen Reporter auf einem Grundstück, das mit Stacheldraht eingezäunt war. Dieses Grundstück mit einer Scheune diente der Lokalverwaltung als eine Art Bauhof und als Lagerplatz für Agrargüter. Der Stacheldrahtzaun darum war bereits lange vor dem Krieg errichtet worden, um all dieses Material vor Diebstahl zu schützen. Die britischen Reporter filmten von innerhalb dieses Grundstücks durch den Stacheldrahtzaun hindurch, und so entstand der Eindruck, die gefilmten muslimischen Männer würden in einem mit Stacheldraht eingezäunten Lager festgehalten.
Was auch immer sich die britischen Reporter gedacht haben mögen, die ganze Welt interpretierte ihre Aufnahmen als unumstößlichen Beweis für serbische KZs und einen "Holocaust" in Bosnien. Penny Marshall und Ian Williams haben Trnopolje nie als KZ bezeichnet. Ed Vulliamy hat sich anfangs auch gegen eine solche Bezeichnung gewandt, später aber seine Meinung geändert. Alle drei Journalisten haben Bedenken geäußert über die Art, wie die Aufnahmen mit Fikret Alic von anderen Reportern als "Beweis" für KZs genommen wurden. Dennoch hat keiner von ihnen jemals diese falsche Interpretation durch eine Erklärung der wirklichen Platzierung des Stacheldrahts in Trnopolje korrigiert. Die Frage lautet "Warum?".
Um diese Frage geht es letztlich in Deichmanns Artikel. Warum haben Marshall, Williams und Vulliamy niemals die ganze Geschichte über den Stacheldraht erzählt? Warum haben sie die Weltöffentlichkeit im Glauben gelassen, die gefilmten Muslime seien auf einem mit Stacheldraht umzäunten Gelände eingepfercht gewesen? Die Antwort von ITN findet sich im Artikel von Daniel Llody in dieser Ausgabe von Novo: ITN hat mit Verleumdungsklagen und Drohungen der Medienwelt in Großbritannien einen Maulkorb verpasst. Ed Vulliamy hat mit einem verleumderischen Artikel im Observer reagiert (2.2.97). Einige Anhänger der ITN-Berichterstattung haben sich zu Wort gemeldet, auffällig ist jedoch, dass die meisten einen großen Bogen um Deichmanns Argumente machen und allerlei Ausweich- und Ablenkungsmanöver gestartet haben.
Mirkoskopischer Blick
Ein solches Ausweichmanöver präsentiert sich im Vorwurf, Deichmann würde Haarspalterei betreiben. Er würde sich an einem Detail aufhängen und um dieses Detail herum seine Geschichte konstruieren. So störte sich beispielsweise Paul Stoop vom Berliner Tagesspiegel am "mikroskopischen Blick" auf den Stacheldrahtzaun (6.2.97), ohne sich auch nur mit einer Silbe der Frage zu stellen, ob er es als Journalist für legitim hält, dass die ITN-Aufnahmen wie von Deichmann beschrieben zustande kamen (und ohne diesbezügliche Gegenargumente zu liefern). Als Antwort auf die Bitte des Novo-Autoren um Abdruck eines Leserbriefes in der Zeitung erhielt dieser einen Brief des Sprechers der Chefredaktion, in dem dieser zwar einräumte, er könne das "manipulierte Foto nicht gutheißen", er aber dennoch festhielt, es sei "recht eindeutig, dass die Verfasser den falschen Standpunkt des Fotographen zum Vorwand darüber nehmen, die serbischen Gräueltaten insgesamt zu leugnen". Die Vermehrung eines Autoren in "die Verfasser", die Verwandlung eines ITN-Kamermanns in einen Fotographen und die haltlose Unterstellung, Deichmann wolle Gräueltaten leugnen: All dies deutet darauf hin, dass der Autor dieser Zeilen den umstrittenen Artikel von Deichmann wohl nie gelesen hat.
Der Vorwurf Stoops, Deichmann würde mit der "Einäugigkeit des Mikroskop-Blicks" zu merkwürdigen Schlüssen kommen, ist einfältig, denn er unterstellt, Deichmann hätte die Wirkung und Bedeutung der besagten ITN-Aufnahmen selbst erfunden. Stoop versuchte wohl vergessen zu machen, dass es gerade dieser "mikroskopische Blick" auf den Zaun war, der das Bild des Bosnienkriegs viereinhalb Jahre lang maßgeblich prägte. Der Stacheldraht war das entscheidende Detail. Das sagte selbst Penny Marshall: "Es war dieses Bild von diesem Stacheldraht, und diese ausgemergelten Männer, das Alarmglocken in ganz Europa läuten ließ. Ich glaube, wäre der Bericht ohne dieses Bild vermittelt worden, wäre die Wirkung längst nicht so stark gewesen, obwohl sich nichts an den Fakten geändert hätte."
An der Wichtigkeit dieses Blicks auf den Stacheldraht ließ auch ITN nie Zweifel aufkommen. Als Marshall und Williams im März 1993 mit dem BAFTA-Journalistenpreis ausgezeichnet wurden, schaltete ITN große Anzeigen in Zeitungen, um sich für die erbrachten Leistungen auf die Schultern zu klopfen. Und welches "Detail" betonten sie wohl, um ihren Triumph zu symbolisieren? Den Blick auf den ausgemergelten Fikret Alic hinter einem Stacheldraht im Lager Trnopolje. Im Anzeigentext wurde ausdrücklich betont, dass es dieses Bild war, das auf Titelseiten von Zeitungen weltweit Empörung hervorrief und die westliche Staatengemeinschaft dazu drängte, eine militärische Intervention auf dem Balkan in Angriff zu nehmen.
Die Aufnahmen von bosnischen Muslimen, die angeblich in einem mit Stacheldraht eingezäunten Lager waren, lösten Assoziationen mit dem Holocaust, den Nazis und den Gräueln des Zweiten Weltkriegs aus. Sie prägten maßgeblich die Interpretation des Bosnienkrieges und die Haltung von Politik, Medien und Öffentlichkeit gegenüber den Serben. Ohne diese Bilder wären Vergleiche der Serben mit den deutschen Nazis nicht so leicht über die Zunge gegangen, und der Krieg im allgemeinen wäre anders in Erinnerung geblieben. Warum sonst wäre wohl die Reaktion auf Deichmanns Enthüllung über ein kleines "Detail" so heftig?
Leugnung von Gräueltaten in Lagern
Andere Kommentare bezogen sich auf einen Text, der von Deichmann nie geschrieben wurde. So wurde behauptet, Deichmann leugne, dass es Lager in Bosnien gab und ebenso, dass dort Gräueltaten verübt wurden. In einem Leserbrief an den Observer schrieb Carole Hodge von der Universität in Glasgow, Deichmann wolle Zweifel darüber streuen, dass es 1992 in Bosnien Lager gab, in denen "nicht-serbische Zivilisten ermordet und gefoltert" wurden.
Das ist Unfug. Deichmann recherchierte die Hintergründe des Lagers Trnopolje sehr intensiv und sorgfältig. Er sichtete das mehrstündige und großteils nicht ausgestrahlte ITN-Filmmaterial, studiert Dokumente des Internationalen Komittes des Roten Kreuzes, Dokumente der UNO und des US State Department, er wertete unzählige Medienberichte aus, führte ein Interview mit dem niederländischen Rechtsanwalt Wladimiroff (der eigene Untersuchungen über den Stacheldraht in Trnopolje angestellt hatte), bereiste die Region und führte vor Ort weitere Gespräche, und er gab sich redlich Mühe, die Verhältnisse in Trnopolje objektiv und wahrheitsgetreu darzustellen. Hätte Deichmann nach all seinen Recherchen die Behauptung aufgestellt, es hätte keine Lager in Bosnien gegeben, dann hätte man ihm den "Erich-Honecker-Journalistenpreis 1997" (und zusätzlich einen Sehtest-Gutschein) im Tausch gegen seinen Presseausweis aushändigen sollen. Deichmann erwähnte ausdrücklich, dass es auch in Trnopolje zu Übergriffen und Vergewaltigungen kam. Er zeichnete aber ein Bild des Krieges und der Situation im Lager, das frei von den üblichen Klischees war. Es besteht kein Zweifel, dass die gefilmten Menschen im Lager Trnopolje eine schlimme Zeit durchmachten. Auf den ITN-Bändern ist zu erkennen, dass viele eingeschüchtert waren, Angst hatten und in eine ungewisse Zukunft blickten. Jeder von ihnen wäre ohne Zweifel lieber an einem anderen, sicheren und friedlichen Ort gewesen. Doch Deichmann erklärt auch, dass viele der Muslime aus freien Stücken nach Trnopolje kamen, weil sie dort Schutz und Zuflucht suchten. Andere waren am gleichen Tag, als die britischen Reporter ins Lager kamen, aus anderen Lagern gebracht worden und warteten auf ihre Registrierung. All das hat Deichmann beschrieben, und all das sieht man auf den Bändern von ITN. Die traurige Ironie der Situation fasste Deichmann in zwei Sätzen zusammen: "Die unmenschlichen Zustände während des Krieges erscheinen für Beobachter in Westeuropa schwer nachvollziehbar, und die Existenz solcher Zentren wie Trnopolje, in denen Menschen unter erbärmlichen Bedingungen lebten, zurecht als eine Zumutung und Qual. Doch in Zeiten des Krieges sind zivile Normen nicht mehr gültig, und unter Berücksichtigung dieser Umstände kann festgehalten werden, dass in Trnopolje, dank der Organisation und Mithilfe aller, das Leben relativ geordnet ablief und sicher war."
Nicht Deichmann ist vorzuwerfen, er habe ein falsches Bild des Lagers Trnopolje geliefert, sondern den Reportern, die ein Bild in Umlauf brachten, das als Beweis für die KZ-ähnlichen Verhältnisse in Trnopolje verstanden wurden und das vorgab, die Lagerinsassen seien hinter Stacheldraht eingesperrt gewesen. Deichmann hat dieses Bild von Trnopolje nicht nur hinterfragt, er hat es zum Einsturz gebracht.
Ungewünschte Fragen
Sehr beliebt ist die Haltung, man dürfe die von Deichmann aufgeworfenen Fragen erst gar nicht stellen. Hiermit entledigt sich ein Kommentator von Anfang an jeglicher Ambition, zu Deichmanns Enthüllungen inhaltlich Stellung zu nehmen. So als sei die Geschichte des Bosnienkrieges schon festgeschrieben und niemand dürfe mehr an dieser Geschichtsschreibung rütteln. Wer es doch wagt, dem drohen Beschimpfungen, Gerichtsverfahren, Maulkörbe und moralische Vorhaltungen – so als habe er ein heiliges Relikt der modernen Kriegsursachenforschung gebrochen.
In diese Richtung ging Ed Vulliamys Beitrag im Observer, der mit allerlei Stink- und Rauchbomben um sich werfend den Eindruck zu wecken versuchte, sich inhaltlich zur Sache zu äußern. Trotz aller Mühe ist leicht zu durchschauen, dass er, außer einer neuen Version seiner Erinnerung an den Stacheldraht, so gut wie nichts zur Klärung des Sachverhalts beitrug. Er stellte Deichmann und das LM-Magazin (das dessen Artikel in Großbritannien veröffentlichte) stattdessen in die Reihe mit serbischen "Banden", "Holocaust-Leugnern" und "Geschichtsrevisionisten". Ähnliche Nazi-Vergleiche leistete sich auch Elmar Büchel von Spiegel TV bei einem Telefonat mit Thomas Deichmann. Eine typische Haltung unserer Zeit, auf die James Heartfield in einem Beitrag in diesem Novo gesondert eingeht. Missliebige Meinungen kurzerhand mit dem Attribut faschistisch zu versehen, mag pompös klingen und ist heutzutage sehr beliebt. Es ist aber meist nicht mehr als ein Armutszeugnis für den, der solche Anschuldigungen erhebt. Dass Deichmann, der erst kürzlich in einem Interview für Novo mit Daniel J. Goldhagen die Problematik des Geschichtsrevisionismus diskutierte, der zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Zusammenarbeit mit Holocaust-Überlebenden, dem Frankfurter Institut für Stadtgeschichte und lokalen Initiativen eine Ausstellung organisierte und dafür reichlich Anerkennung erhielt, nun von Vulliamy und Büchel solchen Unsinn vorgehalten bekommt, dürfte ihn und Novo-Leser wohl eher amüsieren.
ITN hielt sich auch in dieser Hinsicht nicht zurück. Am schwarzen Brett des Hauptsitzes des Nachrichtensenders in London ließ die Geschäftsführung ein Schriftstück anbringen, auf dem erklärt wurde, ITN glaube, "dass die von Deichmann vertretenen Anschuldigungen nur den Interessen derjenigen zuträglich sein werden, die das Ausmaß der Verbrechen, die im Norden Bosniens verübt wurden, leugnen wollen". Im Klartext heißt das: Egal ob die Anschuldigungen nun richtig oder falsch sind, ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts kommen generell nur Leugner von Kriegsverbrechen auf die Idee, solche Anschuldigungen zu erheben. Das Argument, Deichmann sei im Bunde mit gefährlichen Geschichtsrevisionisten, ist eines der perfidesten Ablenkungsmanöver.
Im Namen der Opfer
Mick Hume geht in seinem Artikel in diesem Novo der Frage nach, was es damit auf sich hat, wenn Journalisten vorgeben, den Standpunkt der Opfer zu vertreten. Ein Beispiel für dieses mitunter wohl eher unehrliche Spiel mit moralischer Betroffenheit und Emotionen lieferte die österreichische Journalistin Erica Fischer in Beiträgen im Wiener Standard (17.1.97) und im Freitag (7.2.97), die als Antwort auf Deichmanns Artikel formuliert wurden. Fischer lieferte ein erschreckendes Beispiel für die von Deichmann kritisierte und von Hume elaborierte Haltung, es als legitim zu erachten, wenn Journalisten für eine "gute Sache" oder die "größere Wahrheit" Fakten manipulieren.
Fischer gab Deichmann in ihrem Artikel im Freitag ausdrücklich recht hinsichtlich seiner Erklärung des Standorts der britischen Journalisten: "Vor mir liegt eine Skizze des Lagers Trnopolje. Gezeichnet von einem ehemaligen Lagerinsassen. Tatsächlich wurde das ‘falsche Photo’ von innerhalb eines mit Stacheldraht umgebenen Grundstücks gefilmt, in dem es vor dem Krieg Agrarmaterial zu kaufen gab." Statt sich dann aber über die unprofessionellen Praktiken des ITN-Teams zu beschweren, schrieb Fischer weiter: "Hat Penny Marshall behauptet, sie wäre außerhalb gestanden? Ich weiß es nicht, und es ist mir im Grund genommen auch egal." Deichmann, so Fischer weiter, wolle "sadistische Folter und Vergewaltigungen" leugnen und die "Überlebenden diskreditieren". Fischer präsentierte eine Reihe von unglaubwürdigen "Augenzeugenaussagen" und Lügen, um ihre Unterstützung für die Opfer des Krieges zu demonstrieren. Menschen, die im Krieg eine furchtbare Zeit durchlebten, nun zur Seite stehen und ihnen helfen zu wollen, ist zweifelsohne lobenswert. Das Leid der Vertriebenen und Flüchtlinge jedoch für eigene politische oder moralische Standpunkte zu instrumentalisieren, wie während des Bosnienkriegs leider allzu oft geschehen, ist abstoßend und verwerflich. Deichmann reagierte auf Fischers Artikel mit einem Leserbrief, den wir in dieserNovo-Ausgabe dokumentieren.
Komplott- und Verschwörungstheorien
Neben solchen Reaktionen, die einen gefährlichen Trend in den Medien widerspiegeln, wurden auch konspirative Verschwörungstheorien geschmiedet – die wohl amüsanteste Reaktion. Deichmann sei Mitglied eines "internationalen Netzwerks" serbischer Propagandisten, wurde als "heiße Information" unter Journalisten in Dänemark zirkuliert. Im Pressebüro von LM fragte ein Reporter, ob es stimme, dass Deichmann mit einer Serbin verheiratet sei (das trifft nur halb zu: er ist verheiratet). Und die taz wollte zunächst eine Novo-Anzeige nicht drucken mit dem Hinweis, die Werbung für Deichmanns Artikel sei "pro-serbisch".
"Fragen sie sich doch einmal, wer dieser Deichmann ist", gab eine Sprecherin bei ITN Auskunft: "Er war als Zeuge für die Verteidigung im Tadic-Fall vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag tätig." Alles klar? Deichmann erklärte kürzlich auf einer Pressekonferenz, solche Aussagen erinnerten ihn an seine Kindheit, als ihm ein "böser Onkel" weiszumachen versuchte, Kommunisten in der Sowjetunion würden Kinder zum Frühstück verspeisen.
Deichmann war tatsächlich als Expertenzeuge für die Verteidigung Tadics tätig. Er wurde von der renommierten Anwaltskanzlei "Wladimiroff & Spong" beauftragt, einen Bericht über die Berichterstattung über den Tadic-Fall zu verfassen und darüber auszusagen. Auf der Pressekonferenz erklärte Deichmann hierzu: "Ich wurde beauftragt, einen statistischen Bericht vorzulegen. Die Fragen lauteten: ‘Wie oft wurde in den deutschen Medien über den Tadic-Fall berichtet, wie oft wurden Bilder des Angeklagten gezeigt?’ Ich habe über meine Ergebnisse – eine lange Reihe von eher langweiligen Zahlen und Fakten – im Zeugenstand referiert. Wenn irgendjemand etwas an diesem Bericht auszusetzen hat und meint, er sei unprofessionell, soll er das belegen. Ansonsten sollten diese Kritiker, die wohl einzig darauf abzielen, meine persönliche und professionelle Integrität anzuzweifeln, die Klappe halten. Sie tun so, als sei es ihnen lieber, Tadic wäre ohne Prozess in den Kerker geworfen oder erschossen worden. Wenn meine Expertenaussage vor dem Tribunal dazu beitrug, einen fairen Prozess zu ermöglichen und wenn er half, eine fragwürdige Anschuldigung gegen den Angeklagten zu entkräften, hab ich damit keine Probleme. Im Gegenteil: Mir ist die gängige Praxis, bei Prozessen jeweils eine Bank für die Anklage und die Verteidigung zu haben, lieber als Schauprozesse á la Stalin oder Hexenverbrennungen wie im Mittelalter."
aus: Novo, Nr.27, März/April 1997, S.18-21