01.05.2002

Das Lob der Stilblüte

Kommentar von Klaus Bittermann

Mit dem Beginn der Weltmeisterschaft ist wieder ein hohes Phrasenaufkommen zu erwarten, warnt Klaus Bittermann.

War die Häme, mit der damals Trapattonis „Jahrhundertrede“ kommentiert wurde, eine unbewusste Reaktion darauf, dass man sogar in diesem Heimspiel der vergurkten Metapher, in dem man vorher als unschlagbar galt, von einem Ausländer übertrumpft wurde? Hatte sich da nicht einer in die von Berufsquasslern okkupierte Domäne hineingeschmuggelt und ihnen mit der Erfindung der stehenden Redewendung „Was erlauben Struuunz!?“ mal gezeigt, welche Höhen sich mental erklimmen lassen? Friedel Rausch, der seinem Namen alle Ehre macht und ein großes rhetorisches Talent besitzt, bestritt, wenngleich mit gebührender Vorsicht, diesen Zusammenhang: „Ich glaube, dass ich ein besseres Deutsch gesprochen habe als Trapattoni.“ Von ihm stammt auch die hellsichtige Analyse: „Wir waren nicht stark in Gedanken.“ Wer mag da widersprechen?

Hier nun will ich zur Ehrenrettung der Reporter, Spieler, Trainer und Experten eine Lanze brechen, eine Lanze für die seltene Stilblüte, denn nicht herummäkeln soll man an ihr, sondern sich an ihr erfreuen. „Stilblüten sammeln“, schrieb Karl Kraus, „sollte nur, wer ein Liebhaber ist. Sie auszujäten zeugt von einem schlechten Geschmack von einem, der da wünscht, dass in der Zeitung nur korrekte Phrasen wachsen. Stilblüten sind die glücklichen Ausnahmen, denen wir in der Wüste der Erkenntnis begegnen.“

Und das ist ja das Schöne am Fußball: Auch wenn das Spiel nur Tristesse bietet, kann man sicher sein, dass man während oder nach der Partie mit einer merkwürdigen und absurden Weisheit belohnt wird, mit Sätzen von bizarrer Schönheit und großem Charme. Natürlich wird in dieser Zeit auch jede Menge penetrante Aufdringlichkeit, verkrampfte Originalität und blödsinnige Gesinnung zwangskonsumiert, aber dafür bin ich ja da, der Sie davon verschont und Ihnen nur die Perlen unfreiwilliger Komik serviert.

Eine der tiefschürfendsten Fußballweisheiten wurde Ende 2001 in Leverkusen geprägt, einer nach einem Autobahnkreuz benannten Stadt, von der es ansonsten nichts Gutes zu berichten gibt. Der dortige Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser schimpfte nach zwei wegen Nebel verlegten Partien im Turiner Stadion: „Da wird der Fußball doch mit Füßen getreten.“ Eine schwer hitverdächtige Wahrheit, die mit Adi Preißlers „Entscheidend ist auf’m Platz“ oder Sepp Herbergers „Das Spiel dauert 90 Minuten“ durchaus mithalten kann.

„Man muss sich immer auf seine eigene Leistung konzentrieren, sonst vergisst man, das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.“

Einer der Spitzenproduzenten verbogener Metaphern ist Andreas Brehme. Nachdem der Weltmeister von 1990 das Fußballrentenalter erreicht hatte, wurde er Trainer in Kaiserslautern. Leider, denn mit dieser Verpflichtung wurde er vom Co-Reportertisch bei Premiere weggeholt, wo er sich regelmäßig einen Knoten in die Zunge quarkelte. „Die Flanken von außen sind auch Roberto Carlos und Cafu denen ihre Spezialität“, wusste er über die beiden brasilianischen Nationalspieler zu berichten, die „ja auch alle technisch serviert“ seien. Oder auch: „Al-Temawi hat noch nicht die Form für die Fitness, die er angeboten hat mit der Nummer acht.“ Nun versucht er, für seine rhetorischen Darbietungen die entsprechenden Regeln im Trainingsgeschäft zu finden. Mit Erfolg, was beweist, dass Fußball entgegen anders lautender Gerüchte zu 90 Prozent aus Glück und Zufall besteht. Als Mann des Flachsinns hat er sich bereits unsterblich gemacht. „Uns steht ein hartes Restprogramm ins Gesicht“, brehmelte er einmal eindrucksvoll, und als man ihm dabei so zusah, wusste man: Der Mann hatte nicht gelogen.

Dass sich niemand diesen sprachlichen Höhenflügen entziehen kann, zeigte überraschenderweise auch Volke Finke, der nicht zu den Windbeuteln und Krakeelern im Trainergeschäft gehört, sondern muy simpático ist, wie der Spanier sagt. Vielleicht aber, weil Freiburg ein Anziehungspunkt für intellektuelle Oberlangweiler wie Günter Grass und Walter Jens ist, fing auch Finke ein bisschen an zu schwafeln: „Es war kein schlechtes Spiel von unserer Seite, eher teilweise im Gegenteil.“ Ein Statement wie in Quatsch gemeißelt.

Einer der ganz Großen auf dem Gebiet der abstrusen und sonderbaren Komik und einer der zuverlässigsten und auffälligsten Wichtigtuer und Phrasenstreudosen, der in keinem „Who’s who peinlicher Profis“ fehlen darf, ist natürlich Lothar Matthäus. Auch wenn es um ihn als Trainer in Wien etwas ruhiger geworden ist, seine New Yorker Kommentare waren sensationell: „I hope we have a little bit lucky“, sagte er, und für den Fall, dass ihn jemand nicht verstünde, fügte er hinzu: „Ich bin sicher, dass ich in vier oder sechs Wochen Interviews auf Englisch geben kann, wo auch der Deutsche verstehen wird.“

Aber auch der aktuelle Kader der Nationalmannschaft beweist, dass er – wenn auch nicht unbedingt spielerisch – zumindest rhetorisch in die Fußstapfen des großen Meisters treten kann. Ballack übt schon mal und bildet keinen Satz, in dem nicht mindestens einmal „mit Sicherheit“ oder „im Endeffekt“ vorkommt, und sein Kollege Jens Novotny hat sich bereits einen Namen mit dem Kommentar gemacht: „Man muss sich immer auf seine eigene Leistung konzentrieren, sonst vergisst man, das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.“ Dieser Satz sollte eigentlich mit einem Hinweis zum Schutz des unschuldigen Lesers versehen werden: Bitte nicht allzu lange darüber nachgrübeln, sonst gibt es Hirnsalat.

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