18.09.2014
Das externalisierte Gewissen
Analyse von Hasso Mansfeld
Am Mittwoch verlieh die Bundesregierung ihren jährlichen Preis für Corporate Social Responsibility. Dabei drückt sie sich vor ihren wirtschaftspolitischen Aufgaben. . Hinterfragt werden muss der falsche Gegensatz von Gewinn und Moral.
Das Diktat der Masse ist die Mode. Auch die Wirtschaft ist vor Moden nicht gefeit. Das gilt insbesondere für Stile der strategischen Unternehmensführung. Nach „Lean Management“ und „Shareholder Value“ ist nun eine neuer Begriff in Deutschlands Chefetagen besonders en vogue: „Corporate Social Responsibility“, oder kurz: CSR. Den meisten dieser Moden ist gemein, dass sie dem originären Unternehmensziel, der langfristigen Gewinnmaximierung, nicht mehr die Bedeutung beimessen, die es eigentlich verdient. „Der Betrieb im marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem kennt nur ein Ziel: die langfristige Gewinnmaximierung.“ [1] So steht es seit 50 Jahren im Standartwerk der deutschen Betriebswirtschaft. Doch was in der Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, dem „Wöhe“ so unumstößlich wie simpel formuliert ist, wird regelmäßig ignoriert. Während bei Lean Management die Langfristigkeit des Gewinns eine geringere Priorisierung erfuhr, wurde bei Shareholder Value gar der Unternehmensgewinn an sich in Frage gestellt und das gesamte Streben auf eine Maximierung des Börsenwertes ausgerichtet. Auch im Rahmen der Corporate Social Responsibility tritt die langfristige Gewinnmaximierung in den Hintergrund, jedoch dieses Mal nicht aus vorrangig ökonomischen, sondern vor allem aus moralischen Erwägungen.
CSR statt Profit
Unter Corporate Social Responsibility versteht man alle Maßnahmen, die nicht dem unternehmerischen Kerngeschäft zuzuschlagen sind, mit denen ein Betrieb sich finanziell oder anderweitig für soziale, ökologische und ähnliche, mit diesen Themenfeldern gemeinhin verbundene Belange engagiert. Das klingt gut, und ob eine solche CSR-Maßnahme im Einzelfall eher zu begrüßen oder zu kritisieren ist, darf stets aufs Neue geprüft werden. Doch langfristig kann das Denken, das dem Konzept der Corporate Social Responsibility zugrunde liegt, sich für die Wahrnehmung des Unternehmertums in der Öffentlichkeit als gefährlicher Bumerang erweisen. Denn CSR beinhaltet moralphilosophische Implikationen und kommunikative Fallstricke, deren Auswirkungen auf die Akzeptanz des Systems Marktwirtschaft und der sozialen Marktwirtschaft im Besonderen nicht unterschätzt werden sollten.
„CSR leistet einem Denken Vorschub, das auch den radikalen Antikapitalismus von Teilen der Occupy-Bewegung oder gar einiger obskurer Montagsdemonstranten auszeichnet.“
Die weit verbreitete und im Grünbuch der Europäischen Kommission festgehaltene Definition für Corporate Social Responsibility lautet wörtlich: „[ein] Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.“ In diesen wenigen, harmlos klingenden Worten steckt, wie die genauere Lektüre zeigt, einiger Sprengstoff. Unterschwellig suggeriert die Formulierung der Notwendigkeit eines Konzeptes für soziale Verantwortung eine a priori negative Funktion des Unternehmertums: Normalerweise nämlich seien Unternehmen „soziale Belange usw.“ fremd, für die Gesellschaft seien sie im besten Falle von neutraler Bedeutung, im Regelfall wohl sogar schädlich. Und „auf freiwilliger Basis“ - darin schwingt bereits die Androhung von Zwang mit. Die „Wechselbeziehung mit den Stakeholdern“ (Shareholder, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Gläubiger, Staat und Gesellschaft ) knüpft zudem an jene verhängnisvolle Theorie an, nach die Betriebe nicht zuerst dem eigenem Unternehmenszweck und den Investoren, sondern einer diffusen Menge von schwer definierbaren, unmöglich alle zugleich zufriedenzustellenden Akteuren gegenüber Verantwortung zu zeigen hätten, ansonsten agierten sie unmoralisch. Nimmt man all das zusammen, ergibt sich eine Gemengelage, der zufolge Unternehmen sich erst durch Kooperationen mit NGOs, der Gründung einer Stiftung oder ähnliches Engagement im Stile eines Ablassbriefes eine Genehmigung zum Gewinn machen erkaufen müssen, ehe sie ihrem Geschäft, das gern pejorativ als „Profitmacherei“ charakterisiert wird, halbwegs ungestört nachgehen dürfen.
So leisten Unternehmen und deren Berater, die sich der oben zitierten Definition von Corporate Social Responsibility entweder explizit oder durch entsprechende Maßnahmen anschließen, zumindest unabsichtlich einem Denken Vorschub, das auch den radikalen Antikapitalismus von Teilen der Occupy-Bewegung oder gar einiger obskurer Montagsdemonstranten auszeichnet. Dem klassischen Unternehmer und damit der Marktwirtschaft als Ganzes wird mindestens A-, meist aber Unmoral attestiert, die moralischen Qualitäten langfristigen Gewinnstrebens und wirtschaftlicher sowie technischer Innovation werden untergraben.
Die Moral der Marktwirtschaft
Das Gegenteil müsste Ziel weitsichtiger Unternehmenskommunikation sein. Ist es denn unmoralisch, Gegenstände her- und Dienstleistungen bereit zu stellen, welche die Bedürfnisse weiter Teile der Bevölkerung befriedigen oder ihnen sogar womöglich das Leben deutlich erleichtern? Ist es unmoralisch, Menschen ein Auskommen und damit überhaupt erst ein gutes Leben zu ermöglichen? Und wenn, was wohl die wenigsten bezweifeln wollten, diese Dinge moralisch nicht zu beanstanden sind, ist es dann unmoralisch, wenn das gleiche unter den Bedingungen des Wettbewerbs und mit dem Ziel der Gewinnmaximierung geschieht? Erhellendes zu diesen Fragen hat der Wirtschaftsethiker Karl Homann beizutragen, der untersucht, warum der Marktwirtschaft so gern ein moralisch zweifelhafter Leumund ausgestellt wird. [2]
„Ist es unmoralisch, Menschen ein Auskommen und damit überhaupt erst ein gutes Leben zu ermöglichen?“
Homann identifiziert den Wettbewerb in der Sphäre der Ökonomie, ein historisch vergleichsweise neues Phänomen, als einen Stolperstein für über Jahrtausende tradierte Moralvorstellungen: „Der Wettbewerb in der Wirtschaft wurde aus ethischen Gründen bewusst vermieden, weil dieser in der vormodernen Wirtschaft gefährliche soziale Konflikte heraufbeschworen hätte“. [3] Aus kulturellen Gründen also falle es uns schwer, marktwirtschaftlichem Wettbewerb eine positive moralische Funktion zuzugestehen. Dem entgegenstehend führt Homann aus: „Praxistauglich ist allein […] Wettbewerb unter Regeln. Das wichtigste theoretische Instrument in diesem Modell ist die Unterscheidung zwischen Handlungen und Handlungsbedingungen, oder, in der Sprache des Fußballs, zwischen Spielzügen und Spielregeln. […] Sanktionsbewehrte Regeln binden alle gleichermaßen – auch wenn die Schiedsrichter manche Verfehlungen nicht sehen“.3 Unter Regeln können Moral und Wettbewerb zugleich realisiert werden: Die Moral wird – grundlegend, nicht ausschließlich – durch die Spielregeln gewährleistet, und der Wettbewerb findet in den Spielzügen statt. Ziel sei das gute Leben für eine größtmögliche Menge Menschen:
Die Moralität der Marktwirtschaft sei also, stellt Homann fest, entgegen vormoderner Moralvorstellungen von ihrem Ergebnis her zu begreifen, und das ist ein in der Geschichte so nie zuvor aufgetretener Wohlstand der Massen. Wer aber diese zweifellos positiven gesellschaftlichen Resultate unternehmerischer Tätigkeit befürwortet, dürfe sich nicht dazu verleiten lassen, den Weg, auf dem diese zu Stande kommen, moralisch zu verurteilen. Wenn Homann Wettbewerb und Gewinnmaximierung als „Systemimperativ“ und „Funktionsimperativ“ der Marktwirtschaft charakterisiert, bedeutet das: Kein Massenwohlstand ohne Orientierung an diesen beiden Imperativen, kein Ergebnis ohne den Mechanismus, der es hervorbringt. So ist das marktwirtschaftliche Prinzip selbst als moralisch zu begreifen.
Entsprechend sollte man keineswegs, wie es manchmal zur Verteidigung des Konzeptes ins Feld geführt wird, Corporate Social Responsibility mit der Verantwortung des Unternehmers gegenüber seinen Mitarbeitern und Geldgebern, der Notwendigkeit einer ressourcenschonenden, effizienten Produktion, oder dem Interesse an zukunftsträchtigen Investitionen verwechseln. Bezeichnete CSR nur dies, wäre das Konzept selbst ebenso obsolet wie die Kritik daran. Denn wie jeder BWL-Student bereits im ersten Semester lernen darf, ist die langfristige Gewinnmaximierung, schon immer das zentrale Anliegen des unternehmerischen Kerngeschäfts (s. o.). Ein Interesse am verantwortungsvollen Umgang mit Mitarbeitern, den Bedürfnissen und Sorgen der Geldgeber, an wichtigen Investitionen in die Zukunft und der Erhaltung der für das Unternehmen notwendigen Ressourcen hat das Unternehmen bereits aus diesem ureigenem Gewinninteresse heraus.
„Wer sich Logik der CSR unterwirft, erkennt an, dass er fortschrittsfeindlichen Lobbygruppen mindestens ebenso Rechenschaft schuldet wie den eigentlichen Anspruchsberechtigten“
Doch das Konzept der Corporate Social Responsibility will eben mehr sein, und ist tatsächlich etwas ganz anderes. Dem Stakeholder-Value Ansatz zufolge, der mit CSR eng verknüpft ist (s.o.), ist das Unternehmen nicht mehr in erster Linie Investoren und Aufsichtsgremien gegenüber rechenschaftspflichtig, sondern gegenüber abstrakten und beliebig ausfüllbaren Entitäten wie der „Umwelt“, der „Gesellschaft“, oder der „Zukunft“. Das „Gewissen“ des unternehmerischen Handelns wird so externalisiert, und die heute bereits gesellschaftlich wirkmächtigen „Moralunternehmer“, die längst erfolgreich abgesteckt haben, wie moralisches Verhalten in der heutigen Zeit zu definieren sei, gewinnen eine mittelbare, schwer genau zu fixierende Macht über das Unternehmertum. Eine Macht, die der des Priestertums über ihre Schäfchen in früherer Zeit nicht unähnlich ist. Oder plakativer: Wer sich Logik der CSR unterwirft, erkennt an, dass er Greenpeace, der Deutschen Umwelthilfe und anderen fortschrittsfeindlichen Lobbygruppen mindestens ebenso Rechenschaft schuldet wie den eigentlichen Anspruchsberechtigten, etwa Aufsichtsgremien, Eigentümern und Kreditoren. Ein Unding.
Demgegenüber muss als oberstes Thema der Unternehmenskommunikation immer wieder auf die hier dargelegte innere Moralität der Marktwirtschaft hingewiesen werden. Ebenso sollten sekundäre Effekte, wie ein durch Gewinne erhöhtes Steueraufkommen regelmäßig thematisiert werden. Denn nur was erwirtschaftet wird kann auch verteilt werden. Ohne Gewinn keine Moral.
CSR, Wirtschaftskrise, Management
Falsch wäre es allerdings, über die Kritik an den Ideen der Corporate Social Responsibility diese so zu behandeln, als seien sie vom Himmel gefallen oder der Marktwirtschaft von bösen Mächten oktroyiert worden. Wie kann es sein, dass sich eine für das Gros der Unternehmen so schädliche Theorie und Praxis gerade auch in den Reihen der Unternehmer auf diese Weise etabliert und verbreitet? Gibt es womöglich Erfahrungen, an die das Konzept CSR andocken kann? Arbeiten nicht kompetente Berater und PR-Strategen für erfolgreiche Unternehmen, die verhindern müssten, dass ein so verhängnisvoller Weg beschritten wird? Und welche Rolle spielt die Politik im Hinblick auf CSR? Diesen Fragen stellen sich Kritiker bisher nur teilweise und zögerlich, dabei würde es lohnen, sie im größeren Zusammenhang zu analysieren.
„In der Krise offenbarte sich, wie wenig wirtschaftliches Risiko und Verantwortung für Fehlentscheidungen oftmals miteinander verknüpft sind“
Corporate Social Responsibility befindet sich besonders seit der Wirtschaftskrise 2008ff. in einem steten Aufwind. Das ist naheliegend. Die größte Erschütterung des wirtschaftlichen Lebens seit der Weltwirtschaftskrise 1929 hat den moralischen Vorsprung, den die moderne Marktwirtschaft dank einer überlegenen Entwicklung der Lebensqualität im Vergleich mit dem sozialistischen Modell seit den Zeiten des kalten Krieges in weiten Teilen der Bevölkerung genoss, aufgezehrt. Dass bestimmte Branchen, Unternehmen, insbesondere aber Banken als „too big to fail“, trotz verheerender Fehlentscheidungen, Tricksereien und manchmal auch kriminellem Verhalten (in der USA hat sich daher auch die Redewendung „too big to jail“ eingebürgert), zulasten der Staatsschuld und des Steuerzahlers gerettet wurden, dass die meisten Protagonisten, deren Misswirtschaft vor allem für Investoren und Schuldner oft katastrophale Folgen zeitigte, ungeschoren davon kamen oder sogar noch Boni einstrichen und längst wieder in Führungspositionen beschäftigt sind, kurz: Dass sich in der Krise offenbarte, wie wenig wirtschaftliches Risiko und Verantwortung für Fehlentscheidungen oftmals miteinander verknüpft sind, stellte in der alltäglichen Erfahrung die These, dass Marktwirtschaft per se moralisch sei, auf eine harte Probe.
Homann will die Moralität der Marktwirtschaft unter anderem von den Ergebnissen her begriffen wissen, die sie hervorbringt. Mit dem dabei von ihm bemühten Ideal eines Wettbewerbs, der auch für die Unterlegenen noch vorteilhaft sei, hat aber die heutige Realität tatsächlich in vielen Fällen nur noch wenig gemein. Das kann nicht beiseite wischen, wer sich ernsthaft mit der Moralität der Marktwirtschaft auseinandersetzen möchte.
Doch das Auseinanderfallen von Ideal und Realität lässt sich erklären. Heute steht einem noch immer auf breiter Basis operierenden inhabergeführten Unternehmertum eine globale Macht von Großunternehmen gegenüber, deren operatives Geschäft größtenteils von leitenden Angestellten – Managern – geführt wird. Der Unternehmer als tätiger Eigentümer einer von ihm selbst geschaffenen ökonomischen Einheit tritt in der öffentlichen Wahrnehmung zusehends in den Hintergrund. Während jener das eigene Unternehmen selbst aufgebaut hat und also nicht allein ökonomisch, sondern auch persönlich an dessen Entwicklung interessiert ist (genauer: ökonomisches und persönliches Interesse fallen in eins), wobei er aber gleichzeitig im Falle des Misserfolgs mit dem eigenen Vermögen haftet, ist der Manager diesen Haftungs-Sorgen ebenso entbunden wie jeder andere Angestellte. Bereits im Jahre 2010 wies die Wirtschaftsjournalistin Anja Müller im Handelsblatt darauf hin, dass „die Ziele der Eigentümer – die langfristige Gewinnmaximierung – sich von denen der Manager – ein gelungener Start und ein hohes Gehalt – unterscheiden“, und folgerte: „Manager, die den schnellen Gewinn suchen, können [...] ihren Unternehmen nachhaltig schaden, zeigen Natalie Mizik (Columbia University) und Robert Jacobson (University of Washington)“ [4].
„Je größer ein Unternehmen, desto wahrscheinlicher ist es, dass es, egal wie verantwortungslos zuvor gewirtschaftet wurde, vom Staat gerettet wird.“
Hier entsteht ein moralisches Dilemma, das durch die kaum zu vermeidende staatliche Interventionspolitik nach 2008 noch gefördert wurde und wird. Je größer ein Unternehmen, desto wahrscheinlicher ist es, dass es, egal wie verantwortungslos zuvor gewirtschaftet wurde, vom Staat gerettet wird. Dem Manager ist das natürlich bekannt, und er fühlt sich ermächtigt, noch höhere Risiken einzugehen. Es besteht eine Regulierungslücke im wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen, die es eigentlich nie hätte geben dürfen.
Gerade für die Führungsebenen solcher managergeleiteter Unternehmen, denen am Erhalt des Prinzips „too big to fail“ gelegen ist, kann die Idee der Corporate Social Responsibility nun durchaus verlockend sein. Hier ein Stück Regenwald aufzukaufen, dort eine Schule zu finanzieren, stellt einfache und oberflächliche Lösungen für ein Problem bereit, an dessen tiefergehender Analyse und Beseitigung eben jene leitenden Angestellten, die ihre Leistung derzeit oft kontrafaktisch selbst bewerten und honorieren, gar kein Interesse haben können. Statt Risiko und Verantwortung wieder zusammenzuführen reagiert man wie das Kind, das nach einer schlechten Note wartet, bis es den Eltern zusätzlich noch eine bessere präsentieren kann, in der Hoffnung, dass deren Zorn dann nicht ganz so heftig ausfällt.
Der Befund lässt sich auf die Feststellung zuspitzen, dass zwischen der breiten Schicht der inhabergeführten Unternehmen (der viel beschworene Mittelstand) und einigen tonangebenden Global Playern eine Art „Klassenkampf“ tobt, in dem die inhabergeführten Unternehmen auf lange Sicht davon profitieren würden, eine moralphilosophische Legitimierung der Marktwirtschaft in Angriff zu nehmen. Doch sind diese entweder zu schlecht organisiert, sich der Problemlage zu wenig bewusst, oder einfach zu sehr mit dem Kerngeschäft beschäftigt, so dass sie im Zweifelsfall, ehe man sie der Unmoral zeiht, lieber mit den auf CSR und Ergebniskosmetik setzenden Wölfen heulen. Sprich: Sie bringen eigene CSR-Maßnahmen auf den Weg.
„Auf langfristige Gewinnmaximierung ausgerichtetes unternehmerisches Handeln IST moralisch und braucht kein CSR, um sich zu legitimieren.“
Auf diese Weise kann man aber gegen die mächtigen Konzerne nur verlieren. Insbesondere, da in den letzten Jahren die Prominenz einiger Manager dazu beigetragen hat, dass die Begriffe Unternehmer und Manager immer mehr vermischt werden; ein positiver Begriff des Unternehmers, an den selbstbewusstes Unternehmertum anknüpfen könnte, existiert kaum noch. Dennoch und gerade deswegen: Auf langfristige Gewinnmaximierung ausgerichtetes unternehmerisches Handeln IST moralisch und braucht kein CSR, um sich zu legitimieren. Das ist die Botschaft, die Unternehmen aussenden müssten. Die Gesellschaft erteilt keinen Ablassbrief, der das Gewinnmachen erlaubt, sondern profitiert regelmäßig und schon immer von den gemachten Gewinnen. Nur an der Art und Weise, wie das Kerngeschäft geführt wird und wie ein Unternehmen sich den direkt von ihm Abhängigen gegenüber positioniert, lässt sich die Moralität des Unternehmertum festmachen, nicht mit Bezug zu einem externalisierten Gewissen, das, öfter als man glauben mag – zuletzt enthüllten das die Studien zum moralisch bis dahin hoch geschätzten Fair-Trade-Siegel – sich für den schönen Schein anfällig zeigt.
Die Politik als „Moralunternehmer“
Vor allem dieser schöne Schein ist es, der die Corporate Social Responsibility auch in politischen Kreisen sehr beliebt gemacht hat. Das im vorherigen Abschnitt konstatierte moralische Dilemma, das der gesamten „too big to fail“-Problematik, und damit auch dem nicht zu verleugnenden Auseinanderfallen von Risiko und Verantwortung im modernen Kapitalismus zugrunde liegt, wurde bisher von der Politik kaum angegangen. Obwohl es offenkundig ist, dass am politischen Ordnungsrahmen, der Fortschritt durch funktionierenden Wettbewerb mit klaren Regeln überhaupt erst ermöglichen würde, ständige Anpassungen nötig sind, werden vor allem schöne Reden geschwungen, denen keine Taten folgen. Doch ohne einen adäquaten Ordnungsrahmen kann Marktwirtschaft ihre moralische Funktion nicht entfalten.
Das Problem ist in der Politik sicherlich bekannt, mögliche Lösungen wurden von Experten und interessierten Laien in schöner Regelmäßigkeit ausgebreitet, entwickelt und weiter entwickelt: Unternehmen, auf die die Logik des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs nur noch bedingt Einfluss hat, müssten verkleinert oder zerschlagen werden. Die Eigenkapitalanforderungen an Banken wären zu erhöhen, und es wären tragfähige Konzepte für die geordnete Insolvenz großer wirtschaftlicher Konglomerate zu entwickeln. Auch eine Wiedererrichtung des Trennbankensystems im Sinne der Glass-Steagall Acts wäre anzudenken.
Doch wenig geschieht. In Deutschland etwa bleiben die Eigenkapitalanforderungen an Banken geringer als in der Schweiz, wo sie selbst noch nicht sonderlich hoch sind; auf europäischer Ebene kommt das Insolvenzprozedere im Bankensektor nur schleppend voran. Das endlich im deutschen Gesetz verankerte Trennbankensystem ist nichts Halbes und nichts Ganzes, ein fauler Kompromiss. Zwar fordern politische Akteure allenthalben lautstark das „Primat der Politik über die Wirtschaft“, und es sind längst nicht nur Opposition und die Sozialdemokraten, die sich so zu Wort melden, doch wenn es hart auf hart kommt, scheut man die Auseinandersetzung mit den einflussreichsten wirtschaftlichen Lobbygruppen.
„CSR liefert der Politik eine einfache Möglichkeit, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen.“
Hier kommt das politische Interesse am Konzept Corporate Social Responsibility ins Spiel, das der Politik eine einfache Möglichkeit liefert, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Mit Appellen an das soziale Gewissen des Unternehmertums, zuletzt noch zusätzlich gewürzt durch die opportune Stiftung des CSR-Preises der Bundesregierung, lässt sich die aufwändige unmittelbare Auseinandersetzung um den Ordnungsrahmen umgehen, während man gleichzeitig mittelbaren, verdeckten, Einfluss auf die wirtschaftliche Sphäre zu gewinnen sucht. Das ist durchaus erfolgsversprechend. Denn Politik zeichnet sich oft dadurch aus, dass man nicht die richtigen, sondern plausible Antworten gibt. Der politische Umgang mit dem, was aus der wirtschaftlichen Krise zu lernen wäre, richtet sich nach dem, was der ökonomische Laie, der Wähler, gelernt zu haben glaubt.
Und dieser Wähler identifiziert spätestens seit 2008 intuitiv unternehmerische Tätigkeit mehrheitlich mit einem Mangel an Moral. Das gilt insbesondere für Deutschland, da hier der Nutzen der Wirtschaft nicht mehr in Kategorien wie Arbeitsplätze, Güterproduktion oder Steuerkraft, sondern fast ausschließlich unter moralischen Aspekten debattiert wird. Und kontrafaktisch reagiert die Politik, indem sie das wirtschaftsfeindliche Konzept der CSR in den Status eines Dogmas erhebt. Das ist für Politik und Großunternehmen gleichermaßen angenehm: CSR ein Surrogat der Problemlösung. CSR ist Symptom eines eklatanten Kommunikationsdefizits in der Wirtschaftspolitik. Ein erwünschter Nebeneffekt dabei: Ebenso wie die Moralisten des NGO-Sektors erringt die Politik so tatsächlich ein schwer zu überblickendes „Primat über die Wirtschaft“, als eine Instanz, die moralische Richtlinien vorgibt.
Genau das ist ein verhängnisvoller Fehler. Die Politik sollte niemals das Primat über die Wirtschaft haben. Politik und Wirtschaft sind eigene Funktionssysteme mit jeweils differierender eigener Logik. Aufgabe der Politik aber ist die Gestaltung und Kontrolle des Ordnungsrahmens. Darin muss festlegt werden, nach welchen Regel der Wettbewerb abzulaufen hat und die Politik muss sich dann in Wahlen dem Urteil darüber stellen, ob sie falsch oder richtig gehandelt hat. Aus dem hier Dargelegten sollte deutlich geworden sein, dass es auch aus liberaler Sicht derzeit Regulierungsbedarf gibt. Doch ist politisch zu definieren, wie der Ordnungsrahmen auszusehen hat und welche moralischen Standards darin gelten, nicht mittels eines kaum je wirklich greifbaren Konzeptes der Corporate Social Responsibility.
„Für die inhärente Moralität der Marktwirtschaft zu streiten, muss das Ziel aufrechter Unternehmer sein.“
Indem sie diese genuin politische Sphäre umgeht und letztendlich außer Kraft setzt, ist die Idee der Corporate Social Responsibility sogar gefährlich für die demokratische Kultur und das demokratische System. Handfeste Debatten um sachliche Argumente, sei es im Parlament, sei es in den Medien, sei es in direkten Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung, werden vermieden. Stattdessen reden wir über wohlklingende, jedoch schwammige, Konzepte wie „soziale Verantwortung“, oder „unternehmerisches Gewissen“.
Man sollte aber sicherlich nicht erwarten, dass eines schönen Tages die Politik hier wirklich in Vorleistung treten wird, und die Probleme unserer Marktwirtschaft forsch angehen wird. CSR als die ideologische Fehlkonzeption und Unterminierung sozialer Marktwirtschaft, die es ist, zu exponieren, bleibt den Unternehmern überlassen, für die die Zusammengehörigkeit von Risiko und Verantwortung mehr sind als nur leere Worte. Die so ernsten Spielereien rund um Corporate Social Responsibility nicht mitzumachen, nicht der Position Vorschub zu leisten, unternehmerisches Handeln sei eine per se unmoralische Sache, von der man sich im Stile eines Ablasshandels frei zu kaufen habe, ist geradezu die Pflicht unternehmerischen Handelns und unternehmerischer Selbstdarstellung. Für die inhärente Moralität der Marktwirtschaft zu streiten, muss das Ziel aufrechter Unternehmer sein. Es wird niemand anders machen.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Vorabpublikation aus der nächsten Novo-Printausgabe (#118 – II/2014), die im Oktober erscheinen wird. Sichern Sie sich bereits heute ein Exemplar oder werden Sie Abonnent, um die Herausgabe eines wegweisenden Zeitschriftenprojekts zu sichern.