02.07.2012

CO2: Warum Emissionen in den USA sinken, aber nicht in Europa

Von Ted Nordhaus und Michael Shellenberger

In den USA – lange als großer Klimaschurke verschrien – sinken die CO2-Emmisionen seit Jahren – im „grünen“ Europa hingegen nicht. Woran das liegt, fragen die amerikanischen Umweltaktivisten Michael Shellenberger und Ted Nordhaus. Die Antwort: Amerika setzt auf Schelfgas, Europa nicht

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden die USA als der globale Klimaschurke hingestellt, der sich weigerte, das Kyoto- Protokoll zu unterschreiben, während Europa den Handel mit Klimazertifikaten einführte. Allerdings ist, wie wir im Folgenden ausführen, etwas Bemerkenswertes passiert: Die Emissionen in den USA begannen bereits 2005 zu sinken, und es wird erwartet, dass sich diese Entwicklung im nächsten Jahrzehnt fortsetzt – während das europäische System des Handels mit Verschmutzungsrechten keinen messbaren Einfluss auf Emissionen hatte. Selbst das angeblich so grüne Deutschland wendet sich wieder der Kohle zu.

Und warum? Der Grund hierfür ist offensichtlich: Die USA profitieren von einer staatlich geförderten, über 30 Jahre angelegten technologischen Revolution, die die Versorgung mit Erdgas massiv erhöht und verbessert hat; und zwar in einem Maße, die es sogar im Vergleich mit Kohle billig machen. Der Gegensatz zwischen dem, was in Europa und dem, was in den USA geschieht, fordert all diejenigen heraus, die immer noch glauben, dass die Verteuerung fossiler Brennstoffe und der Handel mit Emissionsrechten für eine Reduzierung von Emissionen wichtiger seien als direkte und dauerhafte öffentliche Investitionen in technologische Innovation.

Jenseits des Zertifikathandels: Ein neuer Weg zu sauberer Energie

Damit hatten sie nicht gerechnet: Während Umweltschützer im Kongress noch versuchten, CO2-Emissionen zu begrenzen und zu verteuern, begannen die Emissionen bereits zurückzugehen. Die Verringerung begann schon im Jahr 2005 und beschleunigte sich nach der Finanzkrise. Die Schätzungen der US-amerikanischen Energieinformationsbehörde EIA gehen zurzeit davon aus, dass die Emissionen in den USA in den nächsten Jahren weiter sinken und für ein weiteres Jahrzehnt oder länger auf niedrigem Niveau verharren werden.
Die naheliegende Ursache für den Rückgang der letzten Jahre war wohl die Rezession und die langsame wirtschaftliche Erholung. Der Grund für die Prognose der EIA für einen längerfristigen Rückgang von zehn Jahren oder mehr ist jedoch der Überfluss an billigem Erdgas, mehrheitlich aus unkonventionellen Quellen wie Schiefer, der die Perspektive für Amerikas Energiezukunft der nächsten Jahrzehnte grundlegend verändert hat.

Erdgas ist kein Allheilmittel. Es verursacht immer noch eine Menge an CO2-Ausstoß in die Atmosphäre und hat diverse Probleme beim Umweltschutz auf lokaler Ebene verursacht. Dass bei der Förderung von Erdgas ausströmende Methan droht einen Großteil des Vorteils, den Erdgas gegenüber Kohle hat, wieder zunichtezumachen. Und selbst wenn wir völlig von Kohle auf Gas umstellen würden, müssten wir danach von Gas auf Erneuerbare und Kernkraft umstellen, um die US-Emissionen so weit zu reduzieren, wie Klimawissenschaftler es für nötig erachten, um die gefährliche globale Erwärmung zu verhindern.

Die Schiefergasrevolution und ihre ausgesprochen bedeutsamen Auswirkungen auf die CO2-Emissionen der USA bedeuten jedoch eine heftige Abfuhr für die bis dahin unter politischen Analysten und führenden Umweltschützern dominierende Auffassung darüber, was denn nötig sei, um die US-amerikanischen Emissionen zu verringern – namentlich die Verteuerung und Begrenzung des CO2-Ausstoßes. Die Existenz eines besseren und billigeren Ersatzes hat die Emissionen in den USA erfolgreich reduziert, während die Versuche, fossile Brennstoffe durch Zertifikatehandel und Steuern zu verteuern und dadurch den Übergang zu erneuerbaren Energiequellen anzutreiben, gescheitert sind.
Tatsächlich hat die rapide Verdrängung der Kohle durch Gas nur wenige regulatorische Eingriffe erfordert. Die herkömmlichen Gesetze gegen die Umweltverschmutzung tragen bereits einen niedrigen, impliziten Kostenfaktor für CO2 in sich. Viele lokale und regionale Umweltbewegungen haben den politischen Druck erhöht, alte Kohlekraftwerke nicht länger in Betrieb zu halten und dafür neue zu bauen.

Diese Anstrengungen sind stetig umso effektiver geworden, je billiger Gas wurde. Die Existenz eines billigeren und besseren Ersatzes hat den Wandel weg von der Kohle ökonomisch viel effektiver gemacht und den politischen Initiativen enormen Rückenwind verliehen, die sich gegen neue Kohlekraftwerke richten, die alten abschalten wollen und strengere Luftreinhaltungsvorschriften fordern.

Und obwohl billiges Gas die Marktkräfte gegen alte Kohlekraftwerke bündelt, ist die Existenz billigen Gases aus unkonventionellen Quellen keinesfalls ein Verdienst dieser Kräfte, genauso wenig wie eine Folge laxer Energiegesetze. Unser momentaner Überfluss an Gas und die sinkenden Emissionen sind zu einem nicht unerheblichen Anteil das Resultat von 30 Jahren öffentlicher Hilfen für Forschung, Demonstrationsprojekte und Kommerzialisierung nicht-konventioneller Gastechnologien, ohne die es heute keine Schiefergasrevolution gäbe.
Schon Mitte der 70er Jahre förderten die Ford- und Carter-Regierungen in großem Maßstab Demonstrationsprojekte, die bewiesen, dass Schiefer eine potentielle, reichhaltige Quelle für Gas ist. In den darauffolgenden Jahren fuhr das US-Energieministerium fort, Forschung und Entwicklung neuer Fracking-Technologien zu fördern und entwickelte neue, dreidimensionale Erschließungs- und horizontale Bohrmethoden, die es Unternehmen letztendlich ermöglichten, zu kommerziell erträglichen Kosten und in ausreichenden Mengen Gas aus Schiefervorkommen zu gewinnen. Die Ausnahme von der bundesweiten Gasbesteuerung erlaubte es privaten Firmen, weiter mit neuen Gastechnologien zu experimentieren, und das zu einem Zeitpunkt, als selbst in der Erdgasindustrie nur wenige daran glaubten, dass es überhaupt jemals gelingen könnte, Schiefergas wirtschaftlich zu fördern.

Die Gasrevolution, die sich jetzt entfaltet – und ihre potentielle Auswirkung auf die zukünftige Richtung der US- Emissionen –, könnte bedeuten, dass der lange Zeit als unabwendbar geltende Schwerpunkt auf Reduzierung durch Emissions- und Zeitziele sowie Verteuerung sich jetzt als falsches Konzept erweist. Die Verteuerung von fossilen Brennstoffen ist zurzeit immer noch das sine qua non der Klimapolitik in den akademischen Denkfabriken, während die Masse der nationalen Umweltbewegungen die momentane Periode eher als Interregnum anzusehen scheint, und zwar zwischen den unlängst gescheiterten Anstrengungen zur Begrenzung der Emissionen aus fossilen Brennstoffen durch den Kongress und der nächsten Chance, dieses Thema im Kongress irgendwann wieder aufzugreifen.

Trotzdem hat das europäische Emissionshandelsystem (ETS), das jetzt schon fast seit einem Jahrzehnt in Kraft ist und das für Preise für fossile Brennstoffe gesorgt hat, die weit höher sind als die, die man mit dem US-System hätte festlegen können, keinen messbaren Effekt auf die Emissionen in Europa gehabt. Die CO2-Intensität der europäischen Wirtschaft ist seit der Einführung des ETS in keiner Weise gesunken. Der grüne Musterknabe Deutschland hat sich unter den Auspizien des ETS inzwischen auf den Ausbau von Kohlekraft in großem Maßstab kapriziert, und das in noch zusätzlich beschleunigtem Maße, seit die Deutschen ihre Kernkraftwerke abgeschaltet haben.

Bei alledem bleiben die Befürworter der Begrenzung von Emissionen in den USA dabei, dass nur rechtlich verbindliche CO2-Obergrenzen einen künftigen Rückgang der Emissionen garantieren könnten, während technologische Entwicklung – bei zeitgleichen Anstrengungen zur Reduzierung konventioneller Luftverschmutzer – dies nicht leisten könnte. Jedenfalls haben sich Energie- und Emissions-Vorhersagen in der Vergangenheit als notorisch unzuverlässig erwiesen. Es ist absolut möglich, dass die zukünftigen Emissionen deutlich über oder deutlich unter den aktuellen Vorhersagen der EIA liegen. Die Cap-And-Trade-Vorschläge zur Begrenzung der CO2- Emissionen, die im letzten US-Kongress scheiterten, hätten hier ebenso wenig wie das europäische System irgendeine Sicherheit gebracht. Es ist dermaßen mit Schlupflöchern, Ausnahmeregelungen und anderen kostenbegrenzenden Mechanismen versehen, dass die Emissionen noch jahrzehntelang hätten weiter steigen können, während alle weitermachten wie bisher.

Das tatsächliche Ergebnis hätte wohl auch noch schlimmer ausfallen können. Der Preis für die Forderung der Umweltverbände nach „rechtlich bindenden“ Emissionszielen war die freigiebige Verteilung von kostenlosen Emissionszertifikaten an die Kohleindustrie, wodurch der momentan stattfindende Wechsel hin zum Gas womöglich noch verlangsamt wurde.

Die Emissionen in den USA weiter herunterzuschrauben wird letztendlich bedeuten, Alternativen mit wenig oder gar keinen CO2-Emissionen zu entwickeln, die besser und billiger als Gas sind. Das wird nicht über Nacht geschehen. Die Entwicklung kosteneffektiver Technologien zur Förderung von Schiefergas brauchte über 30 Jahre. Wir haben aber schon eine beträchtliche Anzahlung für die Technologien geleistet, die wir benötigen werden.
Im letzten Jahrzehnt habe wir mehr als 200 Milliarden US-$ ausgegeben, um neue regenerative Energietechnologien zu entwickeln und marktfähig zu machen. China hat dafür noch mehr investiert. Und diese Investitionen beginnen sich auszuzahlen. Windenergie ist in manchen Regionen bereits genau so billig wie Gas – an bevorzugten Standorten mit guter Anbindung an bestehende Versorgungsleitungen. Auch die Solarenergie ist kurz davor, in Spitzenlagen Netzparität zu erreichen. Und eine neue Generation von Kernkraftwerken, die versprechen billiger, sicherer und leichter skalierbar zu sein, werden letztendlich CO2-freie Grundlastenergie verfügbar machen.

All diese Technologien haben noch einen weiten Weg vor sich, bevor sie Kohle oder Gas in bedeutsamem Maßstab werden ersetzen können. Der Schlüssel für diese Entwicklung liegt nicht in noch mehr Diskussionen über Begrenzung und Verteuerung von CO2. Er liegt in einer Weiterverfolgung des Weges, der uns billiges unkonventionelles Gas beschert hat – Entwicklung und Einsatz von benötigten Technologien und Infrastruktur, und zwar von Anfang an.

Wenn wir das alles geschafft haben, dann könnten uns Begrenzungen oder Verteuerungen von CO2 vielleicht die letzten Meter über die Ziellinie bringen. Ein einfacherer Weg, mit Fokus auf der Entwicklung fortschrittlicher Technologien und der Verstärkung der konventionellen Gesetze gegen die Luftverschmutzung, könnte aber genauso gut funktionieren – vielleicht sogar besser.

Denn eines sollte jetzt klar sein: Der Schlüssel zur Dekarbonisierung der Wirtschaft wird die Entwicklung billiger Alternativen sein, die fossile Brennstoffe kosteneffektiv ersetzen können. Es gibt schlicht keinen Ersatz dafür, saubere Energie billig zu machen.

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