01.03.2000

CDU-Spendenaffäre: Die skandalöse Skandalaufklärung

Analyse von Sabine Reul

Ein Beitrag zur Rubrik „Stichwort“.

Manch eine Politikerkarriere endete in der Vergangenheit zu Recht vor Gericht. Doch der Spendenskandal der CDU wird viel zu hoch gehängt, findet Sabine Reul.


Als der frühere Schatzmeister Walter Leisler Kiep sich am 5. November vergangenen Jahres der Augsburger Staatsanwaltschaft stellte und zugab, jenen berüchtigten Koffer mit Barem in der Schweiz in Empfang genommen zu haben, ahnten wohl nur wenige, welche Folgen dieser Schritt noch auslösen würde. Er setzte einen Prozess in Gang, der mit zwei Ergebnissen enden wird: der Zerstörung der CDU – oder zumindest der, die wir kennen – und der Durchsetzung eines neuen Politikmodells. Die Zerstörung der CDU werden manche als schmerzlich, andere als verkraftbar erachten. Das neue Politikmodell hingegen, das sich im Umgang mit diesem Skandal abzeichnet, lässt einen tatsächlich schaudern.
Skandale hat es in der Politik natürlich schon immer gegeben. Sie erregen mal mehr, mal weniger großes öffentliches Missfallen, werden mal mehr, mal weniger energisch geahndet und führen, soweit Gesetzesverstöße vorliegen, zu Recht zum jähen Ende manch politischer Laufbahn vor Gericht. Besondere Qualität erlangen Politikskandale, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, zum Medium gesellschaftlicher Prozesse werden, die zum Anlass des Skandals nur bedingt in Relation stehen, den Skandal aber brauchen, um endgültig zum Durchbruch zu gelangen.

Die neunziger Jahre waren das Jahrzehnt solcher Skandale. Erst in Italien, dann in Belgien und schließlich in milderer Form in England waren Korruptionsvorwürfe der Auslöser für gesellschaftliche Dramen, in deren Verlauf die bürgerlichen politischen Parteien moralisch aufgerieben und schließlich mehr oder weniger nachhaltig marginalisiert wurden. Die Aufdeckung einer Schmiergeldaffäre in Italien im Jahre 1992 endete mit der Liquidierung der konservativen “Democrazia Christiana” und des “Partito Socialista”. Darauf folgten eine bis heute andauernde Prozesslawine und die unaufhaltsame Zersplitterung des italienischen Parteiensystems. In Belgien lösten Hinweise auf Kindesmissbrauch an höchster Stelle eine Woge der Empörung aus, von der sich das politische System des kleinen Landes wohl nie richtig erholen wird, während in England die ohnehin geschwächten Tories seit Jahren von immer neuen Korruptionsvorwürfen an die Wand gedrängt werden. In all diesen Fällen ist der Skandal die Form eines verdeckten Machtkampfs zwischen alter und neuer politischer Elite.

“Nur weil in diesem Fall die CDU der Schuldige wäre, solche Maßstäbe anlegen, hieße politischer Justiz gefährlich nahe kommen”

Zum Jahrtausendwechsel erlebt nun also auch Deutschland dieses Drama. Wie in Italien, steht wieder die Rolle des Geldes in der Politik im Mittelpunkt der Affäre. Die inzwischen – zu großen Teilen von ihr selbst – aufgedeckten Unregelmäßigkeiten der CDU in Zusammenhang mit ihren Spendeneinnahmen haben immer ausufernderen Spekulationen Raum gegeben. In deren Folge werden der Partei immer schärfere zivil-, partei- und strafrechtliche Sanktionen angedroht. Zwar liegen bis zum heutigen Redaktionsschluß keine Belege dafür vor, dass der CDU neben der Umgehung des Spendengesetzes andere illegale Vorgänge unterlaufen sind. Aber führende Vertreter der rot-grünen Regierungsparteien bedienen sich im Umgang mit der CDU inzwischen einer Sprache, die pauschaler Vorverurteilung Vorschub leistet.

Schon seit die Affäre im November mit der Aufdeckung jener Million des Waffenhändlers Schreiber in Gang kam, wird Altbundeskanzler Kohl mit dem Schlagwort “System Kohl” der Öffentlichkeit als Pate einer quasi-mafiosen Vereinigung vorgeführt. Mit diesem Sprachgebrauch wurden Kohl und seine Partei einem Generalverdacht ausgesetzt, in dessen Schatten sich immer weitreichendere Unterstellungen wie von selbst einstellen.
Was soll aber eigentlich das System Kohl gewesen sein? Die bislang vorliegenden Erkenntnisse über Schwarzkonten und inkorrekte Rechenschaftsberichte lassen die starke Vermutung zu, dass die CDU über Jahre hinweg in den Genuss von Spenden aus unversteuerten Geldern kam. Die betreffenden Spender hätten sich, so darf man weiter mutmaßen, der Steuerhinterziehung schuldig gemacht. Das wäre, so es denn stimmt, unbestreitbar ein Vergehen. Aber es wäre kein Vergehen, das die CDU als Empfänger der Spende trifft.
Bis entsprechende Nachweise vorliegen, ist es im Übrigen eine Vermutung. Und selbst wenn die Vermutung sich bewahrheitete, hieße es den Bogen arg überspannen, die beliebteste deutsche Regelverletzung gleich der organisierten Kriminalität zuzuschlagen oder gar, wie in den letzten Wochen geschehen, als Verfassungsverstoß zu werten. Wie der Staatsrechtler Josef Isensee in einer detaillierten rechtlichen Bewertung des Skandals in der FAZ bemerkte, haben wir es hier mit einem “semantischen Überbietungswettbewerb” zu tun: “Er steigert sich zum “Verfassungsbruch”, nicht etwa einem einmal verübten, sondern dem “permanenten”. Wer bietet mehr?” (28.1.2000). Diese zum Anlass in keinem vernünftigen Verhältnis mehr stehenden Anschuldigungen kommen politischer Justiz gefährlich nahe. Und dabei werden Handlungen, deren Unrechtmäßigkeit überhaupt erst einmal zu klären wäre, in der öffentlichen Debatte zu Indizien für jegliche Vorstellungskraft sprengende Kriminalität. Dass hier jede Differenzierungsfähigkeit und jedes Augenmaß verloren gegangen sind, zeigt die Aufregung über die Mutmaßung, die “Schwarzgelder” der CDU seien eventuell auf verborgenen Konten der Partei gehortete Vermögen aus der Zeit vor dem Flick-Skandal. Hätte die Partei Gelder, die ihr in den vorausgegangenen Jahren zugeflossen waren, verbrennen sollen?

“Kohl mag natürlich auch der Corleone eines bislang unbekannten globalen Verbrecherrings gewesen sein. Auch das wissen wir nicht.”

Das “System Kohl” ist ein Konstrukt, aber ein ungeheuer potentes. Es spielt auf eine kriminelle Verschwörung zwischen der konservativen Volkspartei CDU und dem großen Geld an. Es ist nicht nur geeignet, die öffentliche Phantasie anzuregen, sondern auch die latenten Spannungen zwischen den ohnehin auseinander driftenden Generationen und Strömungen in der Partei anzuheizen.
Aus dem Generalverdacht erwachsen derweil ständig neue Unterstellungen und aus diesen wiederum immer unaufhaltsamere Weiterungen des Geschehens. Kohls “Ehrenwort” zum Beispiel gilt inzwischen als unhinterfragbarer Hinweis, der Altbundeskanzler verberge etwas. Natürlich steht es jedem frei, in dieser Richtung zu spekulieren. Mag sein, die fraglichen Spender wünschen ungenannt zu bleiben, beispielsweise weil die fraglichen Spenden eben unversteuerte Gelder waren. Kohl mag die Nennung seiner Spender aber auch tatsächlich aus Loyalität, Ehrgefühl oder schierem Stolz verweigern. Wir wissen es nicht. Selbst wenn Hinweise für das Gegenteil vorlägen, wäre der Altbundeskanzler nach geltendem Recht nicht verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen oder seine Gönner zu offenbaren.
Die Empörung über Kohls Verweigerung dieser Offenbarung setzt jedoch die Unterstellung voraus, sie sei Unrecht. Wohl um dieser Gestalt zu geben, ist man inzwischen dabei, juristisch zu prüfen, ob man Kohl, nachdem ihm schon auf sehr schwachen Füßen stehende Ermittlungen wegen Untreue angehängt wurden, nun auch noch die Aufhebung des Aussageverweigerungsrechts androhen kann. So wird aus einer Unterstellung eine juristische Weiterung der Affäre, die ihrerseits wieder neuen Vermutungen Raum gibt.
Kohl mag natürlich auch der Corleone eines bislang unbekannten globalen Verbrecherrings gewesen sein. Auch das wissen wir nicht. Allerdings ist es von allen möglichen Konstruktionen wohl die unwahrscheinlichste. Aber genau sie prägt inzwischen, mal verdeckt, mal offen, den gesamten Tenor des Skandals.
Es ist schwer zu sagen, was daraus noch erwachsen wird. Dass die CDU unter diesen Gegebenheiten der Mitwirkung an der Aufklärung der Affäre allmählich leid werden mag, wäre zu erwarten. Aber sie hat, sei es aufgrund innerer Spannungen, Defensivität oder schlechtem Krisenmanagement, die erste Runde dieser Auseinandersetzung bereits verloren. Was auch immer sie tut, bietet inzwischen nur Anlass zu neuen Beschuldigungen und der Androhung weiterer Sanktionen.


Auf das Bekenntnis der hessischen Parteiführung, zunächst als Vermächtnisse ausgegebene Spendeneinnahmen seien in Wirklichkeit Transfers von Parteivermögen aus der Schweiz gewesen, folgte umgehend der geradezu abenteuerliche Vorwurf des Wahlbetrugs und dann die Forderung nach Neuwahlen. Ähnlich wie in der Frage des Ehrenworts liegen auch hier gleich mehrere unzulässige Folgerungen mit haarsträubenden rechtlichen Implikationen vor. Die hessische CDU besitzt unbestreitbar und nach eigenem Bekenntnis mehr Geld, als sie nach dem Parteiengesetz haben dürfte. Daraus zu folgern, sie habe die Wahlen im Frühjahr vergangenen Jahres aufgrund ihrer wohlgefüllten Parteikasse gewonnen, ist nicht nur in höchstem Maße spekulativ und eine Beleidigung der hessischen Wähler. Dass es, weil das Geld einem Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz entstammte, auch im Wahlkampf der hessischen CDU mit unrechten Dingen zugegangen sei, fußt auf der weiteren Unterstellung, die Wahlkampffinanzierung aus Eigenmitteln der Parteien unterliege einem Limit.
Diese Unterstellung wiederum ist schlicht unzutreffend. Aber sie stieg in dem Moment in den Rang einer Tatsache auf, wo sie als Begründung der Annahme des Wahlbetrugs in Erscheinung trat, denn nach den Gesetzen der Logik müssen Begründungen nun einmal Tatsachen sein. Dieser Vorgang wurde durch die Abstimmung über Neuwahlen im hessischen Landtag und die Anrufung des Wahlprüfungsgerichts vollendet. Der Anwurf des Wahlbetrugs wurde zwar nicht plausibler, aber er formt nun das Bild der CDU in der Öffentlichkeit ganz so maßgeblich, als sei er zweifelsfrei erwiesen.

Selbstverständlich ist das Parteiengesetz dazu da, eingehalten zu werden, und die CDU wird für ihre Schwarzkonten und irreführenden Rechenschaftsberichte zu Recht schwer büßen müssen. Aber was hier stattfindet, ist eine moralisch und juristisch aufgeblasene Rufmordkampagne. Die alte Weisheit, Skandale seien die niedrigste Form der Politik, erfüllt sich hier in vollstem Umfang. Der weitverbreiteten Meinung, die Skandalbearbeitung der letzten Monate sei ein Gewinn für die Demokratie, ist daher entschieden zu widersprechen. Hier zeichnet sich ein gänzlich undemokratisches Politikmodell ab, das geltende Rechtsnormen bedenkenlos einer jedes Augenmaß verlierenden Vergeltungsaktion opfert.

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